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Chauffeur Markus Kümin: «Jeder Länderchef bekam eine eigene Limousine»

Christian Egg

Prinzessinnen, Blutproben, Banker und sogar Verstorbene – Markus Kümin hat in seinen 30 Jahren als Chauffeur schon fast alles und alle transportiert.

HINTER DEM STEUER. Wenn der Motor läuft, ist Markus Kümin (59) happy. (Fotos: Stefan Bohrer)

Das Autofahr-Virus packte Markus Kümin, noch bevor er den Fahrausweis hatte. Als KV-Lehrling in einer Speditionsfirma habe er immer die Lastwagenchauffeure bewundert, sagt er. Besonders beim Rückwärtsfahren mit Anhänger: «Diese Präzision, wenn einer so ein Riesending zentimetergenau an die Rampe stellt!»

Irgendwann war er, nur vom Zuschauen, sicher: Das kann ich auch. Im Zollfreilager stand er jeweils mit den Papieren daneben und wartete, bis die Profis einparkiert hatten. Als einer Mühe hatte, konnte Kümin, damals 17 Jahre alt, nicht mehr aufs Maul hocken. Nach dem sechsten erfolglosen Versuch rief er dem Chauffeur zu: «Das kann doch nicht so schwer sein!» Worauf der zurückgab: «Weisch was? Mach s sälber!»

Mit zittrigen Händen stieg Kümin in den Lastwagen. Und schaffte, was ihm keiner zugetraut hätte: «Nach dem zweiten Versuch stand der Anhänger genau dort, wo er sein musste.» Die Genugtuung und den Stolz von damals spürt er heute noch.

GROSSE FREIHEIT. Sein ganzes Berufsleben hatte Kümin mit dem Transport zu tun. Die meiste Zeit davon war er Taxifahrer in Basel. Eigentlich ein sehr schöner Job, sagt er, vor allem wegen der grossen Freiheit: «Ich entscheide selber, wann ich einen Kafi trinke und wann ich Mittagspause mache.» Aber der Verdienst sei eine reine Katastrophe: kein fester Lohn, nur Umsatzbeteiligung. Das heisst: keine Kundschaft, kein Einkommen. Irgendwann wollte er es genau wissen und trug täglich Arbeitszeit und Verdienst in eine Excel-Tabelle ein. Nach einem Jahr das niederschmetternde Resultat: «Mein Durchschnittsstundenlohn lag bei nur 16 Franken 50.» Das habe knapp zum Überleben gereicht, aber nicht für einen Restaurantbesuch oder gar Ferien.

WERTVOLLE FRACHT: Unterwegs mit Operationsbesteck, Medikamenten und Blutproben für das Kantonsspital Baselland.

STRESS PUR. Ab und zu hatte er die Nase voll davon und nahm andere Stellen an, etwa das Überführen von Verstorbenen nach Italien für ein Bestattungsunternehmen. Oder er jobbte als Spediteur. «Da verdiente ich deutlich besser, aber es war Stress pur. Und einen Herzinfarkt wollte ich mir nicht antun.» Drei Jahre war er Tramchauffeur bei den Basler Verkehrsbetrieben. Als der Regierungsrat de facto die Arbeitszeit für das Fahrpersonal verlängern wollte, organisierte Kümin, damals VPOD-Mitglied, den Widerstand. Fuhr an seinen freien Tagen von Endstation zu Endstation und sprach mit Kolleginnen und Kollegen. Und siehe da: 1995 gab es eine Protestpause, an der alle mitmachten. «Eine Stunde lang fuhr in Basel kein Tram mehr.» Mit dem Resultat, dass der Regierungsrat dem Fahrpersonal auf halbem Weg entgegenkam und die Zeitgutschrift nur zur Hälfte abgeschafft wurde.
Seinen Traumjob aber fand Kümin ein paar Jahre später: VIP-Chauffeur. Er arbeitete als Selbständiger für verschiedene Limousinen-Dienste. Und das klappte super: Sein Tarif war 30 Franken pro Stunde. Gemessen am Preis, den die Firmen bei den Kundinnen und Kunden verlangen konnten, war das günstig. Aber «super» im Vergleich zu den 16.50 als Taxichauffeur, sagt Kümin und grinst: «Und ich hatte erst noch die dicksten Karren unter dem Füdli.»

Jeder Tag sei eine Überraschung gewesen, schwärmt Kümin: «Das ging von ‹Fahr diesen Firmenchef nach Zürich› bis hin zu ‹Pack einen Koffer, ein Tabakkonzern zieht 25 Länderchefs für zwei Wochen in Mon­­treux zusammen, und jeder bekommt eine eigene Limousine›.» Er war Fahrer für Staatspräsidenten, arabische Prinzessinnen und immer wieder für Kundenberater der grossen Finanzkonzerne. Die hätten oft ihre Geschäfte während der Fahrt abgewickelt: «Dass Syngenta an die Chinesen verkauft wird, wusste ich, lange bevor es in der Zeitung stand.» Aber klar: Der Chauffeur ist zu absoluter Diskretion verpflichtet.
2008 kam die Finanzkrise. Die Banker und CEO trauten sich nicht mehr, mit den protzigen Limousinen herumzufahren. Und Kümin hatte von einer Woche auf die andere keine Aufträge mehr. Also fuhr er wieder Taxi.

Im Februar 2020 schmiss Kümin seinen Job als stellvertretender Chef einer Taxizentrale hin. Er wollte wieder zurück ins Taxi, aber wegen Corona ging das nicht. Plötzlich war er arbeitslos, mit 57 Jahren. Kassierte Absage um Absage. «Da bekam ich Angst: Lande ich bald in der Sozialhilfe?» Nach sieben langen Monaten atmete er auf: Er fand einen Job als Chauffeur bei der Firma Citytrans. Jetzt transportiert er Medikamente, Operationsbesteck und Blutproben fürs Kantonsspital Baselland. Für einen Stundenlohn von 21 Franken 43 brutto, plus Zuschläge für Ferien und Feiertage. Das sei leider branchenüblich, sagt Kümin. Aber besser als stempeln. Und besser, als im Taxi vergeblich auf Kundschaft zu warten. Denn eins sei klar, sagt der Chauffeur mit Wehmut: «Die Branche ist mittlerweile so am Boden, dass ich es mir nicht mehr leisten kann, Taxi zu fahren.»

Wenige Tage nach dem Treffen mit work wendet sich das Blatt: «Kann man den Text noch ändern?» fragt der Chauffeur atemlos am Telefon. Er habe einen neuen Job! Und zwar wieder als VIP-Chauffeur. «Das wird wie früher, als ich keine Ahnung hatte, was mir der Tag bringen wird. Ich könnte die ganze Welt umarmen!»


Markus Kümin  Taxi-Tänzer

Auch in der Freizeit sass und sitzt Markus Kümin gern am Steuer. In jungen Jahren fuhr er Rally und Autorennen – «bis meinem Toyota Celica bei 180 km/h die Vorderachse brach und er sich sechsmal überschlug». Später war er Ballon-Nachfahrer – also der Helfer, der einen Heissluftballon nach der Landung wieder abholt. «Mit dem Jeep auf einer Route, die der Ballon vorgab, das machte mir viel mehr Spass als in der Luft», sagt er.

HUPKONZERT. Eine grosse Leidenschaft ist das Tanzen. Er beherrscht alle Standard- und Latin-Tänze und noch ein paar mehr, gab auch Kurse. Und verdiente sogar gutes Geld als Taxi-Tänzer. «Dem sagt man wirklich so», sagt Kümin und lacht. Im Auftrag des Veranstalters tanzte er zwei Jahre lang jeden Mittwochabend mit den weiblichen Gästen. Für drei Stunden gab’s jeweils 90 Franken.

Kümin lebt mit seiner Partnerin in Riehen BS und ist aktives Unia-Mitglied. Eindrücklich sei etwa 2016 die grosse Taxi-Demo gegen Uber in Basel gewesen, mit 140 Fahrzeugen. Kümin: «Mehrere Kollegen haben an dem Tag ihre Hupe so stark beansprucht, dass sie kaputtging.»

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