Wegen Störmanöver der Konkurrenz:

Tausende Stromer müssen um Löhne bibbern!

Jonas Komposch

Seit dem 1. Januar gilt der Elektro-Gesamtarbeitsvertrag nur noch für Verbandsfirmen. Dahinter steckt ein Rekurs der Netzinfrastruktur-Branche. Doch eine Lösung ist in Sicht.

IM KABELSALAT. Die Netzinfrastruktur-Branche hat tiefere Löhne und längere Arbeitszeiten als die Elektrobranche. (Foto: Keystone)

2,2 Prozent mehr Lohn für alle 22 000 Stromerinnen und Stromer der Schweiz – und zwar ab dem 1. Januar 2024. So lautete das Resultat der letztjährigen Lohnverhandlungen zwischen den Gewerkschaften und der Elektrobranche. Doch es kam anders.

Aktuell ist die Lohnerhöhung nämlich ganz und gar nicht für alle gesichert. Sondern nur für jene Büezerinnen und Büezer, die in einer Mitgliedsfirma des Branchenverbands EIT.Swiss arbeiten. Nicht organisierte, sogenannt «wilde» Elektrofirmen sind zwar in der Minderheit. Trotzdem beschäftigen sie schweizweit mehrere Tausend Stromerinnen und Stromer. Und diese Berufsleute dürfen sie aktuell ohne einen Rappen Lohnerhöhung abspeisen. Damit nicht genug. Sogar die bisherigen Mindestlöhne und sonstigen Schutzbestimmungen des Gesamtarbeitsvertrags (GAV) könnten die «Wilden» unterlaufen – und das ganz legal. Denn auch der GAV ist nicht mehr allgemeinverbindlich, sondern gilt aktuell nur noch für Verbandsfirmen. Der Grund lässt aufhorchen.

Rekurs in letzter Sekunde

Bekanntlich wollen die Gewerkschaften Unia und Syna den Elektro-GAV weiter verbessern. Bisher war eine Einigung mit den Arbeitgebern aber nicht möglich. Und Ende 2023 lief die ursprüngliche Vertragsdauer aus. Um aber einen vertragslosen Zustand zu verhindern und die abgemachte Lohnerhöhung von generell 2,2 Prozent zu sichern, vereinbarten die Parteien eine GAV-Verlängerung um ein Jahr. Und beim Bundesrat beantragten sie, die GAV-Allgemeinverbindlicherklärung (AVE) ebenfalls um ein Jahr zu verlängern.

Doch genau hier funkte die Netzinfrastruktur-Branche dazwischen, also jene Firmen, die hauptsächlich Nieder- und Hochspannungsleitungen bauen, Fahrleitungen montieren oder Telekommunikationstechnik unterhalten. Sie legten beim Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) quasi in letzter Sekunde Rekurs ein gegen die AVE-Verlängerung – und zwar mit Unterstützung der Gewerkschaft Syndicom. Und so steht die Elektrobranche – erstmals seit vielen Jahren – ohne allgemeinverbindlichen GAV da. Doch was steckt dahinter?

Stromer-GAV schlägt Netzinfrastruktur-GAV

Die Netzinfrastruktur-Branche kennt erst seit 2016 einen GAV. Verhandelt hat ihn auf Arbeitnehmerseite die Gewerkschaft Syndicom. Allerdings gelang es nicht, an den GAV des verwandten Elektrogewerbes anzuschliessen. Dieser ist in vielen Punkten fortschrittlicher. So gilt für Elektromonteurinnen und -installateure längst die 40-Stundenwoche. Netzelektriker dagegen haben noch eine 42-Stundenwoche, arbeiten also rund 100 Stunden mehr pro Jahr. Auch ihre Mindestlöhne sind tiefer als jene der Kolleginnen und Kollegen unter dem Elektro-GAV. Relevant ist das, weil gewisse Stromerbetriebe auch Leistungen im Netzinfrastrukturbereich anbieten, mit dieser Branche also konkurrieren. Streitpunkt sind dabei die sogenannten Steigzonen, also der Bereich der Zuleitungen in ein Gebäude, sowie die Montage von Glasfasersteckdosen. Die Netzinfrastrukturbranche befürchtete nun, dass ihr der bessere Elektro-GAV in die Quere komme und die Lohnkosten in die Höhe treibe. Daher der Rekurs. Yannick Egger von der Unia-Sektorleitung Gewerbe sagt dazu: «Wir und auch die Elektrobranche wurden von diesem Rekurs-Entscheid überrascht. Aber danach haben wir mit Hochdruck eine Lösung gesucht.» Und auch gefunden.

Rekurs vom Tisch, Seco muss liefern

Ende Januar unterzeichneten die Vertragspartner beider Branchen eine Vollzugsvereinbarung. Diese regelt die Zuständigkeiten bis ins kleinste Detail. Die Netzinfrastruktürler zogen dafür ihren Rekurs zurück. Ganz gelöst ist das Problem damit aber nicht. Denn wann das Seco die Allgemeinverbindlichkeit bewilligt, ist nicht absehbar. Um solchen Verzögerungen künftig einen Riegel zu schieben, enthält die Vereinbarung einen weiteren zentralen Punkt: Bei Unstimmigkeiten darf nicht mehr direkt Rekurs erhoben werden, sondern die Sozialpartner der Netzinfrastruktur-Branche müssen zuerst das Gespräch mit den Elektro-Sozialpartnern suchen. Und umgekehrt.


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