Christoph Blocher über die Nazi-Chemiker in Ems:
«Ganz tüchtigi Sauchaibe»­

Ein brisanter SRF-Dok über die Ems-Chemie zeigt ­braune Flecken in der Firmen­geschichte. Leider nicht alle. Stattdessen macht der Film ausgerechnet den Anti­faschisten und SP-Nationalrat Robert Grimm zum grossen Nazi-Kollaborateur.

ROBERT GRIMM: SRF-Dok macht den Generalstreik-Organisator und Antifaschisten zum Nazi-Freund. (Foto: SRF)

Düstere Filmmusik, ein verdunkelter Raum und mittendrin ein einziger Stuhl – darauf Platz nimmt ein alter Mann: Christoph Blocher. Der SVP-Übervater ist sichtlich irritiert über die inszenierte Verhöratmosphäre und fragt: «Hocke ich im Halbdunkeln? Ist das halbkriminell, oder was?» So beginnt der neue SRF-Dok «Ems-Chemie – dunkle Helfer nach dem Zweiten Weltkrieg». Darin beleuchtet der SRF-Dokfilmer mit SVP-Drall, Hansjürg Zumstein, die Geschichte des grössten Industriebetriebs Graubündens. Und zwar, weil in diesem auch Nazi-Verbrecher mitmischten. Was der ehemalige Ems-Chef und Hobbyhistoriker Blocher zwar weiss, aber in Firmenpublikationen bisher stets verschweigen liess und nun sein Unbehagen vor der Kamera mit Sprüchen zu überspielen versucht. So zum Beispiel mit dieser bemerkenswerten Aussage: Es seien zwar «Sauchaibe» gewesen, aber dafür «ganz tüchtige», und in der Industrie arbeite man halt auch mit «Sündern» zusammen. Nazi-Verbrecher als Sünder?

Neu ist der Filminhalt nicht, sondern seit dem Bergier-Bericht von 2002 bekannt: Nach dem Zweiten Weltkrieg holte der Blocher-Vorgänger Werner Oswald, Chef der damaligen Holzverzuckerungs AG (Hovag), diverse deutsche Fachkräfte nach Ems. Und zwar solche, die im nationalsozialistischen Regime teils hohe Posten innehatten. Damals eine weit verbreitete Praxis. Dazu Historiker Lukas Straumann im Film: «Ab Mai 1945 gab es einen internationalen Run auf die deutschen Wissenschafter und Techniker.» Was der SRF-Dok interessanterweise aber nicht zeigt: Viele ­dieser Fachleute wurden aus der DDR abgezügelt (siehe die brisanten Recherchen von Martin Kreutzberg).

VON AUSCHWITZ NACH EMS

Den Anfang machte der gefragte Chemiker Johann Giesen. Er war im Dritten Reich Werksdirektor des «arisierten» IG-Farben-Konzerns und leitete die Planung einer Chemiefabrik, die dem Vernichtungslager Auschwitz angeschlossen war. Vermittelt worden war der Nazi-Chemiker vom ehemaligen SS-Hauptsturmführer Ernst Rudolf ­Fischer. Dieser hatte sich kurz vor Kriegsende in die Schweiz abgesetzt. Und zwar zusammen mit ­SS-Mann Friedrich Kadgien, dem wichtigsten Finanzjongleur und Dia­mantenschieber Hitlers. Und hier kommt Robert Grimm ins Spiel, der legendäre Landesstreikführer und SP-Nationalrat.

Grimm war nämlich 1939 zum Chef des kriegswirtschaftlichen Amts «Kraft und Wärme» ernannt worden. Ein unbeliebter Job, bei dem man nicht anders konnte, als sich die Hände schmutzig zu machen. Seine Aufgabe: den heimischen Nahrungs- und Treibstoffbedarf sicherstellen. Nur war die Schweiz ab 1942 ganz von faschistischen Truppen umschlossen. Ohne Deals mit den Achsenmächten waren die nötigen Importe daher unmöglich. Und so wurde ausgerechnet der überzeugte Antifaschist Grimm zum Verhandlungspartner von SS-Finanzmann Kadgien. Ein gefundenes Fressen für einen Doku-Thriller.

Die Grimm-These im Dok ist gesucht und wacklig.

SP-GRIMM FÜR SS-BANDE?

Aber auch eine Steilvorlage für wacklige Thesen. So kritisiert der Historiker und Grimm-Experte ­Adrian Zimmermann: «Die im Film aufgestellte These, Grimm habe den Kontakt von Oswald und Giesen vermittelt, überzeugt nicht. Sie beruht weitgehend auf Mutmassungen und zumindest in einem Fall auf der Fehlinterpretation einer Quelle.» Tatsächlich verschickte SP-Mann Grimm ein Telegramm für eine Sitzung mit Giesen. Was der Film aber nicht sagt: Das Dokument stammt aus dem Jahr 1952, also aus einer Zeit, als Giesen längst in Ems angestellt war.

Dennoch behauptet der Film, Grimm habe seine schützende Hand über diverse Nazis gehalten. Denkbar ist das zwar, weil Gewerkschafter Grimm damit möglicherweise die 1000 Emser Arbeitsplätze sichern wollte, aber die angeführten Dokumente beweisen es nicht. Denn sie wurden nicht von Grimm selbst verfasst, sondern von Agenten der damals äusserst nazifreundlichen Bundespolizei. Oder von Schweizer Anwälten und Geschäftspartnern der Nazis. Hier zieht der Film vorschnell Schlüsse. Umso gesuchter wirkt der alleinige Fokus auf den SP-Mann. Mit keinem Wort erwähnt wird etwa jener flüchtige Schwerverbrecher und Ems-Berater, den Spitzenpolitiker von CVP, SVP und FDP jahrelang erfolgreich protegiert hatten: Waldemar Pabst, seines Zeichens Wehrwirtschaftsminister unter Hitler und stolzer Organisator des Doppelmordanschlags auf Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht im Jahr 1919. Pabst war in den 1960er Jahren für die Ems-Vorgängerfirma Patvag AG tätig. Und zwar als hinterlistiger Waffenhändler für Emser Produkte wie «Opalm», einen Brandkampfstoff stärker als Napalm.

1 Kommentare

  1. Ron Ganzfried 25. November 2020 um 15:50 Uhr

    Warum wird hier Dr. Heinrich Bütefisch, ein anderer Auschwitz/III-Monovitz Verantwortlichen der Buna-Werke, nicht erwähnt? Gemäss der SRF Serie „Frieden“ habe Grimm ihn nach der Verbüssung seiner Strafe am Nürnberger Kriegsverbrecherprozess für die Hovag rekrutiert.

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