Ernes Europa

AHV-Sieg: «Renten­revolution»

Roland Erne

Roland Erne war Chemielaborant und GBI-Jugendsekretär. Seit 2017 ist er Professor für Europäische Integration und Arbeitsbeziehungen am University College Dublin.

Der Abstimmungserfolg vom Sonntag, 3. März, fand in ganz Europa Beachtung. Die Presse kommentierte prägnant: «Ren­­tenrevolution!» Und: «Deutlicher konnten die Eidgenossen fast nicht zeigen, dass in ihrem einst so sparsamen und wirtschaftsliberalen Land neue Zeiten angebrochen sind», schrieb die «Süddeutsche Zeitung» über den deutlichen AHV-Abstimmungserfolg des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes.

FANAL. Dieser Abstimmungssieg ist tatsächlich revolutionär. Er ist ein Fanal für ganz Europa. Seit der globalen Finanzkrise von 2008 empfehlen die EU-Kommission und die EU-Finanzminister den EU-Staaten regelmässig antisoziale Rentenreformen. Seitdem versuchten fast alle europäischen Regierungen, das Rentenalter zu erhöhen. Zumeist mit Erfolg. In Deutschland wird das Renteneintrittsalter stufenwiese auf 67 Jahre erhöht. Dennoch kam es zu keiner breiten Gegenmobilisierung. Einerseits befürworteten leider auch deutsche Sozialdemokraten die Erhöhung des Rentenalters. Andererseits gelten Streiks gegen Rentenreformen in Deutschland als «politische Streiks», die nicht zulässig sind. Zudem gibt es in Deutschland nur auf regionaler und lokaler Ebene direktdemokratische Rech­­te, mit denen Gewerkschaften und so­ziale Bewegungen direkt in die Politik eingreifen können.

DEKRET. Das ist in Frankreich anders. 2023 führte die neoliberale Rentenreform von Präsident Emmanuel Macron zu massiven Protesten (work berichte­­te). Im Parlament bekämpften grüne und linke Abgeordnete Macrons Rentenreform, laut der künftig nur noch Beschäftigte mit 43 Beitragsjahren Anrecht auf eine volle Rente haben sollten. Doch Macrons Regierung verabschiedete die Reform per Dekret. Dies führte zu wochen­langen Massendemonstrationen und Streiks. Doch auch das reichte nicht aus, um Macrons antisoziale Rentenreform zu verhindern. Deshalb versuchten linke Abgeordnete und Gewerkschaften, sie mit direktdemokratischen Mitteln zu stoppen.

REFERENDUM. Seit 2013 können 20 Prozent aller nationalen Abgeordneten und 10 Prozent aller französischen Bürgerinnen und Bürger ein verbindliches Referendum verlangen. Doch auch dieser Versuch scheiterte, da das Verfassungsgericht die Unterschriftensammlung aus fadenscheinigen Gründen nicht zuliess. Die Zahlen aus den an Frankreich grenzenden Schweizer Kantonen lassen den wahren politischen Grund dafür erahnen. Im ganzen Jurabogen stimmten über 70 Prozent für die 13. AHV-Rente und über 80 Prozent gegen die Renten­altererhöhung. Es ist deshalb kaum ein Zufall, dass die Umfragewerte für die neoliberale Partei Macrons derzeit bei mageren 19 Prozent liegen.

Schreibe einen Kommentar

Bitte fülle alle mit * gekennzeichneten Felder aus.