Jean Ziegler ‒ la suisse existe
Die Schande der Schweiz

Jean Ziegler

November 1947: Die Uno-Generalversammlung beschliesst, das englische Mandatsgebiet (bis 1918 die ottomanische Provinz Südsyrien) in zwei Staaten aufzuteilen: Israel und Palästina. Die palästinensische Urbevölkerung lehnte die Teilung ab. Die israelische Siedlerarmee Hagnah und die israelischen Terrororganisationen Irgun und Stern beginnen eine ethnische Säuberung. Über 4000 palästinensische Dörfer werden zerstört, Tausende palästinensische Bauern und ihre Familien ermordet und über 75 000 Palästinenserinnen und Palästinenser (ein Drittel der arabischen Bevölkerung) vertrieben. Daraufhin ruft die Uno die Hilfsorganisation UNRWA (United Nations Relief and Works Agency in the Middle East) ins Leben.

DIFFAMIERUNG

Heute hat die UNRWA in sechs Ländern, wo 6 Millionen Flüchtlinge wohnen, ein Budget von 900 Millionen Dollar. 32 000 Beamte (13 000 davon in Gaza) arbeiten für das Hilfswerk. Israel kämpft mit allen Mitteln der Diffamierung gegen die Flüchtlingsorganisation, denn diese sichert den Flüchtlingen das Recht auf Rückkehr.

Am 7. Oktober 2023 überfielen Kämpfer der Terrorbewegung Hamas Dörfer in Südisrael und begingen fürchterliche Verbrechen. Israel schlug zurück. Gleichzeitig jedoch begann Israel einen mörderischen Vernichtungskrieg gegen die palästinensische Zivilbevölkerung, die am Hamas-Angriff total unschuldig ist. Über 43 000 Menschen wurden bis anhin getötet, 280 000 schwer verletzt. 70 Prozent davon sind Frauen und Kinder. Dazu kommt: Die Regierung in Tel Aviv unterwirft die palästinensischen Familien einer fast totalen Nahrungsmittelblockade. Etliche Kinder sind bereits verhungert.

SPERRUNG

Eine der ganz wenigen internationalen Organisationen, die die Hungersnot bekämpfen, ist die UNRWA. Wie 35 andere Staaten finanzierte die Schweiz (Jahresbeitrag 20 Millionen Franken) bis anhin die Hilfsorganisation. In der Budgetdebatte für das Jahr 2024 hat das Parlament diesen Beitrag jedoch vorläufig gesperrt.

März 2024: Israel behauptet, die UNRWA sei ein «giftiger Baum, dessen Wurzeln die Hamas sind». Sämtliche westlichen Staaten suspendieren daraufhin ihre Zahlungen. Die Uno beauftragt die ehemalige französische Aussenministerin Catherine Colonna mit einem Untersuchungsbericht. Am 22. April widerlegte Colonna die israelischen Behauptungen. Alle westlichen Staaten – ausser den USA und der Schweiz – nehmen ihre Zahlungen wieder auf.

TODESURTEIL

Amnesty International Schweiz sagt: «Der Bruch mit der UNRWA ist eine Schande für unser Land und ein Todesurteil für Tausende hungernder Menschen.» Trotzdem hat der Bundesrat bisher die Zahlungen an die UNRWA gesperrt.

Die enge Rüstungskooperation der Ruag mit der israelischen Waffenindustrie ist mit ein Grund für die schändliche Haltung der bürgerlichen Parlamentsmehrheit. Laurent Wehrli (FDP), Präsident der Aussenpolitischen Kommission des Nationalrates, wiederholte, was Aussenminister Cassis schon 2021 verkündet hatte: «Wir brauchen keine UNRWA.»

Jean Ziegler ist Soziologe, Vizepräsident des beratenden Ausschusses des Uno-Menschenrechtsrates und Autor. Sein 2020 im ­Verlag Bertelsmann (München) erschienenes Buch Die Schande Europas. Von Flüchtlingen und Menschenrechten kam im Frühling 2022 als Taschenbuch mit einem neuen, stark erweiterten Vorwort heraus.

