Jean Ziegler

Israelische Soldaten haben Mitte März in Rafah 15 palästinensische Sanitäter erschossen und sie neben ihren Ambulanzen im Sand verscharrt. Die Armee behauptete, sie seien nicht als Rettungskräfte erkennbar gewesen. Ein Handy­video entlarvte die Lüge. Der Sanitäter, der es aufgenommen hatte, wurde mit einer Kugel im Kopf gefunden. Bevor er starb, bat er seine Mutter um Vergebung dafür, diesen gefähr­lichen Job gewählt zu haben.

Verzweiflung

Kein Tag vergeht ohne fürchterliche Bilder von neuen Massenschlächtereien in Gaza. Diese Bilder zerrissener Körper und verzweifelter Überlebender sind unerträglich. Mindestens 50 000 Palästinenserinnen und Palästinenser (wahrscheinlich viel mehr) sind tot. Ein Drittel davon waren Kinder.

Massaker

Im babylonischen Talmud steht der Satz, die Gegenwart habe eine lange Vergangenheit. Der Gazakrieg hat nicht erst am 7. Oktober 2023 mit dem abscheulichen Massaker der Hamas an israelischen Zivilisten begonnen. Er dauerte schon viele Jahre. Um Rache geht es nicht, die Geiseln haben Israels Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu nie interessiert. Wer hört, was seine rechtsextreme, rassistische Regierung sagt und wer die Fakten des Terrains mit kühlem Kopf analysiert, der weiss: Netanjahu will die Palästinenserinnen und Palästinenser vertreiben. Nicht nur aus Gaza, auch aus den besetzten Gebieten der Westbank. Kritische Israeli erkennen darin den alten Traum der Rechten. Deshalb zerstört Israel gerade die Lebensgrundlagen Palästinas. Was Netanjahu in Gaza treibt, erfüllt alle Kriterien eines Genozids.

Säuberung

Dafür hat er im US-Präsidenten Trump jetzt einen Komplizen. Der liefert die Waffen und propagiert die ethnische Säuberung, um in Gaza ein zweites Las Vegas zu bauen. Trump machte Druck auf den Sudan, die 2 Millionen Bewohnerinnen und Bewohner des Gazastreifens nach ihrer Vertreibung aufzunehmen – doch im Sudan tobt ein schrecklicher Bürgerkrieg.

Derweil schaut Europa weg. Das ist fatal. Was bleibt von uns übrig, wenn wir zulassen, dass Israel die Palästinenser im Namen des Westens aus der Menschheit ausschliesst? Wie können wir noch hoffen, Nationalismus, Rassismus und Antisemitismus zu besiegen, wenn wir die Zerstörung des Menschenrechts und des internationalen Rechts billigend hinnehmen?

Jean Ziegler ist Soziologe, Vizepräsident des beratenden Ausschusses des Uno-Menschenrechtsrates und Autor. Sein 2020 im ­Verlag Bertelsmann (München) erschienenes Buch Die Schande Europas. Von Flüchtlingen und Menschenrechten kam im Frühling 2022 als Taschenbuch mit einem neuen, stark erweiterten Vorwort heraus.

