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Rettungssanitäter Oliver Greutert: «Irgendetwas passiert bei uns immer»

Christian Egg

Nein, den Job könne man nicht einfach locker runterspulen, sagt Rettungssanitäter Oliver Greutert. Und trotzdem fühlt er sich sehr wohl darin.

FÜR ANDERE DA: Oliver Greutert (42) fährt für die Rettung Basel Zwölf-Stunden-
Schichten im Spitalauto. (Fotos: Stefan Bohrer)

Schon als Erstklässler schrieb es Oliver Greutert in die Freundschaftsbücher seiner Kollegen: Er will im Rettungsdienst arbeiten. Genauso wie sein Vater. Er erinnert sich gut: «All die Knöpfe in der Ambulanz und vor allem das Blaulicht, das hat mich fasziniert.»

Nach einem Umweg über die Pflege setzte er vor zehn Jahren seinen Bubentraum in die Tat um und machte die Rettungssanitäter-Schule. Bereut hat er es nie: «Einfach unglaublich spannend» sei der Beruf, sagt der 42jährige und strahlt übers ganze Gesicht. «Ich weiss nie, was mich erwartet. Das hat etwas Befreiendes.»

LEBEN. Gleich bleibt nur: Am Einsatzort wartet ein Mensch, der Hilfe braucht. Vom Neugeborenen bis zur 112jährigen Greisin können das alle sein. «Und in allen möglichen und unmöglichen Lebenssituationen.»

Bei der Rettung Basel-Stadt, bei der Greutert arbeitet, stehen rund um die Uhr mindestens fünf Rettungswagen im Einsatz, tagsüber unter der Woche sogar neun. Zwei Personen pro Fahrzeug, zwölf Stunden dauert eine Schicht. «Irgendetwas passiert immer», sagt Sanitäter Greutert. Im Schnitt hat er vielleicht sechs Einsätze pro Schicht, es können aber auch mal neun oder zehn sein. «Manchmal ist es mir ein Rätsel, wie an einem normalen Tag so viel passieren kann.»

Am häufigsten wird die Sanität laut Greutert von älteren Menschen gerufen, die dank der Spitex zwar noch zu Hause leben können, aber bereits bei einem leichteren Sturz oder einem Infekt auf die Hilfe des Rettungsdienstes angewiesen sind. Das seien dann keine Notfälle, für die er mit Blaulicht durch die Stadt brettern müsse, sagt Greutert. Da könne er sich auch Zeit nehmen für die Menschen: «Ein Einsatz geht so lange, wie er geht.» Ein krasser Gegensatz zu seiner früheren Arbeit in der Spitalpflege, wo Zeit- und Personalmangel alltäglich waren. Der Rettungsdienst dagegen bekommt die Ressourcen, die er braucht.

Warum dieser Unterschied? Greutert sagt lakonisch: «Anderes Departement.» Er ist beim Kanton Basel-Stadt im Justiz- und Sicherheitsdepartement angestellt. Dort herrsche nicht der gleiche Spardruck wie im Gesundheitsdepartement mit den Spitälern. Ausserdem gelte der Grundsatz, dass Entscheide vor Ort nicht hinterfragt würden von Leuten, die nicht dabei waren. «So kann ich zu hundert Prozent meine Arbeit machen, nach bestem Wissen und Gewissen. Das ist enorm befriedigend.»

ALLES GRIFFBEREIT: Der Rettungswagen von Oliver Greutert ist für jede Situation gewappnet. Kommt ein Notruf, muss es schnell gehen.

TOD. Die Blaulicht-Einsätze, bei denen es um Leben und Tod gehe, die gebe es natürlich auch. Verkehrsunfälle mit Schwerverletzten, die eingeklemmt sind. Menschen mit Herzstillstand, die reanimiert werden müssen. Todesfälle.

