Italien: Arbeiterinnen setzen sich gegen unmenschliche Schichtzeiten beim Mode-Konzern Yoox durch

«Auch hier muss man kämpfen!»

Mattia Lento

Jahrelang ­haben ­Arbeiterinnen der ­Firma Yoox in Bologna gegen ­frauenfeindliche Arbeits­bedingungen ­gekämpft. Mit grossem Erfolg.

WIR SIND NICHT UNSICHTBAR! Plakat zum Streik der Arbeiterinnen gegen die Arbeitsbedingungen im Yoox-Logistikzentrum in Bologna. (Illustration: Giulia Conoscenti)

Laila (34) und Liuba (43) holen ihre Kinder um 4.30 Uhr aus dem Bett, bringen sie zu einer Nachbarin und fahren dann zum Logistikzentrum Interporto ausserhalb von Bologna. Dort verpacken sie für die Firma «Lis» Kleider und Modeaccessoires der Zulieferfirma Yoox Net-a-Porter, einer führenden italienischen Marke im Desi­gner-Onlinehandel. In der Woche darauf wecken Laila und ­Liuba ihre Kinder zwar zu einer menschlicheren Zeit, bringen sie zur Schule, erledigen die liegengebliebene Hausarbeit, arbeiten dann aber den ganzen Nachmittag und Abend bis 23.30 Uhr. Um Mitternacht holen sie die Kinder ab. Solch fa­milienfeindliche Arbeitszeiten wollten sich die beiden Verpackerinnen nicht länger bieten lassen. Und wurden zusammen mit ihrer Gewerkschaft Sicobas aktiv.

«Ich habe alles riskiert, damit mein Sohn bei mir bleiben kann.»

MÜTTER BENACHTEILIGT

Eine Reihe von Aktionen, darunter auch Streiks, brachten erste Verbesserungen. Aber erst ein Gerichtsurteil verbesserte die Situation nachhaltig. Eleonora Bortolato ist Gewerkschafterin bei Sicobas. Sie erklärt: «Am 31. Dezember 2021 erklärte das Arbeitsgericht Bologna Doppelschichten, wie sie Laila und ­Liuba arbeiten mussten, für unrechtmässig.» Das Urteil besagt eindeutig, dass die Tagesschicht von 8.30 bis 16.30 Uhr für alle Arbeitnehmenden mit Kindern unter 12 Jahren wieder eingeführt werden müsse. Die Kategorie der erwerbstätigen Mütter dürfe nicht länger benachteiligt werden.

Maurizio Lunghi von der Gewerkschaft CGIL hat das Urteil überrascht, denn seit Jahren sei die Doppelschicht in der Branche die Norm. Er sagt: «Auf jeden Fall muss die Entscheidung des Gerichts nun umgesetzt werden, und wir werden einige Vereinbarungen, die wir in der Vergangenheit mit mehreren Unternehmen getroffen haben, neu diskutieren.»

ANGST VOR DEM SOZIALAMT

Alles begann Ende 2019, als die Firma «Mr. Job» Insolvenz anmeldete. Die Arbeiterinnen, die zuvor in einer einzigen Schicht tagsüber gearbeitet hatten, wurden damals von der «Lis»-Group übernommen und mussten ihr Leben komplett umstellen. Ihre Arbeitszeit wurde neu organisiert: Ihre erste Schicht dauerte von 5.30 bis 13.30 Uhr und ihre zweite von 14.30 bis 23.30 Uhr.

Auch Logistikerin Liubas Leben stand kopf. Sie sagt: «Am Anfang, bevor ich von der Firma ein bisschen mehr Flexibilität bekam, riefen mich die Kindergärtnerinnen an und sagten mir, mein Kind werde jetzt dann gleich auf dem Boden einschlafen.» Liuba hatte Angst, dass sie sie dem Sozialamt melden würden, also sagte sie nichts über ihre Arbeitsbedingungen. Sie konnte aber auch nicht riskieren, arbeitslos zu werden. Sonst hätte sie ihren Wohnsitz verloren und damit die Möglichkeit, die Aufenthaltsgenehmigung für ihren dreijährigen Sohn zu verlängern. Liuba stammt aus Moldawien und hat eine unbefristete Aufenthaltsbewilligung, die aber für ihren Sohn nicht gilt. Jedenfalls nicht in den ersten Lebensjahren. Das ist absurd. Um gemeinsam mit ihrem Sohn in Italien bleiben zu können, musste Liuba also alles riskieren: «Ich habe gestreikt, ich habe mich exponiert. Viele meiner Kolleginnen hatten nicht den Mut dazu, aber einige von ihnen haben sich nach dem Urteil bei mir bedankt.» Liubas Kollegin Laila hätte nie gedacht, dass sie sich in Europa in einer solchen Situation wiederfinden würde: «Ich kam 2009 aus Marokko nach Italien und hatte niemals ein so problematisches Arbeitsumfeld erwartet.» Doch jetzt weiss sie: dass «man auch hier kämpfen muss».

«Dank unseren Kämpfen haben sich unsere Löhne fast verdoppelt.»

NICHT MEHR UNSICHTBAR

Wer sich wehrt, lebt nicht verkehrt. Laila ist stolz auf das, was sie erreicht haben: «Unsere Löhne haben sich jetzt fast verdoppelt, Mutterschaftsurlaub und Stillen wurden voll anerkannt.» Sie konnten sich auch gegen Fälle von Belästigung und Missbrauch wehren.
Ebenfalls ein Riesenerfolg: Die italienischen Medien sind auf die mutigen Yoox-Arbeiterinnen aufmerksam geworden. Sie sind jetzt nicht mehr unsichtbar. Und sie haben Solidarität erfahren: Einige Politikerinnen und Politiker unterstützten ihre Forderungen. Und die Gleichstellungsbeauftragte der Region Emilia-Romagna brachte ihren Fall vor Gericht. Vor jenes Gericht, das schliesslich das bahnbrechende Urteil über diese unmenschlichen Schichtarbeitszeiten erliess. Kein Wunder, sind die Frauen stolz!­

Yoox: Luxus-Onlinehändler

Yoox Net-a-Porter ist ein weltweit tätiger Onlinehändler und verkauft über die eigenen Web­sites Kleider und Accessoires von ungefähr 650 Luxus-Modemarken in 180 Länder. Der Konzern hat rund 5000 Mitarbeitende, 10 Bürostandorte und 9 Logistikzentren.

RICHEMONT. Net-a-Porter wurde im Jahr 2000 von einer Mode-Journalistin in London gegründet. 2015 kaufte der italienische Modekonzern Yoox die Firma und führte den Hauptsitz nach Mailand über. Yoox Net-a-Porter ist eine Tochterfirma des Schweizer Luxusgüterkonzerns Richemont.

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