Jean Ziegler ‒ la suisse existe

Danke, Desmond Tutu

Jean Ziegler
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Zwischen Weihnachten und Neujahr ist der letzte Gigant der südafrikanischen ­Revolution gestorben. Desmond Tutu, erster schwarzer Erzbischof der anglikanischen Kirche von Kapstadt und Widerstands­kämpfer des African National Congress (ANC), verliess den Planeten nach 92 Jahren.

Der kleine, schmächtige, unglaublich lebendige Tutu veränderte die Geschichte Afrikas innerhalb seiner Generation gleich zweimal auf entscheidende Weise.

Tutu hat Massaker an Weissen, einen Bürgerkrieg und die Zerstörung von Süd­afrika verhindert.

FRIEDENSNOBELPREIS. Sein Vater war Lehrer und Gewerkschafter. Er kämpfte sein Leben lang – weitgehend umsonst – für eine ­halbwegs anständige Schulbildung der schwarzen Kinder. Sohn Desmond erhielt ein norwegisches Stipendium und studierte in England Theologie. Für seinen unerhört mutigen Kampf gegen die mörderische ­Rassendiktatur erhielt er 1984 den ­Friedensnobelpreis.

Im Westen war der ANC als kommunistische Organisation verschrien. Mitten im Kalten Krieg gelang es Tutu in unzähligen Reden und Begegnungen mit Regierungen in Europa, in Washington und bei der Uno, den ANC als das zu vermitteln, was er tatsächlich war: eine pluriethnische, Klassen über­greifende, nationale Befreiungsbewegung. Der internationale Wirtschaftsboykott brachte die Rassendiktatur schliesslich zu Fall. Tutu hatte dafür den Weg bereitet.

Im April 1994 fanden im Riesenland Süd­afrika unter Uno-Aufsicht die ersten ­demokratischen Wahlen statt. Der stellver­tretende Uno-Generalsekretär Lakhtar ­Brahimi leitete die Uno-Mission.

Ich war deren Mitglied und sah beinahe täglich Nelson Mandela, Thabo Mbeki, Desmond Tutu und Brahimi an der Arbeit.

WAHRHEITSKOMMISSIONEN. Tutu erfand die Wahrheits- und Versöhnungskommission. Vor Hunderten dieser Kommissionen im ganzen Land klagten die Überlebenden und die Angehörigen der Opfer die anwesenden Täter ihrer Verbrechen an. Wenn die Täter gestanden und um Verzeihung baten, wurden sie wieder in die Gemeinschaft aufgenommen. Bestritten sie oder hatten sie Blut an den Händen, wurden sie den Gerichten überstellt.

Heute erinnert sich kaum jemand an die Folterknechte und Massenmörder der Rassendiktatur. Unstillbarer Hass erfüllte nach dem Ende des Apartheid-Regimes zu Recht die Familien der vielen Tausend Opfer. Dass Desmond Tutu trotzdem die Durchsetzung der Wahrheitskommissionen gelang, grenzt an ein Wunder.

Durch seine Klugheit, seine Überzeugungskraft und seine unendliche Geduld hat Tutu Massaker an den Weissen, einen Bürgerkrieg und schliesslich die Zerstörung Südafrikas verhindert. Ihm gehört der Dank aller zivilisierten Menschen.

Jean Ziegler ist Soziologe, Vizepräsident des beratenden Aus­schusses des Uno-Menschenrechtsrates und Autor. 2020 erschien im Verlag C. Bertelsmann (München) sein neustes Buch: Die Schande Europas. Von Flüchtlingen und Menschenrechten.

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