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Online-Versandhändler Lukas Steimer: «Ich gebe Computern ein zweites Leben»

Johannes Supe

Mit seinem Online-Versandhandel kämpft Lukas Steimer gegen die Wegwerfgesellschaft. Was Firmen ausrangieren, bereitet er neu auf.

GEGEN DIE WEGWERF-GESELLSCHAFT: Lukas Steimer (40) macht in seinem Geschäft gebrauchte Geräte wieder neu. (Fotos: Matthias Luggen)

In Lukas Steimers kleinem Laden leben die späten 1990er Jahre fröhlich weiter. Umgeben von modernen Geräten steht in einer Ecke die lebensgrosse Abbildung der Katakomben-Erforscherin Lara Croft. Das Schaufenster wird geschmückt vom strahlenden «Vault Boy», Kultfigur aus dem dystopischen PC-Spiel «Fallout». Und vom mannshohen Nokia 3210, jenem legendären Mobiltelefon, das wohl auch die Apokalypse überstehen würde. Die Nachbildung sei das Geschenk eines Freundes zur Eröffnung des Ladens gewesen, erzählt Steimer.

Der Freund muss den 40jährigen Walliser gut kennen. Denn mitten in Brig, nur wenige Schritte vom Stadtzentrum entfernt, umzingelt von Banken und Versicherungen, betreibt Lukas Steimer ein aussergewöhnliches Unternehmen. Er handelt mit Computern, Laptops, Tablets und Smartphones, die von Firmen ausrangiert wurden, und verkauft sie günstig an interessierte Personen weiter. Durch sein Geschäft, so erklärt Steimer, verschafft er den Geräten «ein zweites Leben».

GEGEN DAS WEGWERFEN. Dinge reparieren, sie nicht gleich in den Abfall werfen: für Steimer ist das wichtig. Wenn Unternehmen ihre Hardware aussortieren, beginnt für ihn die Arbeit. Er erklärt: «Die meisten Firmen schliessen für ihre Geräte einen Servicevertrag über drei Jahre ab. Wenn der ausgelaufen ist, schaffen sie neue an.» Dann holt der 40jährige die gebrauchten Stücke ab, bereitet sie neu auf. Besonders wichtig: alle Daten von den Geräten löschen. «Das ist Vertrauenssache. Einige Firmen bestehen auf einer Datenlöschung vor Ort», so Steimer. Ein Fehler ist ihm dabei in 18 Jahren noch nie unterlaufen.

Doch das Abholen und die Daten­löschung ist nur die halbe Büez. In seinem Geschäft in Brig installieren Steimer und sein Team den Computern ein aktuelles Betriebssystem und prüfen sie auf Herz und Nieren. Dann werden die «alten Neuen» für den Versand vorbereitet. Neuer Abfall falle dabei nicht an, erklärt Steimer stolz: «Ich ­arbeite mit Geschäften aus der Umgebung zusammen. Einige geben mir ihre Kartons zum Verpacken, andere überlassen mir Luftpolsterfolie und Füllmaterial, um die Geräte für den Transportweg zu schützen.»

Angeboten werden die Stücke schliesslich über die Website des Geschäfts, budgetcomputer.ch, zu Preisen, die oft 50 Prozent, manchmal gar 80 Prozent unter dem ursprünglichen Kaufpreis liegen. Angezogen würden so Kundinnen und Kunden, die günstige, aber gute Geräte suchen, so Steimer. «Es gibt aber auch Leute, die bewusst bei uns kaufen, um der Wegwerfgesellschaft etwas entgegenzuwirken.»

AUS KAPUTT WIRD REPARIERT: Lukas Steimer vor seinem Computer-Flick-Geschäft in Brig.

WASCHKÜCHEN-TECHNIK. Steimers eigene Faszination für Technik begann früh. Bereits als Kind war er an Videospielen interessiert, und bald half er Verwandten und Freunden, wenn die mit den neu aufkommenden Rechnern überfordert waren. Eine Lehrstelle als Informatiker fand Steimer zwar nicht. Dafür kam er in Brig in der Buchhandlung «Zur Alten Post» unter. Einerseits hantierte die noch mit Buchlaufkarten, um den Bestand zu kontrollieren. Andererseits wurden neue Bestellungen schon elektronisch abgewickelt. Steimer half kräftig dabei, den Laden fit für das neue Jahrtausend zu machen. Auch an der Entstehung der ersten Website war er beteiligt. Mehr und mehr geriet die kleine Buchhandlung zum Treffpunkt der örtlichen Gaming- und Technik-Gemeinschaft. Gerüchte besagen, dass es dort auch die besten Games gebe. «Mein Chef hat mich machen lassen. Er war glücklich, dass ich als Lehrling für so viel Umsatz sorgen konnte», so Steimer.

Die Idee für sein Geschäft kam Steimer später. Durch Zufall. Ein IT-Dienstleister war gerade dabei, das Sortiment eines Kunden umzustellen: weg mit den Röhrenbildschirmen, her mit den Flatscreens. Die alten Kästen überliess man den Mitarbeitenden und später auch Passanten für einen symbolischen Preis. «Als ich das erfuhr, erzählte ich auch meinen Freunden davon. Die wollten natürlich, dass ich ihnen welche mitbringe», sagt Steimer. Dann habe er sein Auto beladen, wieder und wieder. Später fragte er weitere Betriebe nach ausrangierter Ware. Und so stapelte sich in der Waschküche des jungen Wallisers bald Technik. Seit 2006 hat Steimer Bezugsquellen in der ganzen Schweiz.

VERLEIMT. Ganz allein ist Lukas Steimer nun nicht mehr. Er beschäftigt Personen in schwierigen Lebenssituationen, um ihnen später eine Eingliederung in den Arbeitsmarkt zu ermöglichen. Drei bis sechs Monate können Geflüchtete, Suchtkranke oder Langzeiterwerblose in seinem Laden ein Praktikum machen, nach Absprache mit den Ämtern und Behörden. Steimer sagt: «Der Lohn ist meist nur symbolisch. Dafür fühle ich mich aber verpflichtet, auch bei privaten Problemen zu helfen, wenn ich kann.»

Zunehmend schwieriger wird sein Geschäftsmodell durch das Gebaren der Techproduzenten. «Die Hersteller wollen Reparaturen möglichst verhindern», sagt Steimer. Gehäuse würden geleimt statt verschraubt, Komponenten gelötet statt gesteckt. Dabei hat Steimer eine bedenkliche Beobachtung gemacht: Das Vorgehen gegen Reparaturen nimmt im selben Mass zu, wie bahnbrechende Neuerungen abnehmen. Dennoch will Steimer weitermachen, solange er kann. «Wie es jetzt läuft, ist es gut», meint er. Und weiter: «Ich will gar nicht expandieren. Ich bin froh, wenn ich davon leben und etwas an die Gesellschaft zurückgeben kann.»


Lukas Steimer  Spiele-Fan

Auch in der Freizeit ist Lukas Steimer den Rechnern zugewandt: Der Mann aus Naters sammelt alte Computer-Spiele. Mehr als 1000 Titel umfasst seine Kollektion, zudem nennt er über zwei Dutzend Konsolen – vom Atari 2600 über den Commodore 64 bis zum Super Nintendo – sein Eigen. Doch Steimer hat einen besonderen Geschmack: «Ich bin nur an Retro-Games interessiert. Was mehr als zwei Knöpfe braucht, interessiert mich schon nicht mehr.»

Unwesentlich mehr Schalter umfasst sein zweites grosses Hobby: Flipperkästen. Auch hier hat er eine stattliche Sammlung von gut 20 Automaten. Seine Leidenschaft hat in schon bis in die USA getrieben, zu Ausstellungen und Turnieren.

POLITISCH. Steimer ist in keiner Partei, aber ein politischer Mensch. Einige Jahre arbeitete er als Layouter für die «S & Z Print AG» in Brig, die für viele Umwelt­organisationen, linke Parteien und Gewerkschaften druckte. Bis heute kennt er das gewerkschaftliche Milieu im Wallis gut, arbeitet bisweilen auch mit der Unia zusammen. Vor einigen Jahren trat er gar auf der gemein­samen Liste von SP und Grünen für den Gemeinderat in Naters, später auch für den Grossrat, an, allerdings ohne Erfolg. Er nimmt es mit Humor: «Das eher klägliche Resultat hat mich für eine Weile von den Ambitionen geheilt.»

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