Exil-Gewerkschafterin Sandar Soe (42) bietet Myanmars Generälen die Stirn
«Ich ging schon am ersten Tag des Putsches in den Untergrund»

Ob in der Fabrik, im Untergrund oder im internationalen Genf: Phyo Sandar Soe hat sich ganz dem Kampf gegen die burmesische Militärdiktatur verschrieben. Ihr jüngster Erfolg stimmt sie optimistisch.

GEGEN DIE MACHTHABER: Gewerkschafterin Phyo Sandar Soe schreckt nicht vor der Konfrontation mit General Min Aung Hlaing zurück, dem Machthaber von Myanmar. (Foto: Keystone / Montage: Ninotchka.ch)

work: Frau Soe, seit dem Militärputsch von 2021 tobt in Myanmar ein blutiger Bürgerkrieg, die Gewerkschaften mussten in den Untergrund, Sie sogar ins Exil. Trotzdem strahlen Sie. Was ist los?
Phyo Sandar Soe: Mir geht es aktuell tatsächlich sehr gut. Ganz einfach, weil wir hier in Genf gerade Geschichte geschrieben haben.

Erzählen Sie!
Am Uno-Sitz tagt die Internationale Arbeitsorganisation (ILO). Jedes Land schickt vier Vertreterinnen oder Vertreter, zwei staatliche und je einen aus Gewerkschafts- und Arbeitgeberkreisen. Am 5. Juni haben die Delegierten, nach jahrelangem Hin und Her, endlich un­serer Forderung zugestimmt: Sie setzten den ILO-Artikel 33 in Kraft. Das ist die schärfstmögliche Sanktion gegen ein Land, das Arbeit­nehmerrechte krass verletzt. Seit der ILO-Gründung 1919 wurde der Artikel erst zweimal aktiviert.

Was bringt das konkret?
Jetzt müssen alle 187 ILO-Mitgliedstaaten ihre Beziehungen zu Myanmar überprüfen und beenden, sofern diese die Diktatur stützen. Dasselbe gilt für international tätige Firmen. Damit kommt das ­Regime gehörig unter Druck. In Myanmar sprechen jetzt alle vom Durchbruch von Genf.

Wie ist denn die aktuelle Lage im Land?
Dramatisch! Es gibt Millionen interne Vertriebene, der Hunger grassiert, und das Militär setzt immer öfter auf Zwangsarbeit und Zwangsrekrutierung. Zu allem Übel hat das Erdbeben vom 28. März weite Teile des Landes verwüstet. Über 5000 Personen wurden verschüttet, Hunderttausende sind obdachlos geworden. Und das Militär verhindert eine faire Verteilung der internationalen Hilfsgüter. In viele ländliche Regionen gelangt gar nichts.

Stimmt es, dass die Militärjunta nach dem Erdbeben den Krieg sogar intensiviert hat?
Ja, und das, obwohl die vereinigten Oppositionskräfte sofort einen Waffenstillstand angeboten haben. Doch den Putschgenerälen geht es nicht um eine bestmögliche Katastrophenbewältigung. Im Gegenteil nutzen sie die Lage aus und liessen seither 800 Luftschläge und Drohnenangriffe fliegen – auch gegen zivile Ziele. Im April verkündete das Militär eine Waffenruhe, doch die Kampfjets bombardieren weiter. Gegen Angriffe aus der Luft können sich unsere Aufständischen mit ihren leichten Waffen schlecht wehren, erst recht nach den Verheerungen des Erdbebens.

Und wer hat am Boden die Oberhand?
Mittlerweile kontrollieren die revolutionären Einheiten deutlich über die Hälfte des Landes. Doch die Militärjunta hat mit China und Russland zwei Grossmächte im Rücken. Sie liefern Waffen, Munition und Überwachungstechnologie.

Apropos Überwachung: Sie haben Myanmar verlassen. Warum?
Weil ich früher oder später im Knast gelandet wäre. Und dort hätten Folter oder gar der Tod auf mich gewartet. Ich ging schon am ersten Tag des Putsches in den Untergrund. Dann zog ich durchs Land, von Safe House zu Unterschlupf, 18 Monate lang. Nur in den Dschungel musste ich nie, dank der grossen Unterstützung aus der Gewerkschaftsbewegung und der Bevölkerung. Aber ich wurde ständig verfolgt, konnte oft nicht mehr als ein paar Stunden am Stück schlafen und musste immer wieder meine Handys und Laptops vernichten, weil eine Razzia drohte.