1 Kommentar

  1. Hugo Ballboss 20. Juli 2024 um 16:35 Uhr

    er tut es wieder…
    „Die palästinensische Urbevölkerung lehnte die Teilung ab. Die israelische Siedlerarmee Ha(a)gnah und die israelischen Terrororganisationen Irgun und Stern beginnen eine ethnische Säuberung. Über 4000 palästinensische Dörfer werden zerstört, Tausende palästinensische Bauern und ihre Familien ermordet und über 75 000 Palästinenserinnen und Palästinenser (ein Drittel der arabischen Bevölkerung) vertrieben.“
    stimmt das so im historischen Ablauf, ist das Narrativ narrensicher ?
    Seit den ersten Einwanderungen jüdischer MigrantInnen Ende des 19. Jahrhunderts kam es zu Übergriffen und Anschlägen auf deren Einrichtungen und Menschen durch arabische Aktivisten.
    Hierzulande nennt man das in linken Kreisen „Ausländerfeindlichkeit“ und protestiert dagegen – zu recht..
    Infolge des Massakers von Hebron und weiterer Unruhen des Jahres 1929, die zu 133 Toten auf jüdischer Seite führten, änderte sich die Rolle der Haganah dramatisch. Sie wurde grösser, ihr Ziel war die Verteidigung der jüdischen Siedlungen.
    Am 15. Mai 1948, einen Tag nach der Ausrufung der Unabhängigkeit Israels, griffen fünf Armeen arabischer Staaten Israel an, wurden aber von der oben pauschal kritisierten Haganah (und anderen Gruppen) des jungen Staates besiegt. Insgesamt haben zwischen 1947 und 1949 rund 750.000 Palästinenser das Gebiet verlassen (u.a. auch auf Anraten der exilierten politischen Eliten, die kein Leben unter jüdischer Verwaltung wollten).
    Die meisten flohen ins Westjordanland, den Gazastreifen oder in benachbarte Länder (wo sie seltsamerweise, obwohl ein Brudervolk, sich nicht integrierten – und teilweise auch nicht sehr gelitten sind. Über die Gründe könnte man vieles schrieben).
    Seitdem leben viele von ihnen als Staatenlose mit Flüchtlingsstatus, der auch ‚dank‘ der UNRWA (unsinnigerweise mit ‚Rückkehrrecht‘) über Generationen vererbt wird.
    Die UNRWA wurde 1949, also NACH der Anerkennung Israels gegründet !
    Am 29. November 1947 rief die Vollversammlung der Vereinten Nationen zur Teilung des britischen Mandatsgebiets Palästina auf (Resolution 181). Das Land sollte in einen jüdischen und einen arabischen Staat aufgeteilt werden.
    Die Israelische Unabhängigkeitserklärung erfolgte am 14. Mai 1948, welche einen jüdischen Staat im ehemaligen Völkerbundsmandat für Palästina etablierte. Die Arabische Liga (nicht ‚die Urbevölkerung‘) lehnte jede Teilung Palästinas und die Gründung Israels ab, so dass eine arabische Koalition einen Tag nach der Unabhängigkeit gemeinsam in das Gebiet des neu gegründeten Landes einmarschierte und den arabisch-israelischen Krieg von 1948 auslöste.
    Die Vereinigten Staaten erkannten den Staat de facto direkt nach seiner Gründung an, die Sowjetunion drei Tage später.. “
    Hier UNO Resolution oder Organisation hui, dort UNO Beschluss pfui ?
    Wer die Jahrhunderte dauernde Vertreibung und auch Ermordung der jüdischen Menschen aus diesem Gebiet in Nahost (also mindestens so ‚Urbevölkerung‘ wie die so genannten ‚PalästinenserInnen‘) auslässt, schreibt sehr einseitig parteiische Geschichte, also wiederum pure Interessen-Propaganda.
    Wie sozialistisch ist sein nostalgisches Hängen an den politischen Zusammenhängen und Beständen aus dem (im Krieg unterlegenen) ottomanischen Reich, mit feudalen Grossgrundbesitztum von Eiltenclans ? Denn wie z.B. Rashid Khalidi auch schreibt er sehr aus Interesse und Sicht jener Besitzelite-Familien, die selbstverständlich gerne ihre vergangene Grösse und Macht wiederhätten. Die gewöhnlichen Menschen sind nur Bauern auf dem Polit-Schachfeld, auch heute noch.

    Israel wird von 162 der 192 anderen Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen, d. h. von über 84 %, diplomatisch anerkannt, darunter von allen fünf Vetomächten im UN-Sicherheitsrat.
    Welche dies ablehnen, ist leicht auszudenken..
    Zur UNRWA noch eine Bemerkung: nicht alle Kritik wurde widerlegt, vieles nicht untersucht.
    Solange in deren Schulen übel antisemitische Indoktrination stattfindet, oder deren Infrastruktur auch für die destruktiven Hamas-Aktionen genutzt werden, sollte alles (auch die Geldflüsse) genauer überprüft und baldmöglichst eine restrukturierte Organsation aufgebaut werden.
    Ob dazu die UNO in ihrer heutigen Ausrichtung willens und fähig ist, muss bezweifelt werden.

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