Trotz linker Zentralregierung:
In Spanien landen Gewerkschafter wieder hinter Gitter

In Asturien mussten sechs Gewerkschafterinnen dreijährige Haftstrafen antreten. Und in Andalusien wütet nach einem Metallerstreik eine beispiellose Verhaftungswelle. Jetzt fordern die Gewerkschaften – in seltener Einigkeit – die linke Zentralregierung heraus.

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ALLE ZUSAMMEN. Gewerkschaftliche Einheitsdemo mit knapp 10'000 Teilnehmenden für die Freiheit der «Sechs von la Suiza» am 29. Juni in Gijón. Foto: CNT.

«Genossinnen, ihr seid nicht allein!» schallte es am Abend des 10. Juli über den zentralen Platz im nordspanischen Gijón. In der Hafenstadt Asturiens versammelten sich Hunderte Menschen. Spontan. Um ihre Solidarität mit den «Sechs von la Suiza» zu bekunden. Dabei handelt es sich um fünf Gewerkschaftsaktivistinnen und einen Aktivisten der anarchosyndikalistischen CNT. Sie hatten sich 2017 friedlich vis-a-vis der Konditorei «La Suiza» aufgereiht und – bewilligt – gegen eine Kündigung protestiert (work berichtete). Später machte die Konditorei dicht und kreidete dies der Gewerkschaft an. Mit Erfolg: die fünf Gewerkschafterinnen und ihr Kollege wurden wegen Nötigung verurteilt. Und zwar gleich zu dreieinhalb Jahre Gefängnis! Und nun, am 10. Juli, wurden «die Sechs von la Suiza» tatsächlich zur Verbüssung ihrer Strafen hinter Gitter gesteckt.

Sogar Arbeitsministerin will Begnadigung

Seither debattiert halb Spanien um Gewerkschaftsfreiheit. Die Empörung über den Vollzug der Skandalurteils umfasst ein breites politisches Spektrum sowie sämtliche Gewerkschaften des Landes. In Gijón demonstrierten kürzlich knapp 10’000 Menschen und forderten die Begnadigung der sechs Aktivistinnen. Das fordern von der sozialdemokratischen Zentralregierung unter Ministerpräsident Pedro Sánchez auch 22 Gewerkschaften, darunter die Grossverbände UGT und CCOO. Angesichts des sich ausweitenden Drucks hatte die kommunistische Arbeitsministerin und Vize-Regierungschefin Yolanda Díaz jüngst erklärt, sich für die Begnadigung einsetzen zu wollen.

An der Protestkundgebung am Tag des Haftantritts erklärte Herminia González von der Unterstützungsvereinigung Sofitu: «Unsere Genossinnen sind zu Unrecht im Gefängnis». Sie hätten schlicht normale Gewerkschaftsarbeit geleistet und eine Arbeiterin verteidigt. Jetzt werde man umgekehrt für die sechs Inhaftierten kämpfen. Und González beteuerte: «Es wird keine Reue geben!» Die CNT wiederum ist inzwischen vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Strassburg gezogen.

Im Fall der «Sechs von la Suiza» hat sich auch die Unia eingeschaltet. In einer Protest- und Solidaritätsnote zuhanden der direktbetroffenen CNT und der Unia-Schwestergewerkschaft UGT betont Präsidentin Vania Alleva: «Wir verurteilen die verhängten Gefängnisstrafen entschlossen. Sie bedeuten eine inakzeptable Kriminalisierung der Gewerkschaftsbewegung und sind ein direkter Angriff auf die Meinungsäusserungsfreiheit.» Darüber hinaus würdigt Alleva die aktuelle Initiative der vereinigten Gewerkschaften als «historisch». Das Bündnis zeige, wie stark die Arbeiterbewegung sei, wenn sie solidarisch und geschlossen gegen Ungerechtigkeit vorgehe. Auch die Begnadigungsforderung unterstützt die Unia. (jok)

UGT: «Freiheit und Demokratie in Gefahr!»