Was hätten die Militärs in Ihren Daten gefunden?
Wir Gewerkschaften organisieren zwar nicht den bewaffneten, aber sehr wohl den zivilen Widerstand. Trotz Diktatur haben wir funktionierende Strukturen. Wir organisieren uns über Apps wie Signal, Telegram oder VPN.

Wer ist wir?
Landesweit entstanden nach dem Putsch 44 regionale Streikkomitees und ein übergeordnetes Generalstreik-Koordinationskomitee. Daraus gingen die grössten Protestmärsche und Streiks gegen die Militärs hervor. Schon fünf Tage nach dem Putsch gingen 22 Millionen Menschen auf die Strassen. Diese Demonstrationen haben wir Gewerkschaften gestartet! Wir waren auch die ersten, die vor einem bevorstehenden Putsch gewarnt hatten – und die angekündigt hatten, dass wir Widerstand leisten werden.

Trotzdem hat sich das Militär gegen das Volk durchgesetzt.
Mit brachialer Gewalt, ja. Ich stand daneben, als sie einem Genossen aus nächster Nähe in den Kopf schossen. Demonstrationen waren so nicht mehr möglich. Dann machten wir Flashmobs, also kurze Blitzaktionen. Doch auch das ist jetzt zu gefährlich.

Und was ist mit klassischer Gewerkschaftsarbeit?
Unmöglich! Die Vereinigungsfreiheit bestand in Myanmar ja nur von 2011 bis 2021. Zwar sind in dieser Zeit über 3000 Betriebsgewerkschaf­ten entstanden. Zudem verschiedene Branchenverbände. Doch viele wurden wieder verboten. Uns vom Gewerkschaftsbund CTUM wollten die Generäle als Feigenblatt inte­grieren. Doch wir erklärten ihnen stattdessen den Kampf. Als Mitglied des Zentralkomitees bin ich deshalb als Hochverräterin zur Verhaftung ausgeschrieben.

Jetzt kämpfen Sie auf der internationalen Bühne. Woher nehmen Sie Ihre Energie?
Ich bin es meinen Landsleuten, die nicht fliehen konnten, schuldig. Und ich will jetzt einfach endlich einen Wandel sehen! Dafür gebe ich alles. Ans Heiraten oder Kinderkriegen denke ich erst gar nicht. Ich bin mit der Bewegung verheiratet (lacht). Dieser Biss kommt wohl aus meiner Zeit als Textilarbeiterin in Thailand. Wegen illegaler Grenzübertritte sass ich zweimal im Gefängnis. Damals schwor ich mir, dass ich keine Art der Unterdrückung mehr akzeptieren werde, komme, was wolle.

Werden Sie je wieder in Ihre Heimat zurückkehren können?
Sicher! Und zwar schon bald. Das Militär hat jeden Kredit verspielt und keinerlei soziale Basis mehr. Und unsere Jugend brennt für den Fortschritt wie noch nie.

Phyo Sandar Soe (42): Aktivistin

Als Phyo Sandar Soe mit 16 Jahren Näherin in einer Textilfabrik wurde, waren Gewerkschaften noch streng verboten. Heimlichen Aktivisten drohte gar die Todesstrafe. So wollten es die verschiedenen Militärregierungen, die die ehemalige britische Kolonie Burma seit 1962 beherrschten.

Im Exil

Erst 2011 liessen die Generäle eine zaghafte demokratische Öffnung zu. In Soes Fabrik entstand eine Gewerkschaft. Soe schloss sich ihr an und wurde bald eine ihrer erfolgreichsten Orga­nisatorinnen. Heute ist Soe die stellvertretende Generalsekretärin des Myanmarischen Gewerkschaftsbunds (CTUM), dritte Vizepräsidentin der Bau- und Holz­arbeiter-Internationale (BHI) sowie Exekutivratsmitglied der Interna­tionalen Arbeitsorganisation (ILO). Sie lebt im Exil in Neuseeland. (jok)

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