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Historikerin enthüllt dunkles Kapitel über die Ems-Chemie

Darija Knežević

Die Firmengeschichte der Ems-Chemie gleicht einem Krimi. Historikerin Regula Bochslers Buch deckt gut behütete Geheimnisse auf.

RAUCHENDE SCHORNSTEINE: Die Hovag-Fabrik um 1955: Hier produzierte die Vorgängerin der heutigen EMs-Chemie während des Koreakriegs Napalm nach eigener Rezeptur, Opalm genannt. (Foto: ETH-Bibliothek Zürich)

Gefälschte Pässe, Spionage, geschmierte Beamte und Nazis als Berater. Was wie ein spannender Krimi klingt, gehört zur Firmenhistorie der Ems-Chemie. Die Historikerin und Journalistin Regula Bochsler arbeitet in ihrem neu erschienenen Buch «Nylon und Napalm» die Geschäfte der Ems-Chemie auf, die heute dem Blocher-Clan gehört. Die aufwendige Recherche zeigt: Familie Blochers Goldgrube ist mehr braun als goldig.

In ihrer vierjährigen Recherche gelang es Bochsler, brisante Informationen zum Konzern ­herauszufinden, jedoch ohne das Firmenarchiv der Ems-Chemie jemals betreten zu haben. Der Zugang zum Ems-Archiv blieb Bochsler auch nach mehrmaligen Anfragen verwehrt. Auch das zweistündige Gespräch mit SVP-Doyen Christoph Blocher war laut Autorin ernüchternd. Der Altbundesrat und ehemalige Chef des Chemiewerks stellte sich ahnungslos und wetterte lieber über linke Historiker.

Mit Geld vom Bund stellte die Chemiefabrik Napalm her.

DIE NAZIS

Wie work bereits berichtete (rebrand.ly/sauchaibe) waren Chemiker aus dem nationalsozialistischen Deutschland in den Anfängen der Ems-Chemie wichtige Drahtzieher. Namentlich die zwei Top-Chemiker Johann Giesen und Heinrich Bütefisch. Beide waren bei der I. G. Farben tätig, einem Nazi-vertrauten Betrieb, der im Werk bei Auschwitz KZ-Gefangene ­unter brutalsten Bedingungen und bis zum Tod zur Arbeit zwang. Der Aufenthalt von Oswalds Nazi-Freunden in der Schweiz wurde auch fragwürdig abgewickelt, nämlich mit der Bestechung von Beamten und engen Verflechtungen mit hochrangigen ­Politikern, wie das Buch von Bochsler aufdeckt.

Regula Bochsler: Autorin und Rechercheurin

Regula Bochsler, geboren 1958 in Zürich, ist Schweizer Historikerin. Nach ihrer Dissertation in allgemeiner Geschichte arbeitete sie viele Jahre als Journalistin bei SRF. Heute ist sie freie Autorin, Historikerin und Künstlerin.

Kurz nach der Gründung der Holzverzuckerungs- AG im Jahr 1936, so der frühere Firmenname der Ems-Chemie, pflegte der Gründer Werner Oswald Kontakt zu Hitlerdeutschland. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges holte er sich neben den Top-Chemikern auch Ernst Fischer als Berater zur Seite, einen engen Vertrauten Hermann Görings, des Oberbefehlshabers der Nazi-Luftwaffe. Mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs musste sich die Holzverzuckerungs-AG, kurz Hovag, neu orientieren. Bis ­dahin produzierte das Chemiewerk das «Emser ­Wasser», eine gestreckte Benzinvariante, die von der öffentlichen Hand finanziert wurde. Dabei wurde dem Benzin Alkohol aus Holz beigefügt. Während des Kriegs war die Schweiz darauf angewiesen. Doch nun lief der Treibstoffimport wieder an.

DAS NAPALM

Mit den Chemikern aus Nazideutschland tüftelte Oswald daher an neuen Geschäftszweigen. Auch Spionage verhalf ihnen zu neuen Ideen. Auf diesem Weg kam die Nylonproduktion nach Ems. Doch bald öffnete sich ein noch lukrativerer Geschäftszweig: die Waffenproduktion.

Im Koreakrieg (von 1950 bis 1953) wurde eine neue und äusserst tödliche Waffe eingesetzt: Napalm. Die mit Napalm angereicherten Bomben und Flammenwerfer töteten im Koreakrieg Millionen Menschen. Das schreckte Hovag-Chef Oswald nicht ab, ins Waffengeschäft einzusteigen. Mit seinem Chemiewerk waren alle Voraussetzungen geschaffen, um Napalm zu produzieren. Auch der Bund lenkte ein und gewährte der Firma einen Rüstungskredit. Mit Hilfe ihrer Chemiker gelang es der ­Hovag innert kurzer Zeit, Napalm zu produzieren oder, wie sie es wegen einer geheimen Rezeptur nannten: Opalm. Von diesen Projekten will Christoph Blocher erst 2020 erfahren haben, wie er Historikerin Regula Bochsler im Gespräch sagte.

DIE NEUGIER

Auf über 500 Seiten deckt die Historikerin noch viele weitere, teilweise fast unglaubliche Geschichten auf. Was jedoch bereits im Vorwort klar wird: Die Geheimnistuerei von Werner Oswald war keine mysteriöse Charaktereigenschaft eines tüchtigen Geschäftsmannes, sondern taktisch und einzig für sein Eigenwohl. Denn an den Händen des Gründers klebte Blut.

Das Buch «Nylon und Napalm» hat das Potential, alle in den Lesebann zu ziehen – egal ob man sich für Politik, Geschichte oder Chemie interessiert. Auch passionierten Krimileserinnen und ­-lesern wird dieses Buch gefallen. Denn die Firmen­geschichte der Ems-Chemie bietet das ganze Programm, übermächtige Bösewichte inklusive.

Regula Bochsler: Nylon und Napalm. Die Geschäfte der Emser Werke und ihres Gründers Werner Oswald. Verlag Hier und Jetzt, Baden 2022, ca. Fr. 50.–.

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