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Solarteur Martin Schmid (40): «Manchmal ist es wie Seiltanzen»

Sarah Forrer

Keine Angst zu fallen: weder vom Hausdach noch von der Karriere­leiter. Martin Schmid hat in jungen Jahren Physik studiert. Heute montiert er Solarpanels in luftiger Höhe.

VOM LABOR AUFS DACH: Solarteur Martin Schmid (40) geht seinen ganz eigenen Weg. (Fotos: Matthias Luggen)

Martin Schmid ist kein Mann des geraden Berufsweges. Vielmehr sucht er seinen ­eigenen Pfad. Mit Auf und Abs und überraschenden Abzweigungen. Im Moment führt der Weg die Leiter hoch. Hoch aufs Dach. Dort montiert der 40jährige Berner Solarpanels. Bei Wind und Wetter und zu jeder Jahreszeit. Für den studierten Physiker fühlt sich die harte körperliche Arbeit nicht ungewohnt an. Im Gegenteil. «Ich habe zwei brauchbare Hände und turnte schon als Kind gern in der Höhe umher», sagt er lachend und nimmt einen Schluck von seinem Cappuccino.

Schmid macht gerade Pause. Er sitzt in der Bäckerei direkt neben dem Bahnhof Gümligen bei Bern. Hier zwischen idyllischen Bauernhöfen und grauen Betonbauten, zwischen Stadt und Land, ist er aufgewachsen. So vielfältig die Umgebung, so vielfältig waren seine Interessen. In der Schule begeisterte er sich für Sprachen genauso wie für Mathe oder Sport. Wenig verwunderlich, fiel ihm die Studienwahl schwer. Er entschied sich schliesslich für Physik. Nicht zuletzt wegen Albert Einstein. «Die Verbindung zwischen Mathematik und der physikalischen Welt fasziniert mich.»

INS BLAUE. Nach seinem Studium arbeitete Schmid als wissenschaftlicher Mitarbeiter, bevor es ihn ins Klassenzimmer zog. Doch nach sieben Jahren als Gymnasiallehrer hatte Schmid genug. Genug vom Unterrichten. Genug von den Abenden, die er mit Korrigieren und Vorbereiten verbrachte. Er kündigte ins Blaue hinaus. Ohne konkreten Plan, aber mit vielen Ideen und einem offenen Geist.

Durch einen Freund stiess er auf die Energiegenossenschaft Schweiz. Eine kleine Bude mit 15 Angestellten, die sich auf Photovoltaikanlagen spezialisiert hat. Die Thematik interessierte Schmid. Zudem gefiel ihm die Betriebsphilosophie: «Die Hierarchien bei der ­Genossenschaft sind sehr flach», erzählt Schmid. Die Mitarbeitenden hätten viele Freiheiten und ein grosses Mitspracherecht. Regelmässig fänden Sitzungen statt, an denen alle die Traktanden gemeinsam durchgingen. Und nach Lösungen suchten. Soziokratisch, was einen langen Atem voraussetze: «Wir diskutieren, bis alle mit dem Entscheid einverstanden sind.»

work-Serie: Sie schaffen die Energiewende

Teures Gas, knapper Strom und eine Klima­krise, die sich immer deutlicher zeigt: Das Thema Energie bewegt die Schweiz wie schon lange nicht mehr. work richtet dabei den Blick auf die Büezerinnen und Büezer, die bereits jetzt an der Energiewende arbeiten. Alle Teile der «worktag»-Serie gibt es zum Nachlesen unter: workzeitung.ch/worktag

MIT GEFÜHL. Schmid selbst gehört seit eineinhalb Jahren zum Team. Zuerst arbeitete er temporär. Ohne Qualifikationen. Dann liess er sich ein halbes Jahr zum Solarteur ausbilden. Sein Job: Solaranlagen planen, installieren, in Betrieb nehmen und warten. Rasch lernte Schmid, die rund 25 Kilogramm schweren und etwa 1,7 Meter langen Panels auf die Dächer zu hieven und zu montieren. «Viele denken: Panel drauf, und gut ist’s. Aber so einfach ist es nicht.» Je nach Dach kommen andere Elemente zum Einsatz. Besonders schwer, teuer und beim Montieren empfindlich sind diejenigen, welche die Funktion der Ziegel übernehmen. Sogenannte Indachmodule. Gerade in der Schweiz kommen sie relativ häufig zum Einsatz. «Sie sind zwar teurer, haben dafür eine höhere Lebenserwartung.»

Auf den Baustellen verbringt Schmid heute noch rund die Hälfte der Zeit. Die andere Hälfte ist mit Büroarbeit und Projektleitung gefüllt. Besonders in Erinnerung geblieben ist ihm die Arbeit auf den Dächern der Wohnbaugenossenschaft Warmbächli mitten in der Stadt Bern. Seine bisher grösste Baustelle. Gemeinsam mit dem Team montierte Schmid im vergangenen Herbst über 350 Panels auf einer Stahlkonstruktion. Und das alles in luftiger Höhe. Der gesamte Bau war zwar mit Netzen gesichert, doch war die Installation nicht ungefährlich. Vor allem an den kalten, nassen Novembertagen, wenn der Stahl rutschig war. «Da fühlte man sich manchmal wie im Zirkus beim Seiltanzen.»

MIT VERZICHT. Ein Seiltanz – oder besser ein Balanceakt – findet Schmid die Diskussion rund um die Energiewende. Ihn faszinieren die Möglichkeiten der erneuerbaren Energien. Wie der Sonne. «Da ist ein riesiges Potential vorhanden. In der Schweiz wird dies nicht annähernd ausgeschöpft.» Dennoch steht der Berner dem Solarboom auch skeptisch gegenüber: Viele der Teile für die Module kommen aus China; ungewiss, wie sie dort produziert wurden. Und auch der lange Transportweg ist ihm ein Dorn im Auge.

Für ihn führt kein Weg an einem Wort vorbei: Verzicht. «Wenn ich mir was wünschen könnte, dann wäre es weniger Konsum. Massiv weniger», sinniert er. Dennoch weiss er aus eigener Erfahrung, wie viele Grautöne in der Energiediskussion mitschwingen. Schliesslich wird sein Zuhause mit einer Ölheizung beheizt. Seine Eltern hatten diese vor zehn Jahren ausgewechselt. Als er das Haus mit seiner Frau und seinen drei Kindern übernahm, übernahm er diese mit. Mit Widerwillen: «Die Ölheizung ist wohl meine grösste Umweltsünde.»


Martin schmid Musik und austoben

Eine grosse Passion: das hat Martin Schmid nicht. «Ich sammle jetzt nicht inbrünstig Brief­marken oder fahre tagelang mit der Modelleisenbahn im Keller umher», sagt der Berner und lacht. Vielmehr ziehen sich auch in seiner Freizeit die unterschiedlichsten Interessen durch.

KLAVIERSCHÜLER. Musik nimmt Raum ein: Gitarre spielt er seit seiner Jugend. Mit Klavier hat er erst gerade kürzlich angefangen. Auch Sport ist ihm wichtig, erzählt er: «Früher spielte ich begeistert Volleyball.» Heute tobt er sich einmal in der Woche mit Freunden in der Turnhalle aus.

Martin Schmid arbeitet in einem 70-Prozent-Pensum und verdient netto 3927.15 Franken pro Monat.

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