Trotz Weltspitze

Grösster Streik in der Geschichte: Islands Frauen sind immer noch hässig

Iwan Schauwecker

100 000 Frauen gingen in der isländischen Hauptstadt Reykjavík auf die Strasse. Sie fordern endlich Lohngleichheit und Schluss mit sexualisierter Gewalt gegen Frauen.

LAUT: Die Frauen in Island haben gezeigt, wie ernst es ihnen ist. (Foto: AP)

Ein Viertel der Bevölkerung Islands waren am 24. Oktober auf der Strasse. Es war der grösste Streik in der isländischen Geschichte und ein Zeichen, dass die Frauenbewegung über Generationen hinweg für Gleichberechtigung kämpft. Der erste Frauenstreik in Island fand genau 48 Jahre zuvor statt: Am 24. Oktober 1975 legten die Einwohnerinnen den Inselstaat ein erstes Mal lahm. Damals verdienten Isländerinnen im Schnitt weniger als 60 Prozent der Männerlöhne, und die Hausarbeit und Kindererziehung lastete fast ausschliesslich auf den Schultern der Frauen.

PIONIERIN ISLAND

Dieser erste Streik war ein Schlüsselmoment und löste in Island eine Welle von gesellschaftlichen Veränderungen aus. Island wählte 1979 als weltweit erstes Land eine Frau zur Präsidentin. Im Jahr 2010 wurde eine Frauenquote von 40 Prozent für Verwaltungsräte von grossen Unter­nehmen eingeführt, und Firmen, die Frauen schlechter als Männer in ­vergleichbaren Positionen bezahlen, werden seit 2017 mit einer Busse bestraft. Auch bei der Elternzeit haben die Isländerinnen viel erreicht: Seit 2021 beträgt sie für beide Elternteile je sechs Monate.

Island will bis 2030 die vollständige Gleichberechtigung erreichen.

NICHT 300 JAHRE WARTEN

Doch die Isländerinnen haben weiterhin genügend Gründe für ihren Protest: so etwa die ungleich verteilte Care-Arbeit, geschlechtsspezifische Gewalt und sexuelle Belästigung. Auch die isländische Ministerpräsidentin Katrín Jakobsdóttir schloss sich dem Frauenstreik in Reykjavík an. Sie erklärte, dass sie bis 2030 die vollständige Gleichstellung der Geschlechter in Island erreichen und damit ein Vorbild für die Welt sein wolle. Jakobsdóttir zitierte Schätzungen der Vereinten Nationen, wonach es beim derzeitigen Tempo des Fortschritts 300 Jahre dauern wird, um weltweite Gleichstellung zu erreichen, und fügte hinzu: «Wir wollen nicht hinnehmen, dass Frauen weltweit 300 Jahre auf die vollständige Gleichstellung warten müssen.»

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