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Die Italienerinnen und Italiener waren seine Obsession

Ralph Hug

«Jagt sie weg» heisst der ­Bestseller des italienischen Journalisten Concetto Vecchio, der in der Schweiz aufwuchs. Vecchio schildert darin, dass der Fremdenhass in der Ära Schwarzenbach für die Italienerinnen und Italiener sogar tödlich sein konnte.

KEIN ZUCKERSCHLECKEN: Italienerinnen in der Schokoladefabrik Lindt & Sprüngli in Zürich, April 1970.(Foto: Keystone)

Leonardo Zanier kam 1963 vom Friaul in die Schweiz. Ein junger Italiener voller Hoffnungen. Als Techniker fand er eine Stelle bei der Maschinenfabrik Borsari & Co. in Zollikon ZH. Zanier hatte einen rötlichen Bart, ­wache Augen und las viel. Schon zu Hause war er der Kommunistischen Partei Italiens (KPI), einer der stärksten in Westeuropa, beigetreten. Klar, dass er sich in der Schweiz für die «Colonie libere italiane» starkmachte. Dort sassen die linken Migrantinnen und Migranten aus Italien zusammen und diskutierten. Erst viel später erfuhr Zanier, dass ihn der schweizerische Nachrichtendienst schon im Visier hatte, bevor er in die Schweiz eingereist war.

VERDÄCHTIGER ZEITUNGSLESER

Es reichte damals, die Zeitung «L’Unità» der KPI zu lesen, um als Italiener in die Fänge der Schlapphüte zu geraten. Das erfuhr auch Angelo Tinari, später Besitzer des Lokals «Punto d’Incontro» an der Josef­strasse in Zürich. Tinari setzte sich in ein Restaurant, wurde aber nicht bedient. Als er fragte, warum, sagte die Kellnerin, weil er die «Unità» lese. Tinari rief die Polizei. Doch die Beamten sagten ihm nur: «Da hat die Kellnerin gut ­daran getan.» Italienische Migrantinnen und Migranten waren zur Zeit der Schwarzenbach-Initiative Menschen zweiter Klasse. Standen sie links, kam zur Diskriminierung noch die politische Verfolgung durch den Staatsschutz hinzu.

Zur gleichen Zeit machte James Schwarzenbach und seine Nationale Aktion mit der Überfremdungsinitiative Stimmung gegen die verhassten «Tschinggen». Mit seinem Wahn, die Schