worktag

Fotografin Yoshiko Kusano (52): Im Bundeshaus oder im Bordell unterwegs

Iwan Schauwecker

Seit 25 Jahren spürt Yoshiko ­Kusano als Fotografin den Puls der Zeit. In ihrer Arbeit fängt sie die visuellen Spannungen des Moments und die tiefergehenden gesellschaftlichen Veränderungen ein.

FOTOGRAFIN Yoshiko Kusano (52) ist vielseitig beschäftig. (Foto: Annette Boutellier)

Am Ufer der Aare, am Fuss der Berner Altstadt, scheint die Zeit in einer anderen Geschwindigkeit zu fliessen. Hier teilt die 52jährige Yoshiko Kusano ihr Atelier mit einer befreundeten Fotografin. «Früher waren hier Schreiner-Lehrlinge, aber seit über 24 Jahren können wir diesen Raum als Fotoatelier nutzen», schwärmt Kusano von ihrem Atelier mit Holzboden und natürlichem Oberlicht. Hier entstehen die Ideen für Kusanos Fotoprojekte, und hier fügt sie ihre Bilder zu Geschichten zusammen. Als freischaffende Fotografin konnte Kusano in den letzten Jahren verschiedene Bücher publizieren, über den Frauenstreik 2019, Sexarbeiterinnen oder auch über die Strafanstalt Hindelbank. Das gute Foto sei auch oft eine Frage der Vorbereitung: «Ich überlege mir: was ist der richtige Moment, was ist das richtige Sujet?»

VON GEGENSTÄNDEN ZU MENSCHEN

«Das Schönste an meinem Beruf ist, dass ich an Orte und zu Menschen gelange, zu denen ich sonst keinen Zugang hätte», sagt Kusano über ihren Job. Nach ihrer Zeit als Mitarbeiterin in der Notschlafstelle, als Köchin und als Bewohnerin der alternativen Berner Wohnsiedlung Zaffaraya machte Kusano im Alter von 25 Jahren eine Lehre zur Fotografin.

«Damals arbeitete ich für einen Werbefotografen, wir fotografierten fast ausschliesslich Gegenstände im Studio», sagt sie über ihre Lehrzeit. Aber für sie war schon damals klar, dass sie nach der Lehre keine Werbekataloge machen, sondern als Pressefotografin arbeiten wollte.

URGESTEIN IM BUNDESHAUS

Ab dem Jahr 2000 konnte sie für die Fotoagentur Key­stone die Politikerinnen und Politiker im Bundeshaus ablichten. «Inzwischen bin ich länger dort als der amtsälteste Nationalrat, der Gerhard Pfister.» Sie sei damals eine der wenigen Frauen gewesen, und auch heute noch sei die Pressefotografie ein männerdominierter Beruf. Man müsse permanent verfügbar sein, oft am Abend und am Wochenende arbeiten. Zudem seien Sportereignisse sehr wichtig, und es sei auch körperlich anstrengend.

Im Bundeshaus hat Kusano zu Beginn ihrer Laufbahn noch selber Filme entwickelt und mit der Pressefotografie gutes Geld verdient. «Heute ist die Fotografie ein Massenprodukt, und viele haben das Gefühl, dass sie es auch selbst könnten», sagt Kusano. Die schwierigere Situation für Fotografinnen und Fotografen habe natürlich auch mit dem Niedergang der Zeitungen zu tun. Die Verlage würden immer weniger zahlen. Social Media und die Handyfotografie hätten auch dazu geführt, dass das professionelle Fotografieren im öffentlichen Raum viel schwieriger geworden sei. «Das Bild hat heute viel weniger Wert, und der Schutz der Privatsphäre wird immer wichtiger», sagt Kusano.

DAS FEMINISTISCHE AUGE

Kusano hat einen Instagram-Account, den sie vor allem zur Publikation von witzigen Fotos und für das Fotografinnen-Netzwerk «Purple Eye» nutzt. Im Jahr 2019 startete Kusano einen Aufruf unter Arbeitskolleginnen zur Dokumentation des Frauenstreiks. Die Idee war, dass möglichst viele Fotografinnen aus der ganzen Schweiz den Tag fotografieren und ihre Arbeit sichtbar machen. «Wir hatten dann die grösste Bildersammlung des Streiks und haben am Anfang der Pandemie ein Buch mit den besten Bildern des Streiks publiziert.» Inzwischen hat sich «Purple Eye» von einem losen Netzwerk zu einem Verein weiterentwickelt. «Ich habe in dieser Zeit auch viel über genderinklusive Sprache und Queerness gelernt», sagt Kusano. Denn Rassismus und Sexismus seien auch in linken Kreisen ein Problem, und der bewusste Umgang mit Bildern und Sprache helfe, verschiedene Diskriminierungsformen zu erkennen.

TAG DER FRAU ALS FEIERTAG

Kurz nachdem sich Kusano vor 16 Jahren selbständig machte, wurde sie Mutter. «Als ich die Kinder hatte, bekam ich plötzlich weniger Aufträge», sagt sie. Das seien für sie beruflich sehr schwierige Jahre gewesen, und es habe sie «hässig» gemacht, dass sie von manchen Kunden einfach nicht mehr angefragt worden sei. «Unsere Kinder waren ab vier Monaten in der Kita, und ich war flexibel», aber da habe sich trotzdem etwas verändert. Heute kann sich Kusano monatlich einen Lohn von etwa 5000 Franken auszahlen, mit dem sie auch die Miete des Ateliers und die Spesen zahlen muss.

Am 8. März hatte sie einen weiteren Auftrag im Bundeshaus. Auf Einladung von Ständeratspräsidentin Eva Herzog wurden 300 Frauen ins Bundeshaus eingeladen. Da kamen Politikerinnen und Frauen aus der Wirtschaft und der Kultur zum Tag der Frau zusammen. Kusano hat diesen Tag dokumentiert, die Stimmung, die Reden und die Energie der Frauen eingefangen. Damit will auch sie einen Beitrag leisten, dass Gleichberechtigung auf Augenhöhe dokumentiert wird und der Tag der Frau in der Schweiz zu einem Feiertag wird.


Yoshiko KusanoReithalle und Berge

Yoshiko Kusano lebt mit ihrem Mann, der eine Weinhandlung führt, und ihren zwei Kindern in der Stadt Bern. Kusano begleitet ihre 13jährige Tochter häufig an Tennis-Matches und den 16jährigen Sohn manchmal zu den Skirennen des Jugendkaders in die Berge. Die sportliche Begeisterung der Kinder sei aber eher auf den Vater zurückzuführen. Kusano liebt mehr Kultur und das Theater und die alternative Kultur, zum Beispiel im Schlachthaus-Theater, der Dampfzentrale und der Reithalle.

WER KOCHT DENN DA?

Aktuell arbeitet Kusano an einem Buch des Rotpunktverlages zum Thema Care-Arbeit: Wer kocht, putzt und tröstet denn da? Im Rahmen dieses Projekts besucht sie acht Haushalte und zeigt unterschiedliche Lebensmodelle und ihre Arbeitsaufteilung. Zu Hause gebe es oft auch ein «Gschtürm» wegen der Haus­arbeit. Die Wäsche und das Kochen übernehme immer noch mehrheitlich sie selbst. Der Vater kümmere sich mehr um die Ausbildung der Kinder.

FOTOGRAFIN FÜR WORK

Als sie Pressefotografin wurde, brauchte sie einen Presseausweis und wurde deshalb Mitglied bei Impressum, dem Berufsverband der Medienschaffenden der Schweiz. Kürzlich habe sie herausgefunden, dass ihr Vater, der aus Japan stammt, und früher am Theater als Bühnentechniker arbeitete, Mitglied bei der Unia ist. Wenn er die workzeitung liest, kann er da immer wieder mal Fotos von Yoshiko Kusano entdecken.


Weitere Artikel zum Thema:

Schreibe einen Kommentar

Bitte fülle alle mit * gekennzeichneten Felder aus.