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Uhrenarbeiterin Suzanne Zaslawski (46): «Fühle mich wie eine Magierin»

Christian Egg

Uhrenarbeiterin Suzanne Zaslawski verwandelt Uhrzeiger aus Messing in Gold. Das habe etwas Magisches, sagt sie. Gar nicht bezaubernd seien dagegen die Löhne für Frauen in der Uhrenindustrie.

MONUMENTAL: Suzanne Zaslawski vor dem Uhrendenkmal in La Chaux-de-Fonds. Es erinnert an die Bedeutung der Uhrenindustrie für die Region. (Foto: Xavier Voirol)

Die Zeiger einer Uhr sind aus Messing. Doch bevor sie in einer Tissot oder in einer Omega landen, verwandelt sie Suzanne Zaslawski in edle Stücke. Sie taucht sie in Bäder mit Metallsalzlösungen, die unter Strom stehen. Galvanisieren heisst dieser Vorgang. Und obwohl er für die gelernte Uhrenarbeiterin Alltag ist, fasziniert er sie jedesmal. Denn am Ende besteht die Oberfläche des Zeigers aus – Gold. Zaslawski strahlt und sagt: «Dann komme ich mir vor wie eine Magierin.» Statt Gold könne es auch Nickel sein, das besonders beständig ist. Oder Rhodium, eines der teuersten Metalle der Welt, das derzeit gut 8000 Dollar pro Unze (31 Gramm) kostet.

WELTWEIT. Für jede Ladung Zeiger stellt die Uhrenarbeiterin am Computer die Bäder richtig ein. Damit die Magie auch funktioniert. Darauf hat sich ihre Arbeitgeberin, die Firma Universo in La Chaux-de-Fonds im Neuenburger Jura, spezialisiert: Die gut 500 Mitarbeitenden stellen Ziffern, Balken oder Punkte für Uhrzifferblätter her – und hauptsächlich Zeiger. Die Firma ist Teil der Swatch-Gruppe und beliefert deren 17 Uhrmarken. Inklusive Swatch, wie Suzanne Zaslawski nicht ohne Stolz sagt: «Die Zeiger von jeder Swatch, die irgendwo auf der Welt verkauft wird, kommen von uns.»

Doch bei allem Stolz sagt sie auch: «Wenn ich hätte wählen können, mein Lebensweg sähe anders aus.» Nach einer naturwissenschaftlichen Matura in Kamerun, wo Zaslawski aufgewachsen war, wollte sie Medizin studieren. Doch dann starb der Vater, und sie musste Geld verdienen. Also machte sie eine Ausbildung zur Sekretärin für Buchhaltung und fing in einer Bank an. Dort lernte sie ihren Mann kennen, einen Schweizer mit russisch-ukrainischen Vorfahren – «daher mein slawischer Nachname». 2007 kam Suzanne Zaslawski mit ihm in die Schweiz und machte eine Grundausbildung zur Uhrenarbeiterin, die einer zweijährigen Lehre entspricht.

2000 ZEIGER. Bei Universo kann Zaslawski mit ihrer Ausbildung verschiedene Aufgaben übernehmen. Seit gut einem Jahr macht sie Qualitätskontrollen. Mit einer Pinzette steckt sie jeweils zehn fertige Zeiger nebeneinander auf eine Karte. Durch eine Lupe prüft sie jeden einzelnen auf Fehler. Viel Zeit hat Zaslawski dafür nicht: Pro Tag muss sie 2000 Zeiger kontrollieren, so die Vorgabe. Bei einem Achtstundentag macht das pro Zeiger 14 Sekunden.

Nein, eine angenehme Aufgabe sei das nicht, sagt Zaslawski: «Acht Stunden stillsitzen, immer unter einer viel zu hellen Lampe – das ist streng.» Und obwohl links und rechts sieben, acht Kolleginnen dasselbe tun, fühle sich die Arbeit einsam an. Denn plaudern würde die Konzentration stören.

In der Produktion sind die Frauen in der Mehrheit. Und in der Qualitätskon­trolle arbeiten sogar nur Frauen. Männer, sagt Zaslawski schelmisch, hätten dafür zu wenig Geduld. Doch gleich wird sie wieder ernst. Denn obwohl diese Arbeit schwieriger und verantwortungsvoller sei als andere Aufgaben, lägen die Löhne der Frauen in der Uhrenindustrie deutlich unter jenen der Männer. Zahlen des Bundesamts für Statistik zeigen: Uhrenarbeiterinnen verdienen 25 Prozent weniger als ihre männlichen Kollegen. Die Lohnungleichheit liegt in der Uhrenbranche somit weit über dem Schweizer Durchschnitt von 18 Prozent.

TABU. Ihren genauen Lohn solle work bitte nicht erwähnen, sagt Zaslawski: «Unsere Löhne sind ein richtiges Tabuthema! Die Chefs wollen auf keinen Fall, dass sie bekannt werden.» Aber es wird klar: Ihr Salär ist, trotz Ausbildung und neun Jahren Berufserfahrung, nicht weit entfernt vom Branchen-Mindestlohn für Ungelernte. Und der beträgt für den Kanton Neuenburg 3960 Franken brutto, plus dreizehnten Monatslohn. Doch diese Ungerechtigkeit wollen viele Uhrenarbeiterinnen nicht länger hinnehmen, sagt Zaslawski. Denn: «Schliesslich sind es wir Frauen, die die Firmen am Laufen halten.»

Damit endlich Schluss ist mit der Diskriminierung, macht sich die 46jährige gleich doppelt stark: Als aktives Unia-Mitglied hilft sie bei der Mobilisierung für den neuen Uhren-GAV mit. Die Verhandlungen laufen, die Unia fordert unter anderem schärfere Lohngleichheitskontrollen (rebrand.ly/uhren-gav). Und am feministischen Streiktag am 14. Juni wird Zaslawski ihre Forderungen zusammen mit ihren Kolleginnen lautstark auf die Strasse tragen.

PLÖTZLICH POLITIK. Damit nicht genug. Seit zwei Jahren ist die Uhrenarbeiterin Mitglied des Stadtparlaments von Le Locle. Für die Partei der Arbeit (PdA), die mit 12 Abgeordneten im 41köpfigen Rat die zweitgrösste Fraktion stellt. Sie habe nicht mit einer Wahl gerechnet, gesteht Zaslawski. Die Partei habe noch Kandidierende gesucht, um die Listenplätze zu füllen. Dann habe sie plötzlich viel mehr Stimmen erhalten, als sie erwartet hätte. Jetzt sitzt Zaslawski sogar im siebenköpfigen Büro des Stadtrates. Und das heisst: Falls sie 2025 wiedergewählt wird, amtet sie ein Jahr lang als Ratspräsidentin. «Das macht ein bisschen Angst – mais bon, dann mache ich das halt», sagt sie und lacht.

Nach der ersten Überraschung habe sie jetzt Gefallen an der Arbeit im Parlament gefunden, erzählt Zaslawski: «So kann ich die Frauen vertreten. Vor allem die Frauen mit Migrationshintergrund.» Nächstes Jahr wählt Neuenburg das Kantonsparlament. Sie überlege sich, dafür zu kandidieren. Einen kurzen Moment hält die Uhrenarbeiterin inne. Dann sagt sie: «Warum eigentlich nicht?»


Suzanne ZaslawskiBücher und Berge

«Ich bin ein neugieriger Mensch», sagt Suzanne Zaslawski. Zu Hause in Le Locle stöbert sie gern in Buchhandlungen. Und wenn ein Titel sie anspricht, kauft sie das Buch. Meist sind es Bücher über Geschichte, Politik oder Kultur. Ausser mit Lesen verbringt sie ihre Freizeit gerne in der Natur. Zusammen mit ihrem Partner wandert sie durch die Juralandschaft, im Winter mit Schneeschuhen. Oder sie erkunden neue Winkel der Schweiz: «Ich liebe die Berge», sagt die gebürtige Kamerunerin.

HAMILTON. Am Handgelenk trägt sie, natürlich, eine Uhr aus dem Hause Swatch. Eine Hamilton. Diese amerikanische Traditionsmarke wurde 1972 von der Swatch-Vorgängerin SSIH aufgekauft und wird heute in Biel hergestellt. «Vielleicht hatte ich die Zeiger schon mal in den Händen», sagt Zaslawski und schmunzelt. Der Normalpreis des Modells liegt bei über tausend Franken – das läge für eine Arbeiterin wie sie nicht drin. Aber zweimal pro Jahr werde den Mitarbeitenden ein Modell mit grossem Rabatt angeboten. «So konnte ich die Uhr für 250 Franken kaufen. Ja, das ist ein Vorteil an diesem Job.»

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