«Uber Files» erlauben Einblicke ins Innerste des US-Konzerns

90 Millionen Dollar fürs Lobbying

Christian Egg

Diskrete Treffen am WEF in Davos, ein käuflicher Uniprofessor und ein Minister, der persönlich eingreift: Jetzt zeigen interne Dokumente, wie der Dumping-Taxidienst vorgegangen ist.

MÄCHTIGER MANN: Uber-Gründer Travis Kalanick. (Foto: Keystone)

Marseille, 2015. Für einen kurzen Moment glauben sich die Taxifahrerinnen und -fahrer am Ziel. Den Sommer hindurch hatten sie gegen die illegalen Praktiken des Dumping-Fahrdiensts Uber protestiert, der ihre Existenz bedroht. Endlich, im Oktober, erlässt der Polizeipräfekt eine Verordnung und schränkt damit die unfaire Konkurrenz massiv ein.

Doch jetzt greift der Uber-Cheflobbyist zum Handy. Er schickt ein SMS nach Paris. An einen jungen, aufstrebenden Minister. Sein Name: Emmanuel Macron. Der schreibt zurück: «Ich werde mir die Sache persönlich anschauen.» Noch am selben Tag wird die Verordnung entschärft.

«Gewalt garantiert Erfolg.»

AGGRESSIV

Der SMS-Austausch findet sich in einer Sammlung von gut 124’000 internen Dokumenten, die ein Uber-Insider der britischen Zeitung «Guardian» zuspielte. Sie geben einen Einblick in das aggressive Geschäftsgebaren des US-Konzerns (Jahresumsatz: 17 Milliarden Dollar). Das Konsortium ICIJ, bestehend aus mehr als 180 Journalistinnen und Journalisten internationaler Medien, hat die Dokumente aus den Jahren 2013 bis 2017 ausgewertet.

In dieser Zeit stiess Uber auf Widerstand, vor allem in Europa. Weil sich der Konzern grundsätzlich nicht um geltende Gesetze schert. Jetzt zeigen die geleakten Unterlagen: Um damit durchzukommen, budgetierte der Konzern alleine im Jahr 2016 satte 90 Millionen Dollar für Lobby- und PR-Tätigkeiten. Politiker und Regierungsvertreterinnen wurden grosszügig beschenkt, mit Rabatten auf Uber-Fahrten, Mittagessen auf «höchster Ebene», Wahlkampfspenden und so weiter.

GEKAUFT

Auch ein deutscher Professor liess sich einspannen. Justus Haucap, Wirtschaftswissenschafter der Universität Düsseldorf, veröffentlichte 2014 in der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung» einen Gastbeitrag zum Taximarkt. Darin spricht er sich für Deregulierung aus und lobt die Sharing Economy, die «auch die Umwelt schont». Die Uber-Files zeigen: Den Artikel hatte Uber bestellt. 4000 Euro überwies der Taxidienst dem Professor dafür. Die Zeitung wusste offenbar nichts davon.

Eine perfekte Gelegenheit, um die Reichen und Mächtigen zu beeinflussen, war das WEF in Davos. Das Uber-Leak erlaubt deshalb auch einen seltenen Blick hinter die Kulissen der umstrittenen Veranstaltung. Es enthält ein 98 Seiten starkes Briefing aus dem Jahr 2016. Wie das Recherche-Kollektiv auf seiner Website schreibt, traf Uber-Chef Travis Kalanick demnach in Davos vier Premierminister und zwei Vizepräsidenten der EU-Kommission, den Financier Nat Rothschild, den Putin-Vertrauten Oleg Deripaska, die Gründerin der Onlinezeitung «Huffington Post» und den Chef der mittlerweile sanktionierten russischen Sperbank. Und die Lobbymaschine funktionierte perfekt: Joe Biden, damals US-Vizepräsident, war nach einem vertraulichen Treffen mit Kalanick derart beeindruckt, dass er kurzfristig seine WEF-Rede anpasste, um Uber zu ­loben. Und der israelische Premier Benjamin Netanjahu ­sicherte dem Uber-Chef volle Unterstützung zu, wie aus ­Gesprächsnotizen hervorgeht: «Wir werden den Widerstand brechen. Lassen Sie uns parallel arbeiten.»

GEWALTSAM

Wie Uber gegen Widerstand vorging, zeigen interne Anweisungen von Kalanick. Als in Paris 2016 die Taxis streikten, befahl der CEO dem französischen Management, eine Gegendemo mit Uber-Fahrerinnen und -Fahrern zu organisieren. Die Stimmung war aufgeheizt, Tausende Taxifahrer beteiligten sich an den Protesten gegen Uber, blockieren Bahnhöfe und Flughäfen, Uber-Fahrzeuge brannten. Als die Chefs von Uber Frankreich vor der Gefahr warnten, schrieb Kalanick zurück: «Ich denke, das ist es wert. Gewalt garantiert Erfolg.»

Das Vorgehen hatte System. Gegenüber dem «Guardian» bezeichnete es ein ehemaliger Uber-Kadermann als Teil einer Strategie, die Fahrerinnen und Fahrer «als Waffe einzusetzen» und Gewalt gegen sie zu instrumentalisieren, «um die Kon­troverse am Brennen zu halten». Interne E-Mails liessen vermuten, so der «Guardian» weiter, «dass dieses Drehbuch in Italien, Belgien, Spanien, den Niederlanden und der Schweiz wiederholt wurde». Tatsächlich protestierten in den Jahren 2015 und 2016 auch in der Schweiz Hunderte Taxifahrerinnen und -fahrer gegen Uber, allerdings in weit weniger aufgeheizter Stimmung als in Frankreich.


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