Gewerkschafter auf Achse für die Bau-Demos in Zürich und Lausanne
«Können wir auf euch zählen am 17. Mai?»

Im neuen Bauvertrag will die Unia spürbare ­Fortschritte sehen – und mobilisiert täglich für die Demos vom 17. Mai. Doch wie kommt das eigentlich auf den Baustellen an? work machte die Probe aufs Exempel – im tiefsten Hinterthurgau.

MOBILISIERT FÜR DIE GROSSEN DEMOS: Unia-Mann Antonio Procopio bei den Büezern Emilio Hofstetter, Sergio Pereira, Nikson Nikolla und Fabian Frei (v. l.). (Foto: jok)

Seit Wochen touren sie durchs Land. Tag für Tag. Von St. Gallen bis nach Genf. Und klappern dabei möglichst jeden Bauplatz ab: die Bauteams der Gewerkschaften Unia und Syna. Sie verfolgen dabei drei Ziele: zuhören, informieren und – jetzt ganz besonders – mobilisieren! Letzteres natürlich für die beiden natio­nalen Bau-Demonstrationen, die am 17. Mai durch Zürich und Lausanne ziehen. Denn es ist klar: Je grösser diese Aufmärsche ausfallen, desto eher gelingen spürbare Fortschritte im Landesmantelvertrag (LMV). Dessen Neuauflage wird gerade verhandelt. Und die organisierten Bauleute haben kla­­re Forderungen aufgestellt (siehe Box).

Doch wie kommen die Mobilisierungen auf den Bauplätzen an? work hat sich umgehört. Aber nicht in einer gewerkschaftlichen Hochburg. Sondern im beschaulichen Hinterthurgau, einer Gegend, über die die «Thurgauer Arbeiterzeitung» 1916 befand, sie sei «von der Kultur noch nicht so stark beleuchtet», und unter ihren Einwohnern gebe es «noch sehr wenig soziales Denken und Fühlen». Seither ist freilich viel Wasser die Thur ­hinuntergeflossen. Doch der Arbeiterschaft Mostindiens wird noch immer nichts geschenkt. So gehörten die Thurgauer Baumeister zu jener radikalen Minderheit im Schweizerischen Baumeisterverband, die 2023 den LMV am liebsten gekündigt hätten. Der Grund: Die Gewerkschaften hätten sich in den Verhandlungen zu stark durchgesetzt. Und heute?

Hudelwetter über Der Ostschweiz

Über der Ostschweiz schifft’s wie aus Kübeln an diesem Aprilfreitag. Etliche Baustellen versinken im Schlamm. Nicht ganz so arg steht es um das Projekt «In den Reben» in Ettenhausen TG. Die künftige Luxusterrassensiedlung, die hier samt Pools an exklusiver Hanglage entsteht, fusst auf solidem Grund. Trotzdem schimpft Loris Conver­sano, als er aus seinem Auto und direkt in eine Pfütze tritt: «Huere Hudelwetter!» Auch sein Kollege Antonio Procopio knurrt: «Regen ist für unsere Arbeit ein Seich, denn die Arbeiter verbringen in den Pausen mehr Zeit mit Umziehen, und wir müssen uns extrem kurzfassen.»

Procopio und Conversano sind Aussendienstmitarbeitende der Unia Ostschweiz-Graubünden. Beladen mit Flyern, dem Unia-­Magazin «Der Polier» sowie einer Infotafel geht’s Richtung Baracken. Was einen dort erwarte, wisse man nie ganz genau, erklärt Procopio. Zwar sei praktisch allen Baualeuten klar, dass Verbesserungen nicht vom Himmel fielen. Daher meldeten sich viele ohne Wenn und Aber für die Demo an. Doch auch das Gegenteil komme vor:

Manchmal sprichst du schlicht an eine Wand.

Wieder andere fänden die Forderungen zwar berechtigt, wollten aber selbst keinen freien Samstag für die Demo opfern. «Ein Schoggijob ist das Mobilisieren sicher nicht», sagt Loris Conversano, während ihm das Wasser vom Helm tropft. Dann klopft er an die Tür des ersten Pausencontainers.