Dabei weiss die kleine Anarcho-Gewerkschaft für einmal auch die grossen Gewerkschaften im Rücken. Sie sehen einen gefährlichen Präzedenzfall. Der Generalsekretär der UGT in Asturien, Javier Fernández Lanero, erklärte auf der Protestversammlung: «Wir dürfen nicht zulassen, dass die Verteidigung von Rechten bestraft wird.» Auf dem Spiel stünde nichts weniger als die Freiheit und die Demokratie. Die Gewerkschaft CCOO wiederum meint, hier seien Gewerkschaftsaktionen zum Delikt der «Nötigung und Justizbehinderung» gestempelt worden. Der zuständige Richer Lino Rubio dagegen hatte geurteilt, dass gerade die CNT-Aktionen die Schliessung der Konditorei provoziert hätten. Dabei war das Geschäft schon vor den Aktionen längst unrentabel, wie jetzt entsprechende Steuererklärungen zeigen. Und das Geschäft stand schon zum Verkauf ausgeschrieben, bevor die CNT mit ihren Aktionen begann. Richter Rubio, für gewerkschaftsfeindliche Urteile bekannt, wollte eine allfällige politische Entscheidung über eine Begnadigung trotzdem nicht abwarten und ordnete letzten Mittwoch die Inhaftierungen an.

25 Metaller «wie Terroristen» abgeführt

Gerade unter der «progressiven Regierung», wie Regierungschef Pedro Sánchez sie nennt, wird verstärkt gegen Gewerkschaften vorgegangen. Das zeigen auch die Prozesse gegen die andalusischen Landarbeitergewerkschaft SAT oder auch die laufende Verhaftungswelle nach dem jüngsten Metallerstreik in Andalusien. Drei Wochen dauerte der Streik für bessere Löhne und Arbeitsbedingungen in der Provinz Cádiz. Bis es letzten Dienstag zu heftigen Zusammenstössen mit der Polizei kam. Nach dem Ende des Streiks wurden bisher 25 Menschen festgenommen und Kautionen für Freilassungen von bis zu 40’000 Euro verhängt.

Das Vorgehen erinnere «an die wildeste Zeit der Diktatur», schreibt dazu die Studierendengewerkschaft in einer Solidaritätserklärung. Menschen würden von grossen Polizeiaufgeboten zu Hause abgeholt, in Handschellen «wie Terroristen» abgeführt, kritisieren die «Koordination der Metallarbeiter» (CTM) und die anarchosyndikalistische CGT, die vor allem hinter dem Streik standen. In Untersuchungshaft genommen wurde auch der Sohn eines der CTM-Streikanführers. Er soll einen Polizisten angegriffen haben. Der Streik war abgebrochen worden, nachdem die UGT ein nachgebessertes Abkommen mit den Unternehmern geschlossen hatte. Doch dieses Abkommen lehnen die nicht nur CTM und CGT ab, sondern auch die zweite Grossgewerkschaft CCOO. CTM und CGT wollen den Kampf jetzt auf Betriebsebene fortsetzen.

Auch Antifaschisten hinter Gitter

Teresa Rodriguez ist die Ex-Generalsekretärin der Linkspartei Podemos in Andalusien, lebt in Cadiz und hat die Verfolgungswelle gegen die Metaller aus nächster Nähe miterlebt. Sie befürchtet, dass nun erneut Gewerkschafter lange im Gefängnis landen. Zu work sagt sie: «Wir haben es mit einer reaktionären und repressiven Welle aus den Staatsorganen zu tun.» Zwar sei die Polizei schon früher mit Gummigeschossen und Knüppeln gegen Streikende vorgegangen, doch eine nachträgliche Verhaftungswelle von diesem Ausmass sei neu. Diese Zuspitzung beobachte sie seit 2019, erklärt die heutige Generalsekretärin der Partei «Vorwärts Andalusien». Damals seien in Saragossa bei einer antifaschistischen Demo sechs Jugendliche verhaftet und allein auf Basis von Polizeiaussagen zu sechsjährigen Haftstrafen verurteilt worden. Nun sitzen sie schon seit 16 Monaten hinter Gitter. Rodriguez wirft der sozialdemokratischen Zentralregierung «Feigheit» vor. Sie habe ihre Versprechen nicht eingelöst, Gesetze wie das sogenannte Maulkorbgesetz zu streichen. Das Maulkorbgesetz, eingeführt von den Konservativen im Jahr 2015, sieht horrende Bussen etwa für das Filmen von Polizeieinsätzen, die Teilnahme an nicht genehmigten Demonstrationen, oder für Proteste vor staatlichen Einrichtungen. Rodriguez wirft der Regierung zudem vor, nicht gegen die vielen Rechtsradikalen im Justizapparat vorzugehen. Dabei sei klar: «Eine progressive Regierung müsste die sozialen Rechte ausweiten und die demokratische Rechte schützen!»

* Ralf Streck ist Journalist und lebt seit über 20 Jahren in Spanien.

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