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Baustellen-Elektriker Giuseppe Anello (44): «Mein Beruf ist auch ein Lebensstil»

Seine Arbeit führt ihn immer ­wieder weit weg von der Familie in Sizilien. Doch Stillstehen war für Elektriker Giuseppe Anello nie eine Option. Derzeit ist er für die zweite Gotthard­röhre im Einsatz.

GIUSEPPE ANELLO (44) sorgt für Strom an der Tunnelbaustelle beim Gotthard. (Foto: Mattia Lento)

Der Zugang zur Tunnelbohrmaschine ist gesperrt. Als work den Elektriker Giu­seppe Anello trifft, steht das 2000-Tonnen-Monster seit mehreren Tagen still wegen geologischer Probleme. Vor dem südlichen Tunnelportal zeigt Anello auf seinem Mobiltelefon Bilder aus dem Innern des Berges. Es sind Fotos und Videos von Kabelgewirr, komplexen Schalttafeln und Maschinen, die man auf anderen Baustellen nicht antrifft.

Der Italiener ist auf Tunnelbau spe­zialisiert. 2004 hat er als Elektriker auf Grossbaustellen angefangen. Heute habe er, wie er sagt, «ziemlich viel Erfahrung, wenn es ums Lösen technischer Probleme geht». Anello kümmert sich für die Baufirma Marti AG um die elektrische Versorgung der Gotthardbaustelle. Dazu gehört auch der Notstrom für den Fall, dass einmal der Strom ausfällt.

In seiner Heimat Sizilien begann Anello auf der Baustelle eines Autobahntunnels. Als dieser fertig war, fand er keine passende Stelle in der Nähe seines Wohnortes. Für drei Jahre wechselte er aufs Festland und half beim Ausbau der Autobahn von Reggio Calabria nach Norden, bis kurz vor Neapel. «Da war ich weit weg von meinen Liebsten.» Danach kehrte er nach Sizilien zurück und arbeitete einige Jahren als «normaler» Elektriker.

Wie der Vater

Doch diese Routine sagt er, sei nicht das Richtige gewesen für ihn: «Ich wollte nicht stillstehen und immer am selben Ort arbeiten. Ich wollte es machen wie mein Vater. Der war sein Leben lang als Kranführer auf Baustellen in ganz Italien unterwegs.» Anello fand eine Arbeit auf einer Baustelle für den Hochgeschwindigkeitszug in der Nähe von Genua. Seither ist er unterwegs auf Grossbaustellen. «Diese Arbeit ist auch ein Lebensstil: Ich bin immer in Bewegung wie ein Nomade. Das passt mir.»

Nach seinem Job in Genua zog es Anello in die Schweiz, er arbeitete zuerst auf Baustellen in Wimmis BE und Kandersteg BE. In Italien war er Mitglied des Gewerkschaftsbundes CISL.

Für mich war es klar, dass ich sofort nach meiner Ankunft in der Schweiz der Unia beitrete.

Kämpferisch

Als Baustellen-Elektriker untersteht Anello dem Landesmantelvertrag für das Bauhauptgewerbe (LMV). Er sagt: «Eine gute Erneuerung des LMV ist für alle Bauarbeiter entscheidend. Auch für uns im Tunnelbau.» Die Arbeit unter Tage wird durch Anhang 12 des LMV geregelt: Der Mindestlohn für einen gelernten Elektriker im Tunnel liegt bei 5976 Franken. Dazu kommen Zuschläge für Nacht- und Untertagarbeit, die pro Monat 1000 Franken und mehr betragen können. Anello und seine Kollegen fordern jetzt zusammen mit der Unia eine deutliche Verbesserung bei den Löhnen, Zuschlägen und Arbeitsbedingungen. Die grösste Sorge bereitet Anello jedoch nicht der LMV, sondern die Organisation der Arbeitsschichten.

Für die Arbeiten am Gotthardbasistunnel hatte das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) nämlich immer Ausnahmen bei den Schichten gewährt, damit die Tunnelarbeiter zwischen den Schichten zu ihren Familien zurückkehren konnten. Seit 2017 gibt es diese Ausnahmen nicht mehr. Anello sagt: «So, wie die Schichten aktuell sind, kann ich nicht regelmässig nach Hause fahren. Zwei oder drei Tage Pause, das ist zu wenig für eine Reise nach Sizilien» (mehr dazu hier).

Heimweh

Es kommt auch vor, dass Anello zwei Wochen am Stück in Airolo bleiben muss. Das sei nicht einfach, weil es in Airolo fast keine Freizeitmöglichkeiten gebe und die engsten Kollegen oft arbeiten müssten, wenn er freihabe. Um Abhilfe zu schaffen, hat die Unia vorgeschlagen, dass ein Raum auf der Baustelle als Fitnessraum genutzt wird. Aber gegen das Heimweh während der langen Pausen würde auch das nichts nützen.

In der Regel lieben die Tunnelarbeiter ihre Arbeit. Anello ist keine Ausnahme. Doch die Bergleute wollen nicht auf ihr Familienleben verzichten. Für Anello ist das Wiedersehen mit seiner Familie ein sehr wichtiger Teil seines ­Lebensstils: «Wenn ich nach Hause komme, sitze ich sicher nicht herum. Es gibt immer etwas zu tun.» Wenn seine Frau und die Kinder freihaben, unternehmen sie gemeinsame Ausflüge in Sizilien. Anello weiss, dass es für seine Söhne nicht leicht ist, so häufig von ihrem Vater getrennt zu sein:

Als Sohn litt ich darunter, dass mein Vater so oft abwesend war. Aber ich habe auch verstanden, dass es ihm wichtig war, so oft wie möglich zurückzukommen und bei uns zu sein. Die mangelnde Flexibilität des Seco ist für mich hier im Moment das grösste Problem.


Giuseppe AnelloSizilianer mit Flair für das grosse

Giuseppe Anello ist in der Stadt Catania auf Sizilien geboren und aufgewachsen. Seit mehr als zwanzig Jahren ist er auf Grossbaustellen im Einsatz. Der Baustellen-Elektriker ist stolz darauf, an einigen der grössten Autobahn- und Eisenbahnprojekte in Italien und der Schweiz mit­gewirkt zu haben.

Er interessiert sich für die Geschichte von grossen Bau­werken und kennt die Bedeutung der Gewerkschaften für die Verteidigung von hart erkämpften Rechten der Berg­arbeiter.

Am Vulkan

Anello ist verheiratet und Vater von zwei Söhnen im Alter von 8 und 13 Jahren. Wenn er genügend Zeit zwischen seinen Arbeitsschichten in Airolo hat, kehrt er nach Sizilien zurück. Dort lebt er mit seiner Familie in Piano Tavola an den Hängen des Ätna. Er liebt sein Land – «auch wenn ich merke, dass viele Dinge in Sizilien nicht funktionieren».

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