work-Wissen

Es braucht die Care-Revolution – und zwar jetzt!

Darija Knežević

Die Sorge- und Betreuungs­arbeit ist in der Schweiz entweder unterbezahlt oder gänzlich unbezahlt. Das neue Buch «Wirtschaft neu ausrichten» zeigt Initiativen und Aktionen für bessere Care-Arbeit aus Deutschland, Österreich und der Schweiz.

MEHR FÜR DIE KLEINEN (UND DIE GROSSEN): Das war auch eine zentrale Forderung des grossen Frauenstreiks von 2019, zu dem schweizweit über eine halbe Million Menschen auf die Strassen gingen. (Foto: Beatrice Flückiger)

Windeln wechseln, Zähne putzen, kochen, beim Duschen helfen, unterhalten, den Haushalt schmeissen: Care-Arbeit – die Sorge um Menschen – bleibt oft an den Frauen hängen. Sie wird als selbstverständlich angesehen und in vielen Fällen nicht bezahlt. Mit dem Buch «Wirtschaft neu ausrichten» zeigen die drei Autorinnen Uta Meier-Gräwe, Ina Prae­torius und Feline Tecklenburg die Notwendigkeit einer Care-Revolution. Dazu liefern sie Fakten, wie es um die Care-Arbeit in Deutschland, ­Österreich und der Schweiz steht.

In keinem dieser drei Länder erhält Care-Arbeit die Wertschätzung, die sie verdient. Obwohl ohne Care-Arbeit unsere ganze Gesellschaft vor dem Kollaps stehen würde. In ihrem Sachbuch schreiben die Autorinnen über Initiativen, Vereine, Streiks und weitere Aktionen, die eine fairere Care-Arbeit fordern, aber auch vorleben. Und beginnen mit einem Blick zurück, der zeigt: Während die Wirtschaft wuchs und sich die Gesellschaft weiterentwickelte, bleibt die Care-Arbeit heute noch unsichtbar.

30 Tage streikten Berliner Pflegende für mehr Personal. Und siegten!

VORWÄRTS MIT INITIATIVEN UND STREIKS

Die Autorinnen beleuchten nebst der Vergangenheit auch die Gegenwart und erste Erfolge im Kampf um mehr Anerkennung für Care-Arbeit. Dar­unter auch die historische Abstimmung vom November 2021 in der Schweiz: Mehr als 60 Prozent der Stimmbeteiligten nahmen die Pflegeinitia­tive an der Urne an. Nachdem im Parlament alle Versuche, das Pflegeproblem zu lösen, gescheitert waren, schalteten sich die Pflegerinnen und Pfleger selbst ein und lancierten gemeinsam mit den Gewerkschaften die Pflegeinitiative. Ihr Einsatz war es dann auch, der entscheidend war für den Abstimmungserfolg: Sie haben die Botschaften der Initiative klar herausgetragen und über die schwierige Arbeitssituation berichtet. Jetzt muss der Bundesrat endlich vorwärtsmachen (work berichtete: rebrand.ly/pflegeinitiativebundesrat).

Auch in Deutschland machten die Pflegenden Druck. Etwa mit dem 30tägigen Streik des Berliner Pflegepersonals im Herbst 2021 (work berichtete: rebrand.ly/pflegestreikberlin). Die Pflegenden errangen bessere Arbeitsbedingungen und Löhne, und ihr Streik löste in weiteren deutschen Städten Streikbewegungen beim Pflegepersonal aus.

Und ein Beispiel aus Österreich zeigt, wie ein Wohnprojekt die Care-Arbeit fair aufteilt. Auf dem Wiener Nordbahnhofgelände entstand eine Wohngruppe aus 100 Personen, 40 davon Kinder. Im Kollektiv stemmt die Gruppe ihren Alltag. Dar­unter das Kochen, die Kinderbetreuung oder Nachbarschaftshilfe bei Krankheiten. Zudem werden Putz-Events organisiert, bei denen Haushaltsaufgaben auf alle verteilt werden.

AUSTAUSCH RUND UM DEN GLOBUS

Das Sachbuch wagt ebenfalls einen Blick in die Zukunft. Das deutsche Bündnis «Sorgearbeit fair teilen» wurde im Sommer 2020 gegründet, um Care-Arbeit mehr Sichtbarkeit zu verschaffen. Das Ziel: Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft auf das Thema aufmerksam zu machen. Etwa mit Positionspapieren, Reden, Zahlen und Fakten. Im Herbst 2021 fand zudem eine erste globalen Care-Konferenz statt. Vertreterinnen aus der ganzen Welt tauschten sich online über Probleme und Projekte aus. Und: Ein ganzes Kapitel ist dem Thema Klima- und Care-Krise gewidmet. Dabei werden neun konkrete Vorschläge formuliert. Zum Beispiel eine radikale Zeitumverteilung für mehr Zeit für Sorgearbeit – sei es für die Umwelt oder für Mitmenschen.

Das Fazit: Die (über)lebensnotwendigen sorgenden Tätigkeiten für Mensch und Umwelt gehören ins Zentrum allen Wirtschaftens. Deshalb muss sich das System ändern und Care-Arbeit endlich sichtbar und fair entlöhnt werden. Das Buch ist eine anspruchsvolle und lehrreiche Lektüre, geschrieben von engagierten Aktivistinnen.

Uta Meier-Gräwe, Ina Praetorius, Feline Tecklenburg: Wirtschaft neu ausrichten. Care-Initiative in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Verlag Barbara Budrich, Opladen 2023, ca. Fr. 50.–.

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