USA: Der nächste Angriff der rechten Bundesrichter gilt der Verhütung, der Sexualerziehung und der Homosexualität

Abtreibungs-Urteil: Das war erst der Anfang!

Oliver Fahrni

Die obersten US-Richter ­erklären Abtreibung zum ­Verbrechen. Doch nicht nur das: Sie sind die Vorhut einer rechten Offensive gegen die Demokratie.

WÜTENDE FRAUEN IN WASHINGTON: Zehntausende gingen auf die Strasse, um gegen den Entscheid des obersten Gerichtes zu protestieren. (Foto: Getty)

Für Jane Fonda (85), grosse Figur des Kinos, prominente Frauenrechtlerin und Klimakämpferin, ist der Fall klar: «Das oberste Gericht der USA ist eine rechtsextreme Kloake geworden.» Fonda reagierte damit auf das Urteil, das Recht auf Abtreibung zu kippen. Innert einer Stunde nach dem Richterspruch kriminalisierten neun US-Bundesstaaten den Abbruch einer Schwangerschaft, teilweise sogar nach Vergewaltigung oder Inzest. Abtreibende Schwangere riskieren nun bis zu 99 Jahre Gefängnis. 26 weitere Bundesstaaten wollen nachziehen. Es sind dieselben Staaten, die jüngst das Stimm- und Wahlrecht von Armen, Afroamerikanern und Latinos scharf beschnitten haben.

Der spanische Arzt Alvaro Bermejo, Direktor der Internationalen Vereinigung für Fami­lienplanung, fasst den Irrsinn in einem Satz zusammen: «Diese Richter haben Blut an den Händen.» Tausende von Frauen werden nun wieder bei heimlichen Abtreibungen sterben, Ungezählte verstümmelt oder in höchste Not geraten.

Nancy Pelosi, Präsidentin des US-Repräsentantenhauses, fragte ungläubig: «Was geschieht hier gerade?» Pelosi hatte das Recht auf Abtreibung für ein unantastbares Grundrecht gehalten. So hatten wahrscheinlich auch viele der Zehntausende gedacht, die sogleich auf die Strassen von New York und San Francisco, aber auch von Paris, London und anderswo gingen. Sie sangen «Solidarität mit unseren US-Schwestern», skandierten «Unsere Rechte stehen nicht zur Debatte», «Mein Körper gehört mir» und «Nie wieder Abtreibung mit dem Kleiderbügel!».

«Das oberste Gericht der USA ist eine rechtsextreme Kloake geworden.»

ABSURDE BEGRÜNDUNG

Die öffentliche Diskussion hat gezeigt, dass es für das Urteil keine ethische, politische oder rechtliche Grundlage gab. Die Zahl der Abtreibungen wird nicht sinken, sie werden nur tödlicher. Eine starke Mehrheit der US-Bevölkerung aber will ­sichere Abtreibungen. Was der oberste Richter ­Samuel Alito als Begründung anführte («Abtreibung steht nicht in der Verfassung»), nennen ­führende Juristinnen und Juristen «absurd und lächerlich» (work berichtet: rebrand.ly/kreuzzug-gegen-die-frauen).

Das kratzt die reaktionäre Mehrheit im obersten Gericht um Alito, Amy Coney Barrett und Clarence Thomas nicht. Die Abtreibung ist für sie nur ein Testfall. Sie wollen ihre Macht zu einem Angriff auf alle Fortschritte nutzen. Richter Clarence Thomas ist der Scharfmacher. Am Tag vor dem Abtreibungsurteil hatte er das uneingeschränkte Tragen von Waffen in der Öffentlichkeit durchgesetzt. Dann sprach er Klartext: Als nächste Ziele hat er sich Verhütung, Sexualerziehung, Homosexualität und gleichgeschlechtliche Ehen vorgenommen. Nebenbei: Richter Thomas’ Frau Ginni, eine rechtsex­treme Anwältin, war eine treibende Kraft hinter dem Angriff auf das Capitol am 6. Januar 2021.

DER WIDERSTAND ERWACHT

Die Richter gehen verdeckt vor. Bei ihrer Einsetzung durch Trump Ende 2020 hatte die katholische Fundamentalistin Amy Coney Barrett vor dem Senat die Abtreibung verteidigt. Eine glatte Lüge. Richter Alito, ein bekennender Rassist, hatte schon in den 1980er Jahren eine verdeckte Strategie zum Angriff auf Frauenrechte und Abtreibung entworfen. Wie weit das Trio um Thomas noch gehen wird, ist jetzt das brennende Thema in Bürgerrechtsgruppen und Gewerkschaften. Sie vermuten, das oberste Gericht habe Grundrechte wie die Organisationsfreiheit im Visier. Als Vorhut einer Offensive gegen die Demokratie, die zuerst auf dem Körper der Frauen ausgetragen wird.

Immerhin hat der Richterspruch jetzt die demokratischen Kräfte in der ganzen Welt geweckt. Frauenbewegte erkennen, dass keines der hart erkämpften Rechte in Stein gemeisselt ist. Nirgendwo. So will die französische Linkskoalition Nupes nun die Abtreibung in die Verfassung schreiben – Präsident Macron hatte das 2018 noch abgeschmettert. Und in Deutschland hat der Bundestag einen abtreibungsfeindlichen Paragraphen aufgehoben (siehe unten).

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