Reinigerin Jenjira Ryser über ihren Probetag im neuen ­Edel-Gasthof von Starkoch Andreas Caminada

«Ich fühlte mich als Gratisputzkraft aus­genutzt!»

Jonas Komposch

Voller Vorfreude ging Reinigerin Jenjira Ryser (43) ans Probeschaffen im Gourmettempel Mammertsberg TG. Dann wurde sie bitter enttäuscht – und fast über den Tisch gezogen.

EISKALT ABSERVIERT: Jenjira Ryser putzte den ganzen Gasthof. Lohn bekam sie aber erst nach schriftlicher Aufforderung. (Foto: Stephan Bösch)

«Was für eine Chance!» dachte sich Reinigungsfrau Jenjira Ryser *, als ihr das RAV dieses Job­angebot vorlegte. Endlich eine Vollzeitstelle! Zudem ganz in der Nähe. Und dann erst der Arbeitgeber: der altehrwürdige Gasthof Mammertsberg in Freidorf TG, ein schweizweit bekannter Gourmettempel mit Blick auf den Bodensee. Eine noble Adresse. Der Dreigänger ist ab 184 Franken zu haben, eine Übernachtung schlägt mit bis zu 520 Franken zu Buche. Neuerdings gehört das Spitzenrestaurant zur Unternehmensgruppe des berühmten Bündner Sternekochs Andreas Caminada (45). Er geniesst den Ruf eines guten Patrons. Das Job­inserat versprach sogar explizit: «Deine Chance, wertschätzendes Leadership zu erleben». Reinigerin Ryser bewarb sich sofort.

Prompt erhielt sie eine Einladung zum «Vorstellungsgespräch & Probearbeiten». So steht es im Bestätigungsmail, das work vorliegt. Dass man sie auf einen Sonntagmorgen bestellte, störte die gebürtige Thailänderin nicht. Pünktlich um 8 Uhr meldete sie sich an der Réception. «Dort wurde ich noch freundlich begrüsst», sagt Ryser. Doch dann habe der Wind gedreht.

Ein Abendessen für zwei mit Übernachtung kostet hier schnell über tausend Franken.

WASSER UND BROT

«Eine Mitarbeiterin gab im Befehlston den Tarif durch.» Ryser und eine Mitbewerberin begannen zu putzen. Zuerst die Küche, dann den Speisesaal, die Treppen und zuletzt die Hotelzimmer samt Nasszellen. Sieben Stunden und 15 Minuten dauerte es, dann war der Mammertsberg blitzblank. Und Ryser fixfertig. Denn auf einen vollen Arbeitstag war sie nicht vorbereitet. Davon war schliesslich nie die Rede gewesen. Verpflegung hatte Ryser daher keine dabei. Und der Gourmettempel war für sie gar keiner: «Eine kurze Mittagspause hatten wir schon», sagt Ryser, «doch gab es für uns nur eine Scheibe Brot und eine Konfitüre vom Zmorgebuffet.» Eine Flasche Wasser habe man ihr noch hingestellt – zum Teilen mit der Mitbewerberin, aber ohne Gläser.

Obwohl ihr Magen schon knurrte, freute sich Ryser nun auf das Vorstellungsgespräch. Doch dazu kam es nie! Denn nach getaner Arbeit wurde Ryser einfach nach Hause entlassen – «ohne ein Dankeschön oder eine Verabschiedung». Rysers Frust ist gross: «Ich fühlte mich als Gratis­putzkraft ausgenutzt!» Um Probearbeiten habe es sich jedenfalls nicht gehandelt. Denn: «Nie hat uns jemand auf die Finger geschaut. Den ganzen Tag lang hat niemand mit mir gesprochen.» Schon am Mittwoch erhielt Ryser die Absage, trotz angeblich «sehr positivem Eindruck». So billig wollte sich Ryser nicht abservieren lassen.

Zum Mittagessen gab es eine Scheibe Brot und eine Konfitüre vom Zmorgebuffet.

WARUM NICHT GLEICH SO?

