Doku-Tipp: Die unsichtbaren Arbeiterinnen aus Osteuropa

Diese Journalistin wagt ein Experiment – und erfährt Demütigung und Erschöpfung

Darija Knežević

Die tschechische Journalistin Saša Uhlová wagt das Selbstexperiment: Über mehrere Monate arbeitet sie in Tieflohnjobs in Deutschland, Irland und Frankreich. Was sie dort erlebt, ist Druck, Demütigung und bodenlose Erschöpfung.

AM ANSCHLAG: Journalistin Saša Uhlová hat am eigenen Leib erfahren, wie menschenunwürdig Arbeiterinnen aus Osteuropa behandelt werden. (Screenshot Arte)

Vom Süden in den Norden, vom Osten in den Westen – diesen Weg nehmen viele Arbeitsmigrantinnen und -migranten in Europa für bessere Perspektiven auf sich. Dabei geht es oft um bessere Löhne und bessere Ausbildungschancen als in ihren Herkunftsländern. Die Journalistin Saša Uhlová kann diese Gründe für eine Auswanderung nachvollziehen und wagt dasselbe Experiment. Mit ihrem Tschechischen Pass kann sie ohne viel Bürokratie in den europäischen Mitgliederstaaten arbeiten. Denn die wirtschaftliche Lage ist westlicher und nördlicher besser als in ihrem Heimatland Tschechien, gerade in Bezug auf die Entlöhnung. Uhlová nennt es «Den den eisernen Vorhang der Löhne».

Die Journalistin dokumentiert ihre Reise durch die europäische Arbeitswelt mit der Kamera. Teilweise über eine versteckte Kamera in ihrem Brillengestell. Die wackeligen Filmaufnahmen zeigen ihren ungeschminkten Arbeitsalltag. Ihre erste Reise führt sie auf einen Bauernhof in Deutschland. Dort arbeitet sie für 6.20 Euro Stundenlohn als Erntehelferin. Untergebracht ist sie in einem kleinen Zimmer mit sechs Etagenbetten. Auf dem Hof helfen 30 Arbeiterinnen mit. Alles Frauen aus Polen, die für die Zukunft ihrer Kinder diese harte Arbeit auf sich nehmen. Für Uhlová ist klar: «Ohne die Arbeitsmigration würde die Nahrungsmittelproduktion in Europa vermutlich zusammenbrechen.» Doch der Preis dafür ist sehr hoch.

BODENLOSE ERSCHÖPFUNG

Die Aufnahmen zeigen: die Arbeit auf dem Hof ist Knochenarbeit. Die Frauen arbeiten sieben Tage die Woche über 10 Stunden. Nur freitags können sie früher Feierabend machen und haben so für ein paar Stunden Wochenende. Dokumentiert wird diese Palckerei in einer Art doppelten Buchhaltung: Auf einem Stundenblatt werden die effektiven Arbeitsstunden notiert, auf einem anderen fiktive Stunden, die dem Arbeitsrecht entsprechen. Uhlová kommt in den vier Wochen an ihre körperlichen Grenzen. Besonders eindrücklich ist für Zuschauerinnen und Zuschauer der Tag, als das Arbeitsamt den Hof kontrolliert. Die Beamten kontrollieren alle Details, doch die Arbeiterinnen bleiben dabei unsichtbar.

Während Uhlovás Zeit auf dem Hof kommt es zu Unmut unter den Arbeiterinnen. Sie sind körperlich am Ende, die Hände schmerzen vom Ernten, Gemüse waschen und schneiden Schneiden in eisiger Kälte. Sie sprechen über einen Streik, denn in ihrem Heimatland Polen würden sich Arbeiterinnen und Arbeiter gegen solche Bedingungen wehren. Sie beschliessen, in der Gruppe früher Feierabend zu verlangen, doch die Revolte versinkt in bodenloser Erschöpfung. Einzelne Frauen arbeiten viele Jahre auf dem Landwirtschaftsbetrieb. Doch ausnahmslos alle machen diese Arbeit nur, um das Leben ihrer Kinder in Polen sicherzustellen. Wochen und Monate von ihnen getrennt zu sein, ist die harte Realität vieler Osteuropäerinnen, die in Westeuropa arbeiten. Für Journalistin Uhlová ist die Plackerei bereits nach einem Monat zu Ende. Denn schon die nächste Reise steht an.

KEINE MENSCHLICHKEIT

Erst versucht die tschechische Journalistin, in Grossbritannien Arbeit zu finden. Doch seit dem Brexit ist die Situation für Arbeitsmigrantinnen und -migranten noch prekärer. So reist sie weiter nach Irland, wo sie für 10.50 Euro die Stunde in einem Hotel als Reinigerin tätig ist. Was sie dort erlebt, ist pure Demütigung. Im Hotelbetrieb sind alle Arbeiterinnen und Arbeiter aus der Slowakei. Viele von ihnen sind Anfang Zwanzig zwanzig und erhoffen sich mit der Arbeit in Irland bessere Perspektiven für ihre Zukunft. Ein junges Paar aus der Slowakei arbeitet gemeinsam im Hotel, weil sie in Irland das doppelte Doppelte verdienen als in ihrem Heimatland. Da sie gerne eine Familie gründen möchten, arbeiten sie zurzeit in Irland und sparen das Geld. Für die Hotelangestellten entpuppt sich der Betrieb als Arbeitsort mit menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen. So auch für Uhlová, die als Reinigerin tätig ist. Pro Hotelzimmer hat sie 20 Minuten Zeit. Ein Arbeitstag dauert 11 Stunden, einschliesslich 30 Minuten Mittagspause. In dieser kurzen Pause muss sie oft irgendwo einspringen. Der Druck ist immens, es bleibt nicht einmal Zeit für WC-Pausen.

Ähnlich stressig ist die Arbeit der Journalistin als Haushaltshilfe für alte Menschen in Frankreich. In einem heissen Sommer in Marseille rennt Uhlová von Wohnung zu Wohnung, um Mittagessen zuzubereiten, sich um die Körperpflege ihrer Kundschaft zu kümmern oder den Haushalt zu erledigen. Ihre Arbeitgeberin, eine Agentur, vergisst komplett die Menschlichkeit in diesem Beruf und übt enormen Zeitdruck auf die Angestellten aus. Die Reise von Haushalt zu Haushalt nimmt viel Zeit in Anspruch, bleibt aber gänzlich unbezahlt. Für Uhlová eine Arbeit, die mit viel Emotionen verbunden ist, denn in nur wenigen Tagen baut sie Freundschaften zu den betagten Menschen auf. Bei dieser Arbeit bekommen die Zuschauerinnen und Zuschauer zu spüren, wie einsam diese Arbeit sie macht. Obwohl sie jeden Tag auf Menschen trifft und ihnen im Haushalt hilft, hat sie kein Team, mit dem die Sorgen teilen kann und in dem sich sich gegenseitig unterstützen können.

Ein Doku-Film aus dem Hause Arte, der unter die Haut geht. Die Journalistin Saša Uhlová erlebt schamlose Ausbeutung, katastrophale Arbeitsbedingungen und zeigt auf, wo Arbeitsmigrantinnen komplett unsichtbar bleiben. Die Reportage «Die Unsichtbaren – Arbeiterinnen aus Osteuropa» geht 96 Minuten und kann hier in voller Länge abgespielt werden. Das Video ist bis am 18. April verfügbar.

1 Kommentar

  1. Klara Ksiazkiewicz

    Die mit „schamloser Ausbeutung“ und „katastrophaler Arbeitsbedingungen“ auf dem Gemüsehof in Süddeutschland bezeichneten „Zustände“ sind absolut falsch geschildert. Natürlich sind die Arbeitsbedingungen in der Landwirtschaft nichts für „Weicheier“, da die ganze Arbeit bei jeder Witterung erfolgen muss. Und vor allem oft unter großem Zeitdruck, sei es vor dem wie gesagt Wetter, sei es – und das ist das allergrößte Problem – der Preisdruck, den die Discounter ausüben. Das gehört in den Medien bekannt gemacht und die Verbraucher drauf hingewiesen. Wenn die Salatköpfe zu groß sind, nicht die Norm haben, werden sie nicht abgenommen, sie können vernichtet werden…
    Was diesem Hof vor einigen Jahren tatsächlich passiert ist.
    Da gibt es viel anzuprangern. Aber was in diesem Bericht über diesen Hof berichtet wurde, ist absolut daneben. Ich bin aus diesem Ort und kenne die Familie Botzenhard. Und unterstütze sie, indem ich seit Jahren das Gemüse aus ihrem Hofladen beziehe.

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