Der Fall Orhan T.
Einbürgerung zu Unrecht verwehrt: Bundesgericht rügt Schweizermacher

Orhan T. lebt seit 31 Jahren in der Schweiz. Wegen eines Autounfalls erhielt er den Schweizer Pass nicht. Jetzt hat das Bundesgericht entschieden: Es braucht in Einbürgerungsverfahren eine Gesamtbeurteilung und ein Verzicht auf Killerkriterien.

DAS HÖCHSTE GERICHT HAT ENTSCHIEDEN: Die Schwyzer Regierung hätte das Einbürgerungsgesuch von Orhan T. nicht sistieren dürfen. (Montage: work)

Nach einem Wanderausflug nickte Orhan T.* am Steuer seines Autos ein und krachte in eine Strassenlaterne. Er und seine Frau blieben unverletzt, das Auto hatte einen Totalschaden. Für den Selbstunfall im Sommer 2020 kassierte Orhan T. eine Busse in der Höhe von 900 Franken und einen Eintrag im Strafregister wegen «Führens eines Motorfahrzeugs in fahrunfähigem Zustand». Wegen dieses Unfalls sistierte die Schwyzer Regierung das Einbürgerungsverfahren von Orhan für fünf Jahre, basierend auf den Richtlinien des Staatssekretariats für Migration (SEM). Ein Kriterium des SEM lautet: Wer einen Eintrag im Strafregister hat, darf nicht Schweizer werden. Dies wurde Orhan zum Verhängnis. 

Bundesgericht gibt Orhan recht

Orhan T. war 1994 als 28jähriger aus der Türkei in die Schweiz geflüchtet und erhielt 1996 Asyl. Heute führt Orhan T. in Goldau SZ eine Pizzeria, deren Name auf dem Trikot des lokalen Fussballclubs prangt. Orhan T. lebt also schon 31 Jahre hier und ist bestens integriert. Das Bundesgericht gibt in seinem wegweisenden Urteil Orhan T. recht: Wer den Schweizer Pass will, muss gemäss Bürgerrechtsgesetz «erfolgreich integriert» und «mit den schweizerischen Lebensverhältnissen vertraut» sein. Wenn der Bewerber oder die Bewerberin alle Bedingungen des Gesetzes erfüllt, wie dies bei Orhan T. der Fall ist, sind weitere Kriterien des SEM oder der Kantone nicht zulässig.

Erfolg für Verein Einbürgerungsgeschichten

Der Schwyzer SP-Kantonsrat und angehende Anwalt Elias Studer (29) vertrat Orhan T. vor Bundesgericht. Mit dem Verein Einbürgerungsgeschichten.ch berät Studer Einbürgerungswillige und macht ihre Geschichten sichtbar (work berichtete). Studer sagt im «Tages-Anzeiger», dass Bund und Kantone aufgrund des Urteils ihre Praxis ändern müssten:

Sie müssen eine Einzelfallprüfung vornehmen und dürfen nicht mehr pauschal Personen aufgrund von kleineren Verkehrsdelikten für fünf Jahre sistieren.

Sozialhilfe ist kein Delikt

Nicht nur die Killerkriterien des SEM, auch zusätzliche Einbürgerungshürden in den Kantonen werden durch das Urteil in Frage gestellt. 14 Kantone wenden neben den Einbürgerungsvoraussetzungen des Bundes weitere Hürden an: In gewissen Fällen sind auch finanzielle Aspekte relevant. In den Kantonen Schwyz, Glarus oder Basel-Landschaft dürfen die Einbürgerungswilligen in den letzten fünf Jahren keine Sozialhilfe bezogen haben. Weder Verkehrsdelikte noch Sozialhilfe dürfen ein grundsätzliches Hindernis für die Einbürgerung sein.  

*Name der Redaktion bekannt

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