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Logistikerin Denise Steinmann (49): «Das ist Mario Kart & Tetris – in echt»

Ein Job, den alle können? Überhaupt nicht, sagt Denise Steinmann. Die Arbeit als Logistikerin sei ziemlich herausfordernd – für den Körper und den Kopf. Und deshalb für sie genau das Richtige.

PRO ARTIKEL braucht Denise Steinmann (49) nur dreissig Sekunden. (Foto: Yoshiko Kusano)

Lydia sagt: «Gang 202, Platz 99» – und Denise Steinmann fährt los. Lydia ist die Computerstimme aus dem Headset, das Steinmann bei der Arbeit trägt. Die Logistikerin steht auf ihrem gelben Fahrzeug mit Elektroantrieb, hinter sich einen oder zwei von den Rollwagen mit hohem Seitengitter, wie sie in jeder Coop-Filiale verwendet werden. Damit saust sie durch die riesigen Hallen des Coop-Verteilzentrums in Wangen bei Olten.

Lydia sagt ihr, wie viele Grosspackungen Raviolibüchsen, Schokolade oder Zwieback sie aus dem Gestell holen muss. Steinmann verstaut sie platzsparend und ­bekommt von Lydia den nächsten Auftrag. Im Gespräch mit work sagt sie: «Ich spiele den ganzen Tag Mario Kart und Tetris – aber nicht am Bildschirm. In echt.»

Kein Navi

Seit letztem November arbeitet die 49jährige hier. Sie stellt die haltbaren Lebensmittel zusammen, die in die Coop-Filialen geliefert werden. Parallel zu ihrem 80-Prozent-Job holt sie den Lehrabschluss als Logistikerin nach. Bei der Arbeit sei sie ständig aktiv, das gefalle ihr, sagt sie. Besonders, weil wegen des Körpers auch der Kopf ständig gefordert sei. Denn was ihr Lydia nicht sagt: wie sie am schnellsten ans Ziel kommt. Und das sei nicht immer simpel. Die Gänge seien unterschiedlich lang, manchmal sei es ein weiter Weg bis zur nächsten Querverbindung. «Leute, die neu anfangen, fragen manchmal: Gibt es kein Navi?» Gibt es nicht, den Grundriss des ganzen Lagers muss Steinmann im Kopf haben. Sie lacht und sagt:

Am Anfang bin ich ein paarmal falsch abgebogen.

Das kostet Zeit. Und die ist knapp bemessen. 120 bis 130 von Lydias Aufträgen sollte sie pro Stunde abarbeiten, die schnellsten im Lager schaffen sogar 140, sagt sie. Das sind 25 Sekunden, um an die richtige Stelle zu fahren und die Waren aufzuladen. Und das fast nonstop: Ein normaler Arbeitstag ist achteinhalb Stunden, die Mitarbeitenden können einmal 30 und einmal 15 Minuten Pause machen. «Im Schnitt höre ich drei Stunden am Stück zu und mache Aufgabe um Aufgabe.»

Frühaufsteherin

Deshalb ärgert es sie, wenn sie hört, die Arbeit im Lager, das könne doch jeder Tubel. «Stimmt überhaupt nicht», sagt sie mit fester Stimme. Viele hörten am Ende der Probezeit wieder auf. Längst nicht alle brächten das mit, was der Job verlange: «Du musst dich orientieren können. Du musst körperlich fit sein. Du musst die 120 Aufträge pro Stunde schaffen. Und jede zweite Woche musst du früh aufstehen.» Steinmann arbeitet im Zweischichtbetrieb, eine Woche Frühschicht mit Start um fünf Uhr, eine Woche Spätschicht ab zwei Uhr nachmittags. Dazu alle zwei Wochen ein Samstag, der kompensiert wird.

Aber was passiert, wenn jemand die 120 Aufträge pro Stunde nicht schafft? Die Zahlen würden monatlich ausgewertet, sagt Steinmann. «Wenn du drunterliegst, gibt’s eine Besprechung mit dem Chef.» Diesen Leistungsdruck sieht sie kritisch. Er präge alle, die hier arbeiteten. «Du fühlst dich als Ameise, die speditiv sein muss. Nicht als Mensch.» Sie wünscht sich in der Logistik mehr Menschlichkeit. Und ist überzeugt: Dann wäre auch die Loyalität der Mitarbeitenden grösser.

Muskelkater

Kürzlich gingen Logistikerinnen und Logistiker von Migros Online an die Öffentlichkeit. Viele von ihnen hat die dauernde körperliche Belastung krank gemacht (work berichtete). Steinmann sagt, auch bei Coop sei die Arbeit in der Logistik körperlich hart:

Ich mache den ganzen Tag Leistungssport! Am Anfang hatte ich überall Muskelkater. Sogar in den Fingern!

Für sie ist klar: «Um diese Leistung über mehrere Jahre zu erbringen, musst du gut zu dir schauen.» Genügend Schlaf und gesundes Essen seien wichtig. Sie geht zudem einmal pro Woche ins Pilates, um den Körper aufzubauen. «Dort habe ich auch gelernt, wie man Lasten richtig hebt.» In den laufenden Verhandlungen zum Coop-GAV fordern auch die Unia-Delegierten einen besseren Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz.

Rentierfell

Auf die Frage, weshalb sie mit 49 Jahren einen Lehrabschluss mache, sagt Denise Steinmann: «Ich hatte nie Mühe, Arbeit zu finden. Aber es hat mich je länger, je mehr gewurmt, dass ich nie eine Lehre abgeschlossen habe. Mit einem EFZ hast du einfach mehr Chancen. Und du steigst mit einem höheren Lohn ein – für die gleiche Arbeit.» Ihr bisheriges Berufsleben ist geprägt von mehreren Spurwechseln, aber auch einem Traumjob. Eine Lehre als Operationsassistentin geschmissen, eine Pflegeausbildung abgebrochen, zwei Kinder grossgezogen. Wiedereinstieg in die Pflege, sieben Jahre als Hauswartin eines Indus­triegebäudes. Dann der absolute Glückstreffer: ein Job im Naturmuseum Olten. «Das waren drei Berufe in einem», sagt sie und erklärt:

Ich arbeitete im Empfang, machte Kindergeburtstage und half als Museumstechnikerin. Für eine Ausstellung zur Eiszeit habe ich zum Beispiel ein riesiges Zelt aus echten Rentierfellen genäht.

Aber eben: Einen Lehrabschluss konnte sie dort nicht machen. Drum ging sie erneut auf die Suche und ist jetzt in der Logistik gelandet, «in einer faszinierenden Welt, von der ich vorher keine Ahnung hatte». Nächstes Jahr hat sie endlich ihr EFZ in der Tasche. Und dann? Bis zur Pensionierung werde sie ihren heutigen Job wohl kaum machen, sagt sie. Nächstes Jahr gleich abspringen werde sie aber nicht: «Die Arbeit macht mir Freude.»


Denise SteinmannEnergiebündel

Ein 80-Prozent-Job, zwei Abende Berufsschule, drei bis vier Stunden Hausauf­gaben, Pilates: Wer glaubt, dass Denise Steinmanns Woche damit schon voll ist, täuscht sich gewaltig. Sie und ihr Partner, leitender Mitarbeiter bei einem Kaffee­maschinenhersteller, nehmen sich Zeit für ausgedehnte gemeinsame Spaziergänge. «Wenn wir es einrichten können, gehen wir fünfmal pro Woche, jeweils eine bis anderthalb Stunden. Dieser Austausch tut unserer Beziehung extrem gut.»

Kreativ

Auch ihre kreative Ader kann sie ausleben. Soeben habe sie angefangen, Sojawachskerzen in selbstgemachte Töpfe zu giessen. Wenn sie genug beisammenhat, will sie sie auf dem Markt verkaufen.

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