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Malerin Yelines Hofer: «Man darf nicht faul sein, wenn’s um das eigene ­Leben geht»

Christian Egg

Arbeiten an der Sonne, viel Freiraum und vom Chef Gipfeli statt Gebrüll: So ist’s richtig, sagt Yelines Hofer.

AN DER SONNE: Beim schönsten Wetter draussen arbeiten zu können, das mag Malerin Yelines Hofer an ihrem Job. (Fotos: Matthias Luggen)

Was für ein Privileg, habe sie grad heute wieder gedacht, sagt Yelines Hofer: «Ich kann beim schönsten Wetter draussen arbeiten.» Jetzt sitzt die Malerin beim Feierabendbier, lehnt sich zurück und wartet auf die Fragen von work. Die erste: Was, wenn es regnet oder eiskalt ist und sie draussen arbeiten muss? Die 29jährige schmunzelt und sagt: «Das gibt’s in unserer Firma nicht.»

Kein Witz: Ihr Chef habe immer genügend andere Aufträge, so dass die Malerinnen und Gipser bei Schlechtwetter stets drinnen arbeiten könnten. «Er ist halt gut organisiert.» Und ja, in anderen Betrieben habe sie mehrmals um 7 Uhr morgens bei minus zehn Grad Aussenwände streichen müssen. Das sei eine Qual und überdies oft für die Katz: «Bei Schlechtwetter sollte man sowieso nicht draussen streichen. Die Farbe kann abblättern, und dann musst du wieder von vorne anfangen.»

STRICH UM STRICH: Malerin Yelines Hofer gibt Wänden und Fassaden den letzten Schliff.

HEIMKIND. Nicht nur wegen der Sonne liebt Hofer ihre Arbeit. Auch, weil sie am Abend sieht, was sie gemacht hat. Und weil sie viel Freiraum hat. Sie hat meist drei, vier Aufträge parallel und entscheidet selber, was sie wann macht. Davon profitiere auch die Firma, sagt sie: «Wir auf der Baustelle sind näher dran und wissen meist besser als der Chef, was sinnvoll ist.»

Ob streichen oder spritzen oder die Kundschaft beraten: sie mache fast alles gern, was der Beruf mit sich bringe. Ausser Tapezieren: «Einmal die Tapete falsch abschneiden, dann hast du das Geschenk. Damit kannst du mich jagen.» Sagt’s und lacht herzhaft.

Der lebensfrohen und selbstbewussten Frau mit den grünblauen Haaren und den wachen blauen Augen sieht man nicht an, dass ihr Start ins Leben kein schöner war: ein gewalttätiger Vater, eine überforderte Mutter. Zwei Jahre lebte sie auf der Strasse, mit 12 Jahren kam sie ins Heim, und während der Lehre war sie auf Sozialhilfe angewiesen: «Da habe ich mit ganz wenig Geld gelebt. Jeden Franken habe ich zwei-, nein, zehnmal umgedreht.» Etwas habe sie in dieser Zeit gelernt: «Man darf nicht faul sein, wenn’s ums eigene Leben geht.»

Im Heim kam sie auch erstmals mit dem Malerberuf in Kontakt: «Wir mussten ständig irgendwo arbeiten und bekamen dafür ein Sackgeld. Einmal mussten wir die Büros neu streichen. Das fand ich cool.» Ab dann war klar: Das wird ihr Beruf. Seit zwei Jahren arbeitet sie beim Maler- und Gipserbetrieb Walter Jäggi im solothurnischen Boningen. Mit dieser Firma habe sie das grosse Los gezogen, sagt sie: ein anständiger Lohn von 5850 Franken brutto und Wertschätzung vom Chef. Das fange an beim gegenseitigen Vertrauen, gehe über gute Werkzeuge bis zu den Gipfeli, die er manchmal am Morgen einfach so mitbringe.

GRÜSEL. Zuvor habe sie meist schlechte bis katastrophale Chefs gehabt, sagt die Schweizerin mit kolumbianischen Wurzeln. Bei einem habe sie neuneinhalb Stunden pro Tag arbeiten müssen statt acht, wie es der Gesamtarbeitsvertrag vorschreibt. Ein anderer habe die Leute ständig angebrüllt. Und sie nahm innerhalb von acht Monaten 15 Kilo ab, «weil ich nie Mittag machen konnte. Dabei weiss ich, dass ich schnell arbeite.» Den Termindruck auf dem Bau müssten oft die Malerinnen und Maler ausbaden: «Die letzten beissen die Hunde.»

Ein anderer Chef machte gerne lange Meetings nach Feierabend: «Zwei Stunden stehen, und das ohne Lohn!» Wieder ein anderer habe eine Lehrtochter betatscht. Hofer protestierte, sprach mit den Eltern, informierte das Lehrlingsamt. Doch der Chef tat es wieder. «Da habe ich fristlos gekündigt.»

Yelines Hofer hat fast immer temporär gearbeitet. Auch jetzt. Das gebe einen willkommenen Abstand zur Firma: «Wenn es um Lohn und Stunden geht, habe ich nicht mit dem Chef zu tun, sondern mit dem Temporärbüro.» Und sie schätze die Freiheit: So könne sie so viel freinehmen, wie sie wolle.

Unia-Mitglied ist sie seit acht Jahren. Aktiv aber erst seit zwei Jahren: Da habe sie einen Anruf der Gewerkschaft bekommen mit der Frage, ob sie Interesse habe, sich zu engagieren. Sie hatte. Und merkte: «Hey, da geht es genau um das, was ich vorher auf eigene Faust gemacht habe. Nämlich die Leute zu motivieren, dass sie sich wehren und nicht über den Tisch ziehen lassen.»

TRÖTZELN. Sie wüsste, wo man den Gesamtarbeitsvertrag fürs Maler- und Gipsergewerbe noch verbessern könnte: mehr Ferien, bessere Kündigungsfristen und mehr Kontrollen – «damit die schlechten Chefs irgendwann verschwinden». Aber alles in allem sei der GAV der Gipserinnen und Maler nicht schlecht.

Als Delegierte der Branche verhandelte sie im vergangenen Winter den neuen Vertrag mit. So lange zu sitzen und zu reden, das sei anstrengend gewesen – aber auch spannend. Etwa, wenn die Arbeitgeber als Antwort auf Forderungen damit drohten, den GAV zu kündigen. Wie reagiert frau da als Gewerkschafterin? Hofer lächelt und sagt: «Wie bei einem Kind, das trötzelt: gar nicht so fest beachten.»


Yelines Hofer  Sport, Hund, Punk

Der Malerinnenberuf sei strenger, als es sich viele vorstellten, sagt Yelines Hofer: «Wenn ich einen ganzen Tag eine Decke abschleife, bin ich am Abend nudelfertig.» Sie mache die Arbeit gern, betont sie. «Aber ich habe auch sehr gern Freizeit.»

Langweilig wird ihr nicht. Sie spielt Tennis, rennt regel­mässig in Aarburg AG das «Tuusigerstägli» hoch – genaugenommen habe die Treppe sogar 1150 Stufen – und macht einmal pro Woche ein hartes Fitnesstraining, inspiriert von den Navy Seals, der Eliteeinheit der US-Armee.

KONZERTE. Zeit nimmt sie sich auch für ihrem Hund Sunny, einen Volpino italiano, und für die Musik. Sie ist in mehreren Kulturvereinen aktiv, organisiert Rockkonzerte und Goaparties und spielt Schlagzeug in einer Punkband.

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