1 Kommentare

  1. Hugo Ballboss 10. Juni 2025 um 13:45 Uhr

    Wer hat Interesse daran, ‘Israel’ mit ‘Genozid’ in Verbindung zu bringen ? [ 1 ]
    Die von Richard Falk, dem ehemaligen ‚Speziellen UNO Berichterstatter für die Menschenrechte in den palästinensischen Gebieten“ als „Widerstandskämpfer“ verharmlosten Hamas [ 2 ] und Konsorten hätten es in der Hand, jeden Kriegsgrund obsolet zu machen:
    Sofortiges Ende der Geiselnahme (ein Kriegsverbrechen, tagtäglich, jede Sekunde, seit dem 7.Okt. 23 ! ) und sich ergeben mit Niederlegung der Waffen.
    Herr Ziegler, nutzen Sie Ihren freundschaftlichen Kontakt zu dem von Ihnen so geschätzten ‚Menschenrechtsspezialisten‘ [ 3 ], anstatt nur wie gehabt Ihren ‚Lieblingsgegner‘ und ‚Hauptschuldigen‘, den Staat jüdischer Selbstbestimmung, zu bezichtigen.
    Hat Falk nicht offensichtlich einen ‚guten Draht‘ zu den Drahtziehern des ‘freiheitskämpferischen’ jihadistischen Terrors ?
    Netanyahu wäre wohl nicht mehrmals gewählt worden, hätten sich die (nationalistischen, sozialistischen) Führer der palästinensischen Seite, vor allem Arafat [ 4 ] auf einen Friedens-Kompromiss eingelassen, anstatt die 2. blutige (Al-Aqsa-) Intifada loszutreten.
    Die Möglichkeit zum Friedensschluss bestand mehrmals [ 5 ]. Doch die Palästinensische Führung ‚verpasste niemals die Gelegenheit, etwas zu verpassen‘.
    Die von Ziegler erwähnte Vorgeschichte reicht über das Vakuum’ (Guterres) hinaus so weit zurück, dass ganz klar ein (roter ?) Faden ausgemacht werden kann: Judenfeindschaft [ 6 ].
    Sie zieht sich seit Mitte des vorletzten Jahrhunderts [ 7 ] über die zwanziger und dreissiger Jahre des letzten Jahrhunderts, mit der Blaupause für den 7. Okt. 23, dem Hebron-Massaker 1929 [ 8 ] bis heute.
    Wer die mutmassliche Zahl der im aktuellen Krieg getöteten Menschen [ 9 ] nicht mindestens nach jeweiliger Verantwortlichkeit (human shields der Terroristen etc), Funktion (kämpfende Terroristen / Zivilisten ) oder Grund (tausende natürliche Todesfälle in diesem Zeitraum !) differenziert, betreibt propagandistische Diffamierung [ 10 ].
    Würden Sie heutzutage Winston Churchill oder die Alliierten wegen der zivilen Todesfälle beim Bekämpfen der Nazis als ‚Völkermord-Verursacher‘ hinstellen ?
    Vor-urteilend von ‘Genozid’ in Gaza zu sprechen, wie das schon seit Jahrzehnten ( ! ) trotz wachsender Bevölkerung geschah [ 11 ], wirkt seltsam bei der unrühmlichen Rolle, die die sozialistische Internationale in dieser Geschichte innehat [ 12 ]. Seit den sechziger Jahren vertritt sie das Narrativ der Propagandamaschinerie der ehemaligen Sowjetunion [ 13 ], um die Existenz Israels in Frage zu stellen, und dies nicht ’nur‘ als Agitprop.
    ‘Genozid’ ist ein juristischer Begriff des Internationalen Rechts, gehört in jene Sphäre und muss auch dort untersucht und beurteilt werden.
    Alles andere ist ‘Banalisierung der Nomenklatur des Bösen’ und damit ein Geschichtsrevisionismus, ähnlich jenem des ‘Historikerstreits’ um Ernst Nolte in den 80er Jahren [ 14 ].
    Mit entsprechenden Schuld- und Ursachenumkehrungen arbeitet eine aus der Sowjetpropaganda hervorgegangene postkolonialistische Richtung der Geschichtserzählung, und auch die ‘pro-Palästina’ (= anti-Israel) – Linke [ 15 – 18 ].
    Soll wirklich die ‘Gretchen-Frage’ gestellt werden ? [ 19 – 21 ]
    ******
    1. Ulrich Schmid: “Südafrikas Genozid-Klage gegen Israel ist ein Verrat an Nelson Mandelas Erbe“, NZZ, 1.2.24; auch Norman JW Goda: “The Genocide Libel: How the World Has Charged Israel with Genocide“, ISCA Research Paper 2025-3
    2. Richard Falk Archive: ”Gaza in real time – Geopolitics versus Genocide” 31.10.23 und “Gaza: After Genocide What Future?” 29.11.23
    3. UN watch: “Richard Falk Archives” und “U.N.’s Richard Falk accuses ‘the organized Jewish community’ of crimes against Palestinians” unwatch.org 24.7.12; auch Eintrag Richard A. Falk auf en.wikipedia.org
    4. Dr. Edy Cohn: “A short history of Palestinian rejectionism”, Begin Sadat Center Perspectives Paper No. 1,449, 16.2.20; auch Harvey Sicherman: “ARAFAT, THE MAN WHO WANTED TOO MUCH“ FPRI, 7.11.24
    5. Ben-Dror Yemini: “A Modern History of Palestinian Rejectionism”, fathom journal, Mai 2023
    6. Mathias Küntzel: “Islamischer Antisemitismus”, bpb bundeszentrale für politische bildung, 30.4. 20
    7. Georges Benssousan: “Pogroms in Palestine before the creation of the state of Israel” fondapol.org
    8. Yardena Schwartz: “Ghosts of a Holy War, The 1929 Massacre in Palestine That Ignited the Arab-Israeli Conflict”, Union Square & Co, 2024
    9. Statistically Impossible: A Critical Analysis of Hamas’s Women and Children Casualty Figures, fathom journal, 3.3.24
    10. New Report Shreds the Hamas-Provided Casualty Numbers That Mainstream Media Won’t Question, HonestReporting, 15.12.24
    11. “FATHI ARAFAT, HEAD OF THE RED CRESCENT, ACCUSES THE ISRAELIS OF ATTEMPTING GENOCIDE OF THE PALESTINIAN PEOPLE”. LEBANON (1962), British Pathé, Archiv Reuters
    12. Hussein Aboubakr Mansour: “The Liberation of the Arabs From the Global Left” tablet magazine, 11.7.22
    13. Izabella Tabarovsky: “Demonization Blueprints: Soviet Conspiracist Antizionism in Contemporary Left-Wing Discourse”, JCA Journal of Contemporary Antisemitism, Vol. 5 No. 1 Spring 2022
    14. Klaus Große Kracht: “Debatte: Der Historikerstreit“, docupedia.de/zg/Historikerstreit
    15. Izabella Tabarovski: “Zombie-Antizionism”, tablet magazine, 31. Juli 2024
    16. Sonja Margolina: “Der gebratene Hahn – wie die von Stalin verordnete antisemitische Hetze über die Juden hinwegrollte“, NZZ, 4.10.2018
    17. Lesley Klaff: “Holocaust Inversion and contemporary antisemitism“, fathom journal, Winter 2014
    18. Ingo Elbe: “Postcolonial Theory and its consequences” academia.edu, De Vrijdagavond. Online Joods Magazine, 2024
    19. Michele Battini: “Socialism of Fools. Capitalism and Modern Anti-Semitism”, Columbia University Press, 2016
    20. Seymour Martin Lipset: “The Socialism of Fools“, New York Times, Jan. 3, 1971
    21. William I. Robinson: “The Unbearable Manicheanism of the Anti-Imperialist Left”, cetri, 4.9.2023

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