Bärtschi-Post

Die Briefträgerin & das Neuland

Katrin Bärtschi

Katrin Bärtschi ist Briefträgerin in Bern und Gewerkschafterin.

Noch ist die Briefträgerin nicht im Neuland angekommen. Noch ist sie im Zwischenreich zwischen Lohnarbeitsleben bei der Post und zukünftigem selbstbestimmterem Erwerbsleben in Teilzeit. Noch ist nicht ganz in ihr Bewusstsein gesickert, dass sie nun «früpe» ist, bei der gelben Riesin frühpensioniert.

«Auch die Briefträgerin will noch ein paar eckige Runden drehn.»

ECKIGE RUNDEN. Es denkt ihr viel, derzeit. Ganz besonders zum Thema Arbeit. Arbeit unter kapi­talistischen Bedingungen und in verwandten Systemen. Arbeit unter Stress. Es denkt ihr über die Ausbeutung der Menschen durch Menschen, über die Bewertung von Menschen allein aufgrund ihrer Leistungsfähigkeit und ihres Leistungswillens und über die ungerechte Verteilung des Erwirtschafteten. Radikal gedacht und in Experimenten auch immer wieder gelebt, könnte Arbeit auch ganz anders aussehen: selbstgewählter und selbstbestimmter, mitbestimmter, überschaubarer.

Und damit sinnvoller. Ja, auch um den Sinn drehen sich die Gedanken der Briefträgerin, ganz sachlich und irgendwie logisch. Immer wieder taucht dazu ein Lied von Wolf Biermann aus ihrer Erinnerung auf: «Das kann doch nicht alles gewesen sein …». Sie hört es sich wieder einmal an, ist froh, dass ihre Bilanz anders aussieht als die im Lied erzählte, und merkt, auch sie «will noch ein paar eckige Runden drehn … und dann erst den Löffel abgeben, eben». Wenn nüt anders.

Nicht nur Postangestellte gratulieren der Briefträgerin zu ihrem Entscheid, das Wagnis der Frühpensionierung einzugehen. Alle sagen, sie möchten auch, aber … Und die Briefträgerin überlegt, was es zu bedeuten hat, dass alle eigentlich lieber nicht arbeiten würden. Nicht so arbeiten?

SÜSSMOST. Sie war noch einmal im Betrieb, zum Abschiedsanlass, der dann in der Arbeit ersoff. In der Arbeit der andern, die ausgerechnet an diesem Tag überquoll. Doch es war gut, sie half ein wenig, mischelte noch einmal Werbung, trug vorsortierte Post ab, stiess mit den Kolleginnen und Kollegen an, mit Kaffee, Redbull und Süssmost. Zwei, drei überraschende Gespräche, ein Geschenk zum Tschüss, noch einmal eine leise Wehmut, so in der Halle und zwischen den Gestellen, und dann war Schluss.

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