Eine Maschine geht in Pension
Reportage aus Biel/Bienne: In der Fabrik der Maibändel

Was wäre der 1.  Mai ohne die legendären roten Maibändel? Ein kleiner Betrieb in Biel bedruckt sie. work war beim letzten Arbeitseinsatz der Druckmaschine dabei.

DANIELA ANDRES BEDIENT DIE ALTE LADY: Die Maibändel-Maschine hat ihren letzten Einsatz. (Foto: jun)

Hier steht sie, die Maschine, die seit 60 Jahren die roten Bändel für die 1.-Mai-Feiern produziert: am Chemin du Coin, dem Eckweg, hinter dem Hauptsitz von Swatch, in einem unscheinbaren Bieler Einfamilienhaus. Im Atelier der Adri AG, eines auf Festartikel spezialisierten KMU mit einem halben Dutzend Angestellten, nimmt Daniela Andres (57) die Bändelimaschine ein letztes Mal in Betrieb. Nochmals viertausend Stück für einen Auftrag des Gewerkschaftsbundes Zürich. 

Ratter, ratter, ratter

Wenn die Maschine anläuft, macht sie einen Höllenlärm. Das eingespannte rote Seidenband beginnt sich zu bewegen, die Maschine rattert, ein Kolben drückt die Goldfolie auf das Band, und am hinteren Ende der Maschine fliegen die geschnittenen Bändeli im Sekundentakt raus. Auf dem roten Seidenband prangt jetzt in goldenen Lettern frisch gedruckt: «Solidarität statt Hetze – gemeinsam stark!» Das diesjährige Motto zum 1. Mai, dem Tag der Arbeit. 

AKTUELL: Das sind die Maibändel, die gerade für den Zürcher Gewerkschaftsbund produziert wurden. (Foto: jun)

Daniela Andres sagt:

Nach diesem Einsatz geht die Maschine definitiv in den wohlverdienten Ruhestand.

In den Regalen des Ateliers lagern neben dem roten Seidenband für die Gewerkschaften Stoffe in allen Farben. Auch die Seidenbänder sind swissmade, von einem Zulieferer aus dem Basler Laufental.

IN ALLEN FARBEN: Das Lager an Stoffbändern bei der Adri AG in Biel. (Foto: jun)

Früher waren die bedruckten Bändel begehrt für Vereine, Sportwettkämpfe oder Schönheitswettbewerbe. Heute sind es neben den Gewerkschaften vor allem Springreiter, Viehschauen und Schwingverbände, die noch regelmässig Bändel bei der Adri AG bestellen. 

Der Erfinder 

Bereits ab 1935 tüftelte Adolf Ritter, der Gründer der Adri AG, an einer Maschine für Tombola-Lose und Festbändeli herum. Zehn Jahre später entwickelte er die erste Loswickelmaschine und die erste vollautomatische Heissprägepresse der Schweiz für Festbändeli. Der Erfinder taufte seine Firma «Adolf Ritter Ball- und Festartikel», ehe im Jahr 1953 die Aktiengesellschaft «Adri AG» daraus entstand. Die 1.-Mai-Bändel-Maschine, die heute ein letztes Mal in Betrieb ist, hat Firmengründer Ritter in den 1960er Jahren entworfen und konstruiert. 

DIE TRANSFERFOLIE BRINGT FARBE AUF DIE BÄNDEL: work-Redaktor Iwan Schauwecker beim Atelierbesuch in Biel. (Foto: jun)

Müde Maschine

Daniela Andres arbeitete während der letzten 24 Jahre mit der Maschine. «Früher haben wir die Vorlagen noch selbst mit einzelnen Buchstaben gesetzt, aber heute lassen wir die Klischees, die Drucksujets aus Metall, extern produzieren. Das ist weniger kompliziert und günstiger.» Die Produktion der Bändel habe sie immer sehr gerne gemacht, und sie werde die Arbeit mit der Maschine vermissen, sagt Andres. 

MIT HERZ UND HAND: Das Motto des kleinen Betriebs hängt gut sichtbar an der Wand. (Foto: jun)

In Zukunft wird sie nur noch im Büro im Verkauf und nicht mehr im Atelier arbeiten. Aber jetzt sei der richtige Zeitpunkt für die Umstellung: «Die Maschine hat Abnützungserscheinungen und ist bereits etwas müde.» Die Adri AG verlagert die Produktion der Bändel an ihren zweiten Standort nach Unteriberg im Kanton Schwyz. Dort werden die Bändel in Zukunft im Siebdruckverfahren produziert. 

Auf den 1. Mai angesprochen, sagt Andres:

In Biel ist der 1. Mai kein Feiertag, und wir müssen arbeiten gehen.

Was am 1. Mai wann und wo läuft, erfahren Sie unter diesem Link.

Die lange Geschichte des 1. Mai und der Maibändel

Am 1. Mai 1886 traten in den USA rund 400’ 000 Beschäftigte aus 11’ 000 Betrieben in einen Generalstreik. Zentrum der Proteste war die Industriestadt Chicago, wo sich Tausende Arbeiterinnen und Arbeiter auf dem Haymarket Square versammelten. Sie demonstrierten gegen unerträgliche Arbeitsbedingungen und 12-Stunden-Arbeitstage.

Die Idee zum 1. Mai als Tag der Arbeit entstand dann drei Jahre später an der Weltausstellung in Paris. Französische Delegierte lancierten am internationalen Arbeiterkongress während der Weltausstellung den 1. Mai als Kampftag für die Einführung des 8-Stunden-Arbeitstages. 

Schweizer Premiere

Am 1. Mai 1890 fanden dann zum ersten Mal in Europa und den Vereinigten Staaten Kundgebungen statt. In der Schweiz beteiligten sich 1890 einige Hundert, am Abend sogar mehrere Tausend Arbeiterinnen und Arbeiter bei den Maikundgebungen in den Städten und Industrieorten. Die Basler Arbeiterunion, der Zusammenschluss der Sozialdemokratischen Partei, der Parteipresse und der Gewerkschaften, schuf damals den noch heute bekannten roten Maibändel. Im Sozialarchiv in Zürich können Sie die Maibändel der letzten 135 Jahre in ihrer ganzen Vielfalt und historischen Kontinuität entdecken. Mehr Infos unter: bild-video-ton.ch.

 

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