Polier will nicht

Drinnen sitzen Polier Fabian Frei (35), Schaler Sergio Pereira (39), Maurer Emilio Hofstetter (19) und Allrounder Nikson Nikolla (43). In ihrem «Stübli» ist es eng, aber gemütlich-warm. Sie essen belegte Brötli, trinken Kaffee, rauchen und lachen. Unia-Mann Procopio kommt gleich zur Sache:

Ihr wisst ja, wieso wir da sind. Der LMV läuft aus. Und zusammen mit euch wollen wir einen neuen und besseren herausholen!

Dann erklärt der Gewerkschafter die wichtigsten Anliegen – und stellt dann die Gretchenfrage: «Können wir auf euch zählen am 17. Mai?» Allrounder Nikolla winkt ab: «Ich bin eh nicht mehr lange in der Schweiz», erklärt er. Sobald sein Sohn aus der Schule sei, gehe er zurück in den Kosovo. Denn dort könne man sich das Leben noch leisten. Auch Polier Frei will nicht auf die Strasse. «Ich bin im Baukaderverband, und der demonstriert nicht», erklärt er. Gegen die Unia-Forderungen spricht sich der Gruppenchef zwar nicht aus. Im Gegenteil. Gerade die Hitzeproblematik verlange dringend eine Lösung. Doch da hätten die Meister ja schon Bereitschaft für eine Lösung signalisiert. Und das Problem der nicht komplett bezahlten Reisezeit (erst ab 30 Minuten) sei bei ihrem Arbeitgeber, der Thurgauer Traditionsfirma Vetter AG, eigentlich kein Problem. Denn: «Vetter ist stark regional tätig, weshalb wir immer kurze Fahrtwege haben.» Auch sonst sei der Familienbetrieb sozial drauf und nah bei den Büezern. Dem widerspricht in der Baracke niemand.

Gesamtbild zählt

Trotzdem sind Schaler Pereira und Maurer Hofstetter grundsätzlich offen für die Demo. Sie müssten zu Hause noch ihre Agenda checken, erklären die beiden Unia-Mitglieder. Aber grundsätzlich brauche es schon einen Ruck – wenn nicht in der eigenen Firma, so sicher in der Branche allgemein. Welche der Unia-Forderungen die wichtigste sei. «Alle sind wichtig!» ist Pereira überzeugt. Dass die Mieten, Krankenkassenprämien und Preise die Bauleute zunehmend belasteten, sei ja wohl unbestritten. Und auch an den Arbeitszeiten könne man gern noch schrauben. Denn:

Im Sommer bist du ein­fach nicht mehr produktiv nach neun Stunden.

Die Bilanz nach zehn Minuten: zwei Demo-Absagen und zwei «vielleicht». Ist das zufriedenstellend? Loris Conversano meint dazu, es seien sicher noch nicht alle Bauarbeiter «voll im Demo-Modus». Doch was zähle, sei das Gesamtbild: «Unsere Themen kommen extrem gut an. Die Leute sind wirklich interessiert und bringen sich auch ein.» Später fahren Conversano und Procopio noch auf eine Baustelle im nahen Bronschhofen SG. Die Bilanz dort: Vier von fünf Bauarbeitern waren bereits Unia-­Mitglied, drei haben sich für die Demo eingeschrieben, und ein Zimmermann ist Neumitglied geworden. Für den 17. Mai ist Conversano jedenfalls zuversichtlich: «Es chunt guet!»

Neuer LMV: Das sind die wichtigsten Forderungen

  • Kürzere Arbeitstage
  • Eine bezahlte Znünipause
  • Schluss mit 30 Minuten unbezahlter
  • Reisezeit pro Tag
  • Eine anständige Lohnerhöhung für alle
  • Automatischer Teuerungsausgleich
  • Hitzefrei ab 33 Grad

Schreibe einen Kommentar

Bitte fülle alle mit * gekennzeichneten Felder aus.