Krise in der Langzeitpflege: Podiumsgespräch in Bern
Heim besetzt 14 Stellen dank Hunde-Hort

Das gibt’s selten: Eine Pflegefachfrau, ein Pensionierter, eine Unia-Sekretärin, ein Heimleiter und ein Curaviva-Vertreter diskutieren zusammen. Und geloben bessere Zusammenarbeit.

SIND SIE BETREUT, KANN FRAUCHEN ARBEITEN: Das Pflegeheim Frienisberg bietet den Pflegenden einen Hunde-Hort – und das Angebot wird rege genutzt. (Foto: Pexels)

An einem von der Unia Bern organisierten Podiumsgespräch sind alle Akteurinnen und Akteure in der Langzeitpflege vertreten: vom Heimleiter bis zur Pflegefachfrau. Was zu hitzigen Kontroversen führen könnte. Doch an diesem Abend steht ihnen nicht der Sinn danach. Hier sitzen Menschen, die vorwärts blicken wollen. Die die Krise abwenden wollen, in die Pflege und Betreuung seit einigen Jahren unaufhaltsam zu schlittern scheinen.

Kreative Lösungen

Menschen, die im Lauf des Gesprächs immer mehr Gemeinsamkeiten entdecken. Das fängt an bei der Frage, was die grössten Probleme der Branche sind. Für Peter Gerber, Leiter des Wohn- und Pflegeheims Frienisberg BE, ist es der Mangel an Pflegerinnen und Pflegern. Mit kreativen und pragmatischen Lösungen versuche das Heim zwar, ein attraktiver Arbeitgeber zu sein. Für Heiterkeit sorgt Gerber, als er vom Hunde-Hort schwärmt, den das Heim anbiete. So müssten Mitarbeitende die Betreuung ihrer Tiere nicht selbst organisieren. Gerber weiss, dass die Idee amüsant ist – aber für Menschen, die Schicht arbeiten, seien solche Angebote sehr willkommen. Gerber sagt:

Sie lachen. Aber ich habe damit 14 neue Fachkräfte verpflichten können!

GEMEINSAM AUS DER KRISE FINDEN: An der Podiumsdiskussion der Unia finden die verschiedenen Akteure der Langzeitpflege zusammen. (Foto: Unia)

Löhne sind zu tief

Trotz aller Innovation: Im Moment besetze das Heim nicht alle Betten, weil es zu wenig Personal finde. Ein Zustand, der auch die Pflegenden in der Branche belaste, sagt Anna Meier von der Unia Bern. Denn wenn Abgänge nicht ersetzt werden können, steigt der Stress für die Verbliebenen. Ein grosses Problem aus Sicht der Mitarbeitenden seien aber auch die bescheidenen Löhne, besonders für Pflegehilfen ohne Berufslehre. Zumal in der Pflege nur wenige der Belastung eines 100-Prozent-Jobs standhalten könnten: «Viele arbeiten deshalb 70, 80 Prozent – mit entsprechend tieferem Lohn.»

Heimleiter Gerber kennt das Problem. Im heutigen System der Pflegefinanzierung habe ein Heim aber kaum Möglichkeiten für deutlich höhere Löhne:

Wir sind finanziell in einem Korsett. Um etwas Gutes für die Mitarbeitenden zu machen, haben wir nicht viel Spielraum.

Heimleiter Peter Gerber. (Foto: zvg)

Wie aber kam es zu diesen Problemen? Unia-Mitglied Sandra Schmied blickt auf bald 30 Jahre Erfahrung als Pflegefachfrau zurück und sagt:

Als ich angefangen habe, waren wir pro Bewohnerin und Bewohner etwa doppelt so viele Pflegende wie heute! Verschlechtert hat sich das in den Nullerjahren. Da kam die neue Pflegefinanzierung.

Pflegefachfrau Sandra Schmied. (Foto: zvg)

Seither finanzieren öffentliche Hand und Krankenkassen nicht mehr ein Heim als Ganzes, sondern die einzelnen Pflegebedürftigen. Anhand eines umfangreichen Katalogs an Pflegeleistungen wird jeder und jede in eine «Pflegestufe» eingeteilt. Allein davon hängt ab, wieviel Geld das Heim erhält.

Einhellig: Kritik an Pflegefinanzierung

Das ist auch für Sevan Nalbandian nicht anders, Geschäftsführer von Curaviva Bern, dem kantonalen Verband der Alters- und Pflegeheime. Er sieht als «Grundproblem» der aktuellen Pflegefinanzierung, dass sie stark auf medizinischen Kriterien beruhe. Und das bilde die Realität eines Heims, in dem die Menschen zu Hause sind und nicht nur zur Behandlung, zu wenig ab.

Damit teilt Nalbandian exakt die Kritik, wie sie in der ersten wissenschaftlichen Studie zum Ausdruck kommt, welche die Pflegenden in den Mittelpunkt stellte. Die Fachhochschule Südschweiz und die Unia haben sie gemeinsam durchgeführt und work hat sie vorgestellt (zum Artikel). 

Curaviva-Vertreter: Systemwechsel

Zwei Dinge kritisiert der Curaviva-Vertreter am heutigen Finanzierungsmodell: Erstens verlange es von den Pflegenden, dass sie jede einzelne Pflegehandlung dokumentieren. Klar brauche es eine gewisse Kontrolle, so Nalbandian. Aber:

Muss das wirklich so viel Zeit beanspruchen?

Sevan Nalbandian, Geschäftsführer Curaviva Bern. (Foto: zvg)

Zweitens müssten die Tarife, neben der Pflege, die Betreuung der Bewohnenden stärker berücksichtigen. Also zwischenmenschliche Kontakte – für die Lebensqualität zentral. «Das würde wahrscheinlich einen kompletten Systemwechsel bedingen, und der geht nicht von heute auf morgen.» Unia-Frau Anna Meier sieht das genauso: Irgendwann komme die Diskussion vermutlich an den Punkt, «an dem wir uns fragen: Was ist das passende System für die Langzeitpflege?»

Auch in weniger fundamentalen Punkten zeigen sich Übereinstimmungen. Etwa darin, Pflegehilfen mit Migrationshintergrund zu unterstützen, damit sie ihre Qualifikation verbessern oder ihr ausländisches Diplom anerkennen lassen können. Oder darin, die Mitsprache der Pflegenden in der Arbeitsorganisation zu verbessern.

Der nächste Schritt scheint damit fast logisch. Heimleiter Gerber: «Wenn wir etwas erreichen wollen, müssen wir in der Branche zusammenarbeiten!» 

Eine Tür geht auf

Noch auf dem Podium machte Gerber Nägel mit Köpfen: Der Kanton Bern erarbeite derzeit eine Strategie für die Langzeitpflege. Im Vorfeld träfen sich Vertreterinnen und Vertreter der Heime mit interessierten Mitgliedern des Kantonsparlaments. Und Gerber lud Unia-Frau Meier ans nächste Treffen ein. Sie nahm dankend an. Denn für sie ist klar:

Wenn es um bessere Rahmenbedingungen geht, müssen die Gewerkschaften mit den Arbeitgebern zusammenarbeiten.

Unia-Sekretärin Anna Meier. (Foto: zvg)

Schreibe einen Kommentar

Bitte fülle alle mit * gekennzeichneten Felder aus.