Urs Berchtold (57) über Mitsprache beim US-Konzern Rockwell Automation
«Es braucht schon eine gewisse Frechheit»

Elektromechaniker Urs Berchtold ist Peko-Co-Präsident und Stiftungsrat in der Pensionskasse beim US-Konzern Rockwell ­Automation. Das Risiko einer Entlassung wegen seiner gewerkschaftlichen Arbeit blendet er dabei lieber aus.

SETZT SICH ZUR WEHR: Weil Urs Berchtold von der Personalvertretung mehr Einsatz erwartete, begann er, sich selber zu engagieren. (Foto: Florian Bachmann)

Es war ein Schock und zugleich eine Premiere für die Geschäftsleitung der Rockwell Automation in Aarau: 2023 forderten die Angestellten des US-Konzerns in der Schweiz Lohnverhandlungen und holten sich Unterstützung bei der Unia. Urs Berchtold (57) sagt: «Es braucht eine gewisse Frechheit, vielleicht auch Blauäugigkeit, um sich zur Wehr zu setzen.» Als Vorsteher der Personalvertretung hatte Berchtold die Unia für die Verbandsverhandlungen an Bord geholt.

Unia darf nicht ins Haus

Berchtold ist auch Präsident des Stiftungsrates der Pensionskasse von Rockwell und kannte die Zahlen aus dem Geschäftsbericht und die genaue Anzahl der Angestellten in der Schweiz. So wusste er, dass der Konzern sich eine Lohnerhöhung eigentlich leisten konnte und trotzdem blockte. Die Geschäftsleitung schob die Verantwortung auf die Konzernzentrale in den USA ab. Alles, was sie gesagt haben: «Die Unia darf nicht ins Haus, und wir kennen die Schweizer Zahlen nicht.» Am Ende der Verhandlungen gab es immerhin 2,5 Prozent Lohnerhöhung und das Versprechen einer neuen Lohnrunde für das Folgejahr.

2008 war Urs Berchtold nach vielen Reisen und Montagejobs im In- und Ausland nach Aarau zurückgekehrt und begann mit der Arbeit in der Verkaufsabteilung der Rockwell Automation. Es war nicht nur ein Neuanfang, sondern auch eine Rückkehr. Denn am gleichen Ort hatte er in den 80er Jahren seine Lehre als Elektromechaniker gemacht. Damals noch beim auf Schaltgeräte spezialisierten Schweizer Unternehmen Sprecher und Schuh AG, das in der Folge von Rockwell übernommen wurde.

Zahme Personalvertretung

Berchtold wollte mehr Mitsprache im Betrieb. Er liess sich nach seinem Stellenantritt in den Stiftungsrat der Pen­sionskasse wählen. Trotz profitablem Geschäft beschloss der Konzern im Jahr 2017 den Abbau von 500 Stellen und die Verlagerung der Produktion aus der Schweiz nach Polen, in die USA und nach China. Berchtold sagt:

Ich spürte, dass die Personalvertretung damals weitgehend untätig blieb. Aber in einem solchen Fall muss man kämpfen.

Als Personalvertreter fordert Berchtold heute nicht nur mehr Lohn. Er sagt: «Ein wichtiges Anliegen ist uns auch der Datenschutz, wir haben deshalb einen Datenschutzbeauftragten gefordert.» Auch wenn sich die Geschäftsleitung zuerst weigerte, gibt es jetzt ­einen Anwalt, der nach Bedarf eingesetzt werden kann. Berchtold: «Gegenwärtig diskutieren wir über eine App, die der Konzern allen Mitarbeitenden zur Förderung ihrer mentalen Gesundheit zur Verfügung stellen will. Doch auch wenn die Nutzung der App freiwillig ist, hat der Konzern die Daten der Mitarbeitenden bereits mit dem Betreiber der App geteilt.» Nach Einschätzungen des Anwalts ist dieses Vorgehen nicht konform mit der europäischen Datenschutzgesetzgebung. Genau wegen solcher Themen und weil die Konzernleitung die einzelnen Länderorganisationen isolieren möchte, ist Urs Berchtold jetzt auch auf europäischer Ebene aktiv. 2024 ist er zum Sekretär des Euroforums, der Angestelltenvertretung aller Standortländer von Rockwell in Europa, gewählt worden. Berchtold sagt: «Zuerst wussten wir gar nicht, dass es diese Institution bei Rockwell gibt. Aufgrund der Statuten konnten wir letztes Jahr aber ein erstes Treffen in Rotterdam organisieren, bezahlt durch die Firma.»

Fürchtet sich Berchtold vor gewerkschaftsfeindlichen Entlassungen? Er sagt: «Ich muss dieses Risiko ausblenden. Ich bin schon 57 Jahre alt, und es ist nicht sicher, ob ich einen neuen Job fände. Aber dank meiner Mandate habe ich in den letzten Jahren auch sehr viel dazulernen dürfen.» Als Stiftungsrat könnte er auch einen neuen Job in diesem Bereich finden, da seien so grauhaarige Männer wie er auch sehr gefragt. Aber zurzeit möchte er bei der Rockwell Automation bleiben und dort seinen Job gut machen.

Unia-Industrie-Tagung

Mitbestimmung im Betrieb und Schutz von Personalkommissionsmitgliedern Bundesrat Guy Parmelin, SGB-Präsident Pierre-Yves Maillard und Unia-Präsidentin Vania Alleva diskutieren über Mitwirkung und Kündigungsschutz von Peko-Mitgliedern. Zudem werden die Resultate einer Umfrage der Fachhochschule Freiburg über die Mitwirkung und den Kündigungsschutz der Personalkommissionen in der Industrie präsentiert.


Montag 19. Mai 2025, 10–13 Uhr, Unia Zentralsekretariat, Weltpoststrasse 20, Bern
Die Teilnahme an der Tagung ist kostenlos. Das Mittagessen ist inbegriffen. Allen Unia-
Mitgliedern wird das Bahnbillett 2. Klasse entschädigt.

Anmeldung hier.


Kündigungen Fehlender Schutz

Gewerkschaftlich aktive Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen in der Schweiz sind weiterhin der Willkür der Arbeit­geber ausgeliefert. Vor 22 Jahren (!) ­klagte der SGB bei der Inter­nationalen Arbeitsorganisation (ILO), weil das Schweizer ­Arbeitsrecht gewählte Personalvertreterinnen oder Gewerkschaftsvertreter nicht ausreichend gegen missbräuchliche Kündigungen schützt. Trotz ­einer ILO-Empfehlung zur Umsetzung der Konvention 98 weigerte sich der ­Bundesrat, ein entsprechendes Gesetz zum besseren Schutz der Arbeit­nehmenden vorzulegen.

Hoffnung

Die ILO setzte die Schweiz deshalb auf eine schwarze Liste. Auch eine vierjäh­rige Mediation zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften blieb erfolglos. Doch jetzt gibt es Hoffnung. Der verbesserte Kündigungsschutz könnte im Rahmen des EU-Abkommens Realität werden und gewerkschaftlich aktive Arbeit­nehmende damit nach 22 Jahren ­Wartezeit und etlichen ­gewerkschaftsfeindlichen Entlassungen endlich besser ­schützen. 

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