Der Bundesrat bibbert mehr vor einem Richterspruch aus Strassburg als vor der Klimaerhitzung. Das zeigt seine dreiste Antwort auf die Klage der Klimaseniorinnen.
SAURE SENIORINNEN: Der Bundesrat antwortet auf die Klage der Klimaseniorinnen mit haarsträubenden Argumenten. (Foto: Keystone)
«Klimaseniorinnen contra die Schweiz». So heisst der brisante Fall im Juristensprech. Adressiert ist die entsprechende Klage allerdings nicht an die Schweiz als Ganzes, sondern an den Bundesrat. Dieser unternehme zu wenig gegen die Klimaerhitzung und gefährde so die Gesundheit der Bevölkerung, insbesondere jene von älteren Frauen, die etwa in Hitzewellen ein erhöhtes Sterberisiko tragen. So lautet die Argumentation der Klimaseniorinnen. Der Verein von mittlerweile 1900 Rentnerinnen aus der ganzen Schweiz hat sich mit seiner Klima-Klage bis vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Strassburg durchgekämpft. Denn der Bundesrat, das Bundesverwaltungsgericht sowie das Bundesgericht hatten die Seniorinnen zuvor abblitzen lassen (work berichtete). Strassburg hingegen forderte prompt eine Stellungnahme aus Bern. Diese ist nun eingetroffen und von den Klägerinnen veröffentlicht worden. Gut so! Denn das 51 Seiten lange Schreiben zeigt: Der Bund bibbert – weniger vor der Klimakatastrophe, aber sehr vor einem Richterspruch.
FORMALER FEHLER
Ein Urteil würde nämlich zeigen, ob die Schweiz wirklich das Menschenrecht auf Leben und Gesundheit verletzt. So weit möchte es der Bund lieber nicht kommen lassen. Er argumentiert daher formalistisch: die Klage der Seniorinnen sei zu spät eingegangen und also unzulässig. Tatsächlich traf die Klage durchaus innerhalb der von Strassburg gesetzten Frist ein. Diese war coronabedingt verlängert worden, was Bern aber nicht für rechtens hält.
Für den Fall, dass diese Masche nicht zieht, hat der Bund aber noch andere haarsträubende Argumente gebüschelt. Die lauten zusammengefasst so: 1. sei Klimaschutz teuer, und 2. könne die Schweiz alleine eh nichts machen, tue 3. trotzdem schon viel, obwohl sie 4. einen geringen CO2-Ausstoss habe und ihr 5. noch genug Zeit bleibe.
TOTALOPPOSITION
Für Rosmarie Wydler-Wälti, die Co-Präsidentin der Klimaseniorinnen, war diese Antwort «ein Schock». Das erklärte die 71jährige während eines fulminanten Auftritts in der SRF-Sendung 4 × 4: «Es ist, als ob die Verantwortlichen vom Bund in einer Blase fernab der Realität lebten.» Mehr noch gleiche die bundesrätliche Totalopposition der «Trotzreaktion eines Kindes, das eigentlich weiss, dass es falsch handelt, nun aber um jeden Preis sein Gesicht wahren möchte».
Ganz dreist sei die Behauptung des geringen CO2-Ausstosses. Schliesslich würden unsere Konsumgüter grösstenteils im Ausland hergestellt. Hinzu kämen die Investitionen des Finanzplatzes. Nun werden die Klimaseniorinnen bis am 13. Oktober eine Replik einreichen. Dann wird Strassburg entscheiden, wie es weitergeht. Heiss wird’s für den Bund sowieso. Denn er stützt sich in seiner Antwort, eingegangen am 16. Juli, auf den 5. Weltklimabericht. Und der ist mittlerweile veraltet. Anfang August erschien der erste Teil des 6. Berichtes. Er zeigt: Für die Verhinderung des Klima-Super-GAU bleiben 10 Jahre weniger Zeit als angenommen.