Hat er schon Situationen erlebt, die ihn überforderten? «Ja», sagt er ohne zu zögern, «das gehört dazu. Wenn ich weiss, der Patient stirbt mir jetzt, dann bin ich immer überfordert.» Los werden könne man das nicht. Aber lernen, auch in Extremsituationen weiterzuarbeiten. Greutert spricht von «Algorithmen », die er im Kopf gespeichert hat. Feste Handlungsanleitungen, so wie das bekannte «Gabi» in der ersten Hilfe, nur ausgefeilter. Die würden in der Ausbildung immer und immer wieder trainiert, stundenlang. «Denn im Stress schaltet das Hirn auf dumm. Die Leistung des Prozessors liegt nur noch bei fünf Prozent», sagt Greutert und schmunzelt. «Bis man das Gelernte dann wirklich abrufen kann, braucht es zwei Jahre Training.»

Albträume habe er keine. In Notfällen distanziere er sich von den Gefühlen: «Wir haben immer etwas zu tun. Wir sitzen nicht nebendran und sehen das Leiden.» Aber ja, es gebe immer Einsätze, die einen emotional überrumpelten. Am schlimmsten seien dabei nicht etwa schwere Verletzungen. «Schlimm ist Hilflosigkeit. Wenn ich den Angehörigen sage, wir könnten nichts mehr machen. Besonders, wenn ein Kind stirbt.» Und es dann sein Job ist, eine Stütze zu sein. Weil sonst niemand da ist.

WISSEN. Kürzlich habe ein Kollege gekündigt, weil er zu viel schlimme Sachen erlebt habe. «Er sagte, das müsse er seiner Seele nicht mehr antun. Das gab mir schon zu denken. Aber für mich überwiegen klar die positiven Erlebnisse.» Und das Wissen, dass er eine schlimme Situation oft entscheidend verbessern kann. Davon zeugten auch Dankeskarten, die ab und zu bei der Zentrale ankämen. Von Menschen, die er und seine 140 Kolleginnen und Kollegen (der Frauenanteil liegt bei rund 40 Prozent) «ins Leben zurückholen» konnten.

Positiv findet Oliver Greutert auch das Schichtmodell der Basler Sanität. Es wiederholt sich alle acht Tage: Zuerst zwei Tagesschichten von 7 bis 19 Uhr. Dann 24 Stunden Pause, der zwei Nachtschichten folgen. Und dann vier Tage frei. Nach den Nachtschichten schläft der Familienvater Greutert bis am Mittag, den Nachmittag verbringt er mit der Familie. Er rechnet vor: «An sechs von den acht Tagen kann ich viel Zeit mit den Kindern verbringen. Für eine Hundert-Prozent-Stelle ergibt das enorm viel Zeit zu Hause.»


Oliver Greutert  Sanitätsfamilie

Nicht nur Oliver Greuterts Vater arbeitete in der Rettung, sondern auch die Mutter: als Notfallpflege im Spital. Dort seien sich seine Eltern dann auch begegnet. «Und auch ich habe meine Frau im Spital kennengelernt», sagt Greutert und lacht. Sie ist diplomierte Pflegefachfrau.

Zusammen haben sie drei Kinder. Zwei Mädchen (14 und 12) und einen 5jährigen Jungen. Und der ist, wen wundert‘s, hingerissen vom Rettungswagen. Die Familie wohnt ganz in der Nähe des Basler Claraspitals. Manchmal fahre er auf dem Rückweg von einem Transport zu Hause vorbei und leuchte mit dem Scheinwerfer in die Wohnung, sagt Greutert. «Dann kommt mein Sohn und winkt.»

HOBBY-GÄRTNER. In der Freizeit zieht es Greutert in die Berge oder ins Hallenbad. Oder er ist als Handwerker tätig, im Haus oder an der Baumhütte im Garten. Als Rettungssanitäter und Ausbilder gehört er in Basel-Stadt der Lohnklasse 13 an, zwei höher als das Pflegepersonal. Das heisst, sein Lohn liegt zwischen 5200 und 8600 Franken brutto pro Monat. «Meiner ist in der oberen Hälfte», verrät er.

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