Zusammen mit ihrem Mann kontaktierte sie den Arboner Unia-Mann Lukas Auer. Und der stellte klar, was die Rechtslage verlangt: Ein Betrieb muss Bewerberinnen zum orts- und branchenüblichen Lohn entschädigen, wenn er sie im Rahmen eines Probetags arbeiten lässt. Ausser es wurde vorgängig etwas anderes vereinbart. Nicht bezahlt werden müssen dagegen Schnuppertage, bei denen es nur ums Kennenlernen des Betriebs geht. Diese Rechtsbelehrung leitete Jenjira Ryser direkt an den Mammertsberg weiter – zusammen mit einer Zahlungsaufforderung und einer Kontoverbindung. Das wirkte sofort: Kommentarlos bezahlte die Caminada Group AG die geforderten 200 Franken.

Aber warum nicht gleich so? Handelt es sich gar um eine Masche mit System? So wie das die Unia für die Genfer Hotelbranche festgestellt hat (siehe Box). Die ­Caminada Group bestreitet dies und die Vorwürfe ­Rysers vehement. Zwar könne es sein, dass im neu eröffneten Re­staurant «noch nicht alle Abläufe perfekt eingespielt» seien. Doch Gratisarbeit sei in der Firmengruppe nicht üblich, «sofern es sich um echte Probe­arbeit handelt». Auch im Fall Ryser sei der Lohn «ohne weiteres» bezahlt worden. Ausserdem seien ihre Leistungen «am Ende der Probearbeit» geprüft worden. Gescheitert sei die Bewerbung an «den nötigen Deutschkenntnissen». Daher habe auch ein Vor­stellungsgespräch «nur in kleinem Umfang» stattgefunden. Und was sagt der Gourmettempel zur Verpflegungssituation? Die Bewerberinnen hätten sich «am gesamten Frühstücksbuffet bedienen» dürfen.

Zu guter Letzt hebt die Firma noch den Mahnfinger: «Gegen eine allfällige (negative) Berichterstattung werden wir uns zur Wehr setzen.» Ja dänn, en Guete!

*Nachname geändert

Hotel-Reinigung: Gratisarbeit mit System

Schon Mitte September schlug die Genfer Unia Alarm: Unbezahlte Probeeinsätze hätten massiv zugenommen – besonders in den Nobelhotels am Genfersee. Neue Reinigungskräfte müssten oft bis zu drei Tage lang gratis chrampfen. ­

SKRUPELLOS. Betroffen von dieser illegalen Ausbeutung seien die verletzlichsten aller Lohn­abhängigen: Migrantinnen und ­Migranten mit unsicherem Aufenthaltsstatus und ohne Rechtskenntnisse. Sie würden von skrupel­losen Temporär­buden angeheuert ­­und an die Hotels ausgeliehen – zunächst zum Nulltarif. So ­sicherten sich die Personalverleiher langfris­tige Verträge mit den Hotels. Und die Hotels profitierten von der Abwärtsspirale bei den Lohnkosten. Aufgeflogen ist das System nicht nur dank der Unia. Ehemalige Mitarbeitende einer Temporäragentur hatten zuvor bei der Gewerkschaft aus­gepackt. Jetzt ermittelt das Genfer Arbeitsinspektorat. (jok)

2 Kommentare

  1. Gut gemacht, auf Rechtsauskunft basiert das Zustehende einfordern. Nicht jede(r) hier ist zu so einem Vorgehen in der Lage. Dank an die UNIA. Meine Frau (auch aus Thailand) ist hier im Norden schon fast 20 Jahre in der für sie zuständigen Gewerkschaft. Beste Erfahrungen damit. Lob an Euch. Und eine kleine Detail-Kritik:
    Euer Kommentar-Eingabe-Programm hier erfordert von jemandem, der keine eigene Webseite hat, einige Kreativität um überhaupt kommentieren zu können!

    • Patricia D'Incau

      Guten Tag Herr Waldow

      Vielen Dank für Ihre Nachricht. Die Eingabe einer Website ist nicht zwinged erforderlich, um einen Kommentar hinterlassen zu können. Aber Sie haben recht: dieses Feld ist etwas verwirrend. Wir werden das anpassen.

      Freundliche Grüsse,
      für die Redaktion

      Patricia D’Incau

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