«Dune»: Ein Hollywood-Film als Schlachtengemälde der Globalisierung

«Sorry, wir haben die Welt aufgebraucht»

Nils Boeing*

Manchmal hilft Science-Fiction, die Gegenwart besser zu verstehen. Was uns die Romanverfilmung «Dune» über Ökologie, Rohstoffkriege und Autokratie zu sagen hat.

HOCHPOLITISCHE SPANNUNG: Paul Atreides und Chani Kynes sind die Hauptfiguren des Blockbusters «Dune II». (Foto: Warner Bros)

Futuristische Soldaten kämpfen mit Schwertern, Laserkanonen zerstören Fabriken, riesige Sandwürmer durchpflügen eine Wüstenlandschaft: Auf den ersten Blick wirken «Dune» und «Dune II», die aktuell in den Kinos laufen, wie weitere Blockbuster aus der Abteilung negative Utopie, die Hollywoods Filmindustrie seit einigen Jahren bedient. Doch damit täte man den Filmen unrecht. Nicht bloss hat Regisseur Denis Villeneuve einen der berühmtesten Science-Fiction-Romane des 20. Jahrhunderts meisterhaft in Szene gesetzt. Der Roman des US-Amerikaners Frank Herbert, 1965 veröffentlicht, kombinierte erstmals shakespearehaften Verrat mit hochpolitischen Themen – die heute aktueller denn je sind.

SPIEGEL DER GEGENWART

Brutale Ausbeutung von Rohstoffen, die unerträgliche Arroganz der Macht, ruchlose Autokraten und ihre Kartelle, Krieg gegen die Zivilgesellschaft, Religion als politische Ideologie – «Dune» enthält alles, was vielen Menschen im Jahr 2024 auf die Stimmung drückt.

Es ist noch immer ein weitverbreitetes Missverständnis, dass es in der Science-Fiction im wesentlichen um die Zukunft gehe. Um atemberaubende Technologien, mit denen die Menschheit das Weltall erobert. Frank Herbert gehörte damals zu einer neuen Generation von Autorinnen und Autoren, die anderes im Sinn hatten. 1981 sagte Herbert im Gespräch mit dem US-Magazin «Mother Earth»: «In der Science-Fiction kann ich mit unterhaltsamen und dramatischen Geschichten arbeiten, die Analogien zur Gegenwart sind.»

Die Handlung von «Dune» in aller Kürze: In einer fernen Zukunft ist die Milchstrasse ein Imperium, das die Menschheit im Griff hat. Demokratie ist unbekannt, es geht um unermessliche Profite, die einige wenige Adelshäuser aus dem Handel zwischen Sternsystemen ziehen. Der ist nur möglich dank einer Substanz, die ausschliesslich auf dem Wüstenplaneten Arrakis – auf «Dune» – zu finden ist und ohne die eine interstellare Raumfahrt nicht möglich wäre. Wer den Abbau dieser bewusstseinserweiternden Substanz, des «Spice» (Gewürz), kontrolliert, dem winken noch mehr Reichtum und noch mehr Macht.

Die einheimische Bevölkerung des Planeten, die sich über Jahrtausende perfekt an die Wüstenökologie angepasst hat, muss in Schach gehalten werden. Wenn das nicht genügt, werden kurzerhand Tausende weggebombt. Bis ein geheimnisvoller Aussenseiter einen Aufstand der «Fremen», wie die Einheimischen sich nennen, anzettelt.

ÖKOLOGIE, ERLEUCHTUNG UND DROGEN

Dass Frank Herberts Roman schon bald nach Erscheinen ein spektakulärer Erfolg wurde, kann nicht überraschen. Ökologie, Erleuchtung, Drogen und Antiimperialismus waren die Themen der gerade aufkeimenden Gegenkultur der Sechziger. Ihr Unbehagen am Kapitalismus der Nachkriegszeit verdichtete sich in «Dune» zu einer epischen Erzählung, in der ein radikaler Bruch mit der bestehenden Zivilisation aufschien. Vor allem der Guerrilla-Kampf der «Fremen» hatte deutliche Parallelen zum Vietnamkrieg (1955 bis 1975): hier die hochgerüstete Armada des mächtigsten Staates der Welt, der USA, dort eine indigene Bevölkerung, die mit einfachen, cleveren Mitteln diese Armada ins Straucheln bringt.

Frank Herbert hatte seit Ende der 40er Jahre als Journalist gearbeitet. Als Kriegsberichterstatter in Vietnam deckte er einen Korruptionsskandal auf, in den US-Truppen und die Familie des südvietnamesischen Präsidenten Nguyên Văn Thiêu verwickelt waren. Zahlreiche US-Medien griffen seine Enthüllung auf.

Spätere Generationen erkannten im Kampf um das «Spice», der Millionen-Dollar-Substanz in Herberts fiktivem Universum, den Krieg ums Öl im Nahen Osten. So manche US-Soldaten lasen im Irakkrieg (2003–2011) «Dune». Es öffnete ihnen die Augen dafür, dass sie Teil eines ungerechten imperialen Feldzuges waren. Umso mehr, als die «Fremen» auf dem Wüstenplaneten Abkömmlinge einer Arabisch sprechenden Kultur der alten Erde waren. Und sich mit einem messianischen Aussenseiter als Anführer in einem religiösen Furor gegen die Besatzer wandten.

Inzwischen wird noch eine andere Parallele sichtbar. In Herberts Welt kontrolliert ein Kartell den Handel zwischen den Sternen. In der deutschen Übersetzung heisst dieses Kartell «Merkantile Allianz für Fortschritt und Entwicklung im All», MAFEA. Sieht man einmal vom Sprachwitz des deutschen Übersetzers ab, ist in der digitalen Wirtschaft die Entwicklung eines solchen Kartells längst im Gange. Die MAFEA unserer Gegenwart ist GAFAM: kurz für die Konzerne Google (Alphabet), Amazon, Facebook (Meta), Apple und Microsoft. Wie dieses Datenkartell den Zugang für Onlineaktivi-täten immer stärker kontrolliert, hat der -Berliner Soziologe Philipp Staab in seinem lesenswerten Buch «Digitaler Kapitalismus» untersucht.

EINE LEICHTE PROGNOSE

Das «Dune»-Universum des Frank Herbert ist selbstverständlich keine Prognose. Science-Fiction beschreibe Gedankenexperimente – so formulierte es einmal die legendäre Science-Fiction-Autorin Ursula K. Le Guin, deren Werke ähnlich wegweisend wie Frank Herberts «Dune»-Zyklus aus sechs Romanen waren.

Herbert war, wenig überraschend, kein Freund fossiler Energien. Für ihn waren sie ein Teil dessen, was er die «Büchse der Pandora gewalttätiger Technik» nannte. In einem Fernsehinterview mahnte er bereits 1977 den raschen Übergang zu erneuerbaren Energien an. Und sagte einen Satz, der dann doch etwas von einer Prognose hat: «Ich möchte nicht in eine Situation gezwungen werden, in der ich meinen Enkeln sagen muss: Sorry, es gibt keine Welt mehr für euch, wir haben sie aufgebraucht.»

* Niels Boeing ist Physiker und Journalist. Seine Kerngebiete sind neue Technologien wie künstliche Intelligenz, Anthropologie und Urbanismus. Er ist Autor für das «ZEIT Wissen»-Magazin. 

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