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Maurer Giuseppe Petrucci (53): Der «Tipo normale» vom Bau

Iwan Schauwecker

Jurastein klopfen, Fugen kitten und alte WC rausreissen: Maurer Giuseppe Petrucci ist ein wasch­echter Bau-Allrounder – mit einem Flair für Archäologie.

MAURER GIUSEPPE PETRUCCI (53) büezt seit 24 Jahren im Berner Seeland. (Foto: Matthias Luggen)

Schon in der Morgendämmerung düst er los. Denn Giuseppe Petruccis Arbeitstag beginnt um punkt sieben Uhr. Für das Familienunternehmen Mäusli Bau aus Seedorf BE, gegründet 1979 von Karl Mäusli, mauert und verschalt er die Wände der neu entstehenden Einfamilienhäuser und Gewerbebauten im Berner Seeland.

Petrucci ist gelernter Maurer, erledigt aber verschiedenste Arbeiten im Hoch- und im Tiefbau. Manchmal führt er auch kleine Bagger. Seine Lieblingstätigkeit sei aber die Büez im Gartenbaubereich mit Natursteinen. Petrucci schwärmt: «Einen richtigen Klotz Jurastein in die richtige Passform klopfen – das ist für mich das Schönste.» Aber auch feine Plattenarbeiten bereiten Petrucci Freude, besonders wenn es ein ­Terracotta-Mosaik werden soll. Dieses Wissen, wie Steine richtig gesetzt werden, hat für ihn sogar eine historische Dimension.

ANTIKES HANDWERK. Römische Geschichte oder auch die Architektur der Pyramiden in Ägypten und die der Mayas faszinieren den Baufachmann. Genauso wie die erdbebensicheren antiken Bauweisen in seiner Heimat Sizilien. Aufgewachsen ist Giu­seppe Petrucci nämlich in Agrigento an der Südküste der Insel. Dort stehen über 2500 Jahre alte griechische Tempel, heute ein Unesco-Weltkulturerbe. Für Petrucci sind die Tempelanlagen aber mehr als ein Tourismus-Hotspot: «Manche Kulturen aus früheren Zeiten waren uns überlegen, auch wenn viele denken, dass wir Heutige die Intelligentesten seien.»

Bereits Petruccis Vater hat als Mauer gearbeitet. Im Alter von 17 Jahren kommt Petrucci erstmals in die Schweiz zu seiner Schwester und findet einen Job als Gärtner. Das war 1986. Sechs Jahre später kehrt er nach Sizilien zurück und heiratet dort seine jetzige Frau. Zwei Jahre nach der Geburt seines Sohnes reist er erneut in die Schweiz und lebt seither im Berner Seeland. Anders seine Frau und der inzwischen 26jährige Sohn. Sie haben nie länger in der Schweiz gelebt, kommen aber hin und wieder auf Besuch. Und immer im August kehrt Petrucci nach Sizilien zu seiner Familie zurück.

GEWERKSCHAFT IM BLUT. In Lyss lebt Maurer Petrucci in einem grosszügigen Studio mit Balkon in der Nähe des Bahnhofs. Nach einem achtstündigen Arbeitstag mit Mittag in der Baracke ist er froh, wenn er sich zu Hause erholen kann. Denn: «Am Abend ist die Batterie einfach leer.» Für ein feines Znacht reiche sie aber gerade noch. Am liebsten koche er Spaghetti carbonara und schaue noch etwas Sport. Besonders Formel 1 und Radrennen haben es ihm angetan. Aber auch Fussball interessiert ihn, erst recht, wenn Inter Mailand spielt. Seit seiner Kindheit sei er Fan dieser Mannschaft, so wie auch sein Vater. Bereits um zehn Uhr sei dann aber jeweils Schluss. «Unsere Arbeit macht sehr müde, da schläfst du früh und gut.»

Petrucci versteht sich als «Tipo normale», als normaler Typ. Und gerade das sei für ihn auch ein Grund, Gewerkschafter zu sein. Denn nur wenn die normalen Leute, die Büezerinnen und Büezer, zusammenstünden, könnten sie ihre Rechte verteidigen. Die Gewerkschaft sei bei den Petruccis aber auch eine Art Familientradition: «Bereits mein Vater war Mitglied in der CGIL, der grössten Gewerkschaft Europas. Und der Grossvater war es auch schon.» Petrucci erzählt gelassen, aber auch mit ein wenig Stolz. Denn: «Ich habe schon immer an die Gewerkschaft geglaubt.»

GUTER LOHN UND KEIN STRESS. Kein Wunder, ist er schon 20 Jahre bei der Unia. Inzwischen präsidiert er sogar die regionale Baugruppe und ist auch im Regionalvorstand aktiv. Doch mit seinem eigenen Arbeitgeber sei er sehr zufrieden. Und zwar nicht nur, weil sein Lohn deutlich über dem Mindestlohn von 5800 Franken liege. Sondern auch, weil es bei der Mäusli Bau nur selten stressig sei. Das sei keine Selbstverständlichkeit: «Auf Schweizer Baustellen ist Stress ein gröberes Problem. Zu viel Arbeit in zu kurzer Zeit.» Was helfe, sei eine gute Arbeitsorganisation und vertraute Kolleginnen und Kollegen. Wie bei der Mäusli Bau: «Wir sind ein eingespieltes und überschaubares Team.»

Mühe macht Petrucci aber der Winter, wenn es zum Arbeitsbeginn noch dunkel ist. Und am Abend komme man mit der Büez kaum nach, weil die Nacht früh hereinbreche. Auch die Arbeit bei Regen, wenn alles im Schlamm stecken bleibt und dreckig wird, ist Petrucci leid. Aber: «Dort, wo es mich braucht, arbeite ich, punkt.» So kommt es, dass der Maurer manchmal auch Kanalisationsrohre verlegt. Am besten läuft es der Firma zurzeit aber mit Totalsanierungen von Wohnungen. Vor allem alte Küchen und Bäder werden gerade gerne ersetzt. «Tirare via, fare nuova», lautet da das Motto. Also «Rausreissen und neu bauen». Auch das macht Allrounder Petrucci.


Giuseppe Petrucci Titanic und Kart

Die Verkehrssprache auf dem Bau ist immer noch Italienisch. Trotzdem ist Giuseppe Petrucci mehrsprachig. Er kann sich auch auf portugiesisch, spanisch, serbokroatisch und schweizerdeutsch verständigen. Divers geht’s auch in Petruccis Baubaracke zu und her. Über Mittag spielt er seinen Kollegen italienische Popsongs vor. Meistens solche aus den 70er, 80er oder 90er Jahren. Aber auch Michael Jackson, Queen und Tina Turner stehen beim Sizilianer hoch im Kurs.

RENNFAHRER. An Wochenenden widmet sich Petrucci seinen Holzbau-Schiffmodellen. Sein bisher imposantestes Werk ist ein 1 Meter 30 langes Baumodell der «Titanic» – inklusive Motorantrieb. Und wenn er einmal keine Lust auf Basteln hat, geht’s auf die Kartbahn in Lyss. Dort steht Petruccis eigenes Go-Kart-Fahrzeug mit Aprilia-­125er-Motor. Damit nimmt der 53jährige immer noch an Rennen teil. Sonntags ist Petrucci auch ab und zu in der Kirche anzutreffen. Aber diese sei ihm vor allem in Italien wichtig, wo er zu den fleissigen Gottesdienstbesuchern gehöre. Noch bleibt Petrucci aber sieben Jahre in der Schweiz. Dann winkt die Frühpension und die ersehnte Rückkehr zu seiner Familie in Sizilien.

Ciao, ­Svizzera!

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