Ruth Dreifuss zum Tod von Christiane Brunner (1947 – 2025)
Die Mutmacherin

Christiane Brunner war die Ikone des ersten Frauenstreiks, glühende Feministin und verhinderte Bundesrätin. Für work würdigt Ruth Dreifuss die mutige Gewerkschafterin, die vor kurzem im Alter von 78 Jahren gestorben ist.

GRANDE DAME DES FEMINISMUS: Ohne Christiane Brunner hätte der erste Frauenstreik von 1991 so gar nicht stattgefunden. (Foto: Keystone)

Das Bundesgericht beschäftigte sich 1977 zum ersten Mal mit einer Klage zu Lohngleichheit für gleichwertige Arbeit. Einer 30jährigen Anwältin gelang in diesem Prozess ein Sieg für die feministische Bewegung: Christiane Brunner. Das Urteil war auch ein Meilenstein für die Gewerkschaftsbewegung. An diesem Sieg waren drei weitere Personen beteiligt: Christianes Rechtsprofessor Alexandre Berenstein, seine Frau Jacqueline Berenstein-Wavre, Genfer Kämpferin für Gleichstellung. Und als zentrale Figur Suzanne Loup, die Neuenburger Lehrerin, die den Mut hatte, den Kanton auf gleichen Lohn wie ihre männlichen Kollegen einzuklagen. Der Erfolg vor Bundesgericht war bahnbrechend für die Frauen im öffentlichen Dienst. Es dauerte aber noch 5 lange Jahre, bis der Grundsatz der Gleichheit von Mann und Frau in der Verfassung verankert wurde, und nochmals 15 Jahre, bis das Lohngleichheitsgesetz in Kraft trat … und die Realität trotzt immer noch dem Recht. Unermüdlich arbeitete Christiane Bunner an all diesen mühsamen Etappen.

Ungeduldig und aufmüpfig

VERBUNDEN: Ruth Dreifuss und Christiane Brunner 1993 im Bundeshaus. (Foto: Keystone)

Der Fall Loup machte Christiane auf einen Schlag bekannt: als siegreiche Juristin, als Anwältin der Gewerkschaft, als engagierte Feministin. In Genf hatte sie sich schon vorher einen Namen gemacht in der FBB (Frauenbefreiungsbewegung). Es war eine Zeit der originell-aufmüpfigen Demonstrationen, eine Zeit des Protests gegen gesellschaftliche Diskriminierung und starre Rollenbilder. Die jahrhundertalte Forderung nach politischer Teilhabe der Frauen war auf dem Weg, ihr Ziel zu erreichen. Die «neue Frauenbewegung» wollte aus dem traditionellen Rollenbild ausbrechen, ungeduldig und aufbegehrend gegen eine Gesellschaftsordnung, die ihre Freiheit und Entwicklung einschränkte. Sogar in Familien, in denen die Frau die Rolle der Mutter und der Erwerbstätigen einnahm, waren starre Rollenbilder die Norm: Christianes Mutter, eine allein­erziehende Näherin, konnte sich keine bessere Zukunft für ihre zwei Töchter vorstellen, als zu heiraten und eine dauerhafte Anstellung zu finden, zum Beispiel in der Migros an der Kasse, um das Einkommen der Familie zu verbessern oder alleine die Verantwortung für die Familie wahrnehmen zu können. Für den Fall, dass es durch Verwitwung oder Scheidung notwendig würde.

Ich kann mir nicht vorstellen, dass Christiane sich solche Pläne hätte zu eigen machen können. Zum Glück erkannte eine Lehrerin ihre Intelligenz, ihren Wissensdurst und ihre Willenskraft: Die Matura solle sie machen, sich für ein Stipendium bewerben, um an der Universität zu studieren. Das Recht wurde eines ihrer Mittel im Streben nach Gerechtigkeit: Familienrecht, Arbeitsrecht, Sozialversicherungsrecht waren ihre Tätigkeitsfelder im Anwaltskollektiv, das sie mit weiteren progressiven Juristinnen und Juristen gründete. Die Gesetze sollten die Rechte der schwächeren Mitglieder der Gesellschaft (Frauen, Arbeiterinnen und Arbeiter) schützen.

Ohne sie kein Frauenstreik

IMMER MITTENDRIN: Brunner mit Dreifuss am 14. Juni 2011 in Genf. (Foto: Keystone)

Was aber, wenn die Gesetze zuungunsten der Schwächeren geschrieben wurden? Dann müssen die Gesetze durch ­politische Entscheide neu formuliert werden. Die Frauen hatten erst vor kurzem, 1971, ihre Teilhabe an den politischen Entscheiden erobert. Jetzt galt es, diese Hebel auch gegen die Diskriminierung der Frauen einzusetzen. Christiane trat der Sozialdemokratischen Partei bei, wurde in den Gemeinderat der Stadt Genf und später in den Grossrat des Kantons gerwählt.

Im Französischen gibt es einen Ausdruck: «Avoir plusieurs cordes à son arc» (ungefähr: mehrere Eisen im Feuer haben). Mit 30 Jahren hatte sie schon mindestens drei: ihre grossen juristischen Kenntnisse, den kollektiven Einsatz in der feministischen Bewegung, die politische Arbeit zuerst auf Gemeinde- und dann auf kantonaler Ebene. Was konnte wohl noch fehlen?

Das gewerkschaftliche Engagement von Christiane begann als Mitglied des VPOD, den sie von 1982 bis 1989 präsidierte. 1992 wurde sie die erste Präsidentin des Metall- und Uhrenindustrie­verbands (Smuv). Zwei Jahre später ­übernahm sie dann gemeinsam mit Vasco Pedrina den Vorsitz des mächtigen Schweizerischen Gewerkschaftsbundes (SGB). Ihr als Schlüsselfigur ist auch der erste Frauenstreik 1991 zu verdanken. Sie überwand die Skepsis gegenüber der Idee einer Uhrenarbeiterin aus dem Vallée de Joux, Liliane Valceschini, einen landesweiten Frauenstreik zu lancieren. Sie und einige Feministinnen aus ihrem Genfer Kreis hatten die pfiffigen Ideen, die die dezentralen Kundgebungen, die Forderungen von Hausfrauen und Arbeiterinnen, von Arbeitslosen und Künstlerinnen im ganzen Land als eine Einheit zusammengeschmiedet hatten. Und sie war es auch, welche die Organisationskraft der Gewerkschaften mobilisieren konnte.

Pink und Sonne

IKONE: Brunner mit Pussy-Hat. (Foto: Sébastien Agnetti/13Photo)

Zwei Jahre danach, Christiane war erst seit eineinhalb Jahren Nationalrätin, meldete sie unerschrocken ihre Kandidatur als Bundesrätin an. Aus ihrer Kandidatur und ihrer Nichtwahl wurde in kurzer Zeit eine nationale Bewegung. Mit den ikonischen Symbolen: dem Tragen von Pink und dem Sonnen-Pin. «Frauen sollen aus dem Schatten treten!» Für sie war das Wichtigste, die zu ermuntern, die auf der Schattenseite der Gesellschaft leben, ihre eigene Kraft zu erkennen und sich für ihre Rechte und auch für die Rechte anderer starkzumachen. Christiane Brunner war sich ihrer Rolle als Vorreiterin und Ga­lionsfigur bewusst und genoss sie. Doch besonders glücklich war sie, wenn sie eine zuerst re­signierte Frau dazu ermutigen konnte, über den eigenen Schatten zu springen. Sie wurde nie müde, auf dieses Ziel hin zu arbeiten.

* Ruth Dreifuss war von 1981 bis zu ihrer Wahl in den Bundesrat 1993 SGB-Zentralsekretärin. Zudem vertrat sie die Schweizer Arbeitnehme­rinnen und Arbeitnehmer in der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO). Dreifuss trat 1964 der SP bei und gehörte von 1989 bis 1992 dem Berner Stadtrat an. Für die Berner SP kandidierte sie 1991 erfolglos für den Nationalrat. Nach dem Rücktritt von René Felber aus dem Bundesrat wählte die rechte Mehrheit in der Bundesversammlung am 3. März 1993 den Sozialdemokraten Francis Matthey statt Chris­tiane Brunner, der einzigen Kandidatin der SP-Fraktion, die zuvor Opfer einer regelrechten Schlammschlacht geworden war. Unter dem Druck seiner Partei verzichtete Matthey auf das Amt, und die SP-Fraktion nominierte mit Christiane Brunner und Ruth Dreifuss zwei Kandidatinnen. Dreifuss wurde am 10. März 1993 mit 144 Stimmen gewählt.

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