Nati-Spielerin Meriame Terchoun (27): Warum alle an den Frauenstreik sollen – auch die Fussballerinnen

«Jetz isch gnueg Heu dune!»

Christian Egg

Ein Lohn, der diesen Namen nicht verdient. Sexistische Sprüche. Und null Unter­stützung bei einer Verletzung: Das könne es doch nicht sein, sagt Top-Fussballerin Meriame Terchoun.

Foto: Keystone

Im Schweizer Frauenfussball gibt es Gründe zur Freude: Die Spielerinnen des Nationalteams erhalten endlich die gleichen Prämien wie die Männer. 2025 wird die Europameisterschaft in der Schweiz stattfinden. Und ab Juli spielen die Schweizerinnen an der Weltmeisterschaft!

Solche Schlagzeilen freuen auch Meriame Terchoun. Die Stürmerin wurde mit dem FC Zürich achtmal Schweizer Meisterin und siebenmal Cupsiergerin, zwei Tore schoss sie bisher fürs Nationalteam. Ja, der Frauenfussball sei im Aufwind, sagt sie: «Die Clubs machen mehr Marketing für ihre Frauenteams. Tatsache ist aber auch: Kein einziger Schweizer Club zahlt den Spielerinnen existenz­sichernde Löhne.»

«HAT WAHNSINNIG GUT GETAN!» Schon am Frauenstreik 2019 war Fussballerin Meriame Terchoun auf der Strasse, für sie ein unvergesslicher Moment der Frauensolidarität. (Foto: Laura Rivas Kaufmann)

DREI JOBS NEBEN DEM TOP-FUSSBALL

Während Männer in der Super League im Schnitt fast 14 000 Franken im Monat garnieren, gibt’s für Frauen meist um die 1000 Franken – wenn überhaupt. Terchoun hatte nicht mal das: Obwohl sie für den FCZ total 53 Tore schoss, hatte sie, wie viele in der Liga, nur einen Amateurvertrag. Terchoun: «Ich verdiente nur etwas, wenn ich spielte. Der Lohn lag meistens unter 5000 Franken. Pro Jahr!» Ihr Leben finanzierte die KV-Absolventin als Sportlehrerin, Leiterin von Fussballcamps und TV-Co-Kommentatorin – drei Jobs nebeneinander, zusätzlich zu einem vollen Trainingsprogramm. «Das braucht unglaublich viel Energie.»

Vor einem Jahr wechselte sie zum FC Dijon, in die erste französische Liga. Jetzt hat sie einen Profivertrag und kann sich voll dem Fussball widmen. Reich werde sie aber nicht, sagt Terchoun und lacht: «Für Frankreich ist mein Lohn grad okay. In der Schweiz könnte ich davon nicht leben.»

ES IST NICHT NUR DER LOHN

Die Unterschiede zwischen Männer- und Frauenfussball gingen weit über den Lohn hinaus, erklärt die 27jährige. Dreimal erlitt sie einen Kreuzbandriss. Das hat auch damit zu tun, dass Fussballschuhe nur auf Männerfüsse zugeschnitten sind. Die Unfallversicherung habe es null interessiert, dass sie Spitzensport mache: «Bei der zweiten Operation hiess es: Was, schon wieder gerissen? Das zahlen wir nicht, das ist Krankheit, kein Unfall.» Bei der dritten dasselbe. Und mehr als zweimal pro Woche Physio gebe es auch nicht. Stunden, sagt Terchoun, habe sie am Telefon verbracht, um eine angemessene Reha zu bekommen. Und genau das sei das Problem: «Bei den Männern kümmert sich selbstverständlich der Verein um solche Sachen. Ein Mann bekommt auch einen Reha-Trainer. Dieser Support fehlt bei uns völlig.»

«Football has no gender»: Frauenfussball feiern

Für mehr Gleichstellung im Fussball lanciert die Zürcher Fotografin Laura Rivas Kaufmann am 14. Juni die Kampagne «Football has no gender» (footballhasnogender.com, online ab dem 14.6.). Dazu gibt’s ein Crowdfunding mit Merchandise-Artikeln – gegen eine kleine Spende für ein Festival, das während der Frauen-WM vom 20. Juli bis 20. August stattfindet.

NEUES PROJEKT. Rivas Kaufmann war von 2019 bis 2022 Teamfotografin der FCZ-Frauen, zurzeit absolviert sie einen Master an der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK). Zusammen mit Sportfotografin Daniela Porcelli und der angehenden Sportmanagerin Anamaria Peyer gründete Rivas Kaufmann bereits die Plattform «Neunzig Neunzig», auf der sie letztes Jahr über die Frauenfussball-EM in England berichteten. (pdi)

Zur gleichen Zeit seien auch zwei männliche Spieler verletzt gewesen. «Wir trafen uns jeweils in der Klinik. Sie gingen danach in die Reha und nahmen langsam wieder das Training auf. Ich konnte das nicht. Ich musste arbeiten, um meine Rechnungen zu bezahlen.» Für Meriame Terchoun ist klar: So kann es nicht weitergehen. Muss es auch nicht. «Wir sind 35 000 Fussballerinnen in der Schweiz. Wenn wir alle am 14. Juni auf die Strasse gehen und sagen: Jetz isch gnueg Heu dune, die Vereine und der Fussballverband müssen vorwärtsmachen – dann geht es auch vorwärts.»

Auch hier weiss sie, wovon sie spricht. 2019, nach ihrem dritten Kreuzbandriss, sei sie vor der Wahl gestanden: «Entweder ich hänge jetzt frus­triert meine Karriere an den Nagel – oder ich versuche das System zu ändern.» Sie entschied sich fürs zweite. Begann, in Interviews die Probleme beim Namen zu nennen. Viele der Angesprochenen hätten «betupft» reagiert, berichtet sie. Grinst und sagt: «Das war noch eine gute Erfahrung.»

«Nach einem Unfall ging ein Fussballer in die Reha, ich ging arbeiten.»

«FORZA LE DONNE!»

Sie knüpfte Kontakte zu anderen Vereinen, in die Politik. Am Ende stand ein breit abgestütztes Manifest (forza-le-donne.ch) mit elf Forderungen. Die erste: Fussballerinnen werden über ihre Leistung und nicht über ihr Äusseres definiert. Terchoun erinnert sich an ein Gespräch mit einem Chef. Der meinte, die Fussballerinnen müssten halt auch in knappen Hösli spielen wie im Beachvolleyball, dann würden mehr Leute zugucken. «Solche Sätze lasse ich niemandem mehr durchgehen. Ich habe ihm gesagt: Ich verzeih dir das jetzt, weil du’s mir im privaten Rahmen gesagt hast. Aber das darfst du nie, nie mehr sagen, klar?»

2019 war auch das Jahr des letzten grossen Frauenstreiks. Terchoun geht in Zürich auf die Strasse, zusammen mit ihrer Mutter und einer Freundin. Und sieht plötzlich ein Kartonschild, das ihren Jahreslohn dem von Nati-Star Xherdan Shaqiri gegenüberstellt. «Ich bin natürlich sofort hin und habe gesagt: Hey, das bin ich! Und dann waren das die Frauen des FC Wiedikon. Ich bin in Wiedikon aufgewachsen!» Überhaupt habe es ihr «wahnsinnig gut getan», am Streik all diese verschiedenen Frauen zu sehen und die Solidarität zu spüren – «im Alltag vermisse ich das manchmal».

Aber jetzt hat sie ein Problem: Sie hat gute Chancen, für die kommende WM ins Nationalteam nominiert zu werden. Und vom 13. bis 16. Juni findet ein Zusammenzug statt – ausgerechnet. «Eigentlich», sagt Terchoun, «müssten wir als ganze Mannschaft an den Streik gehen. Mal schauen, was meine Mitspielerinnen dazu sagen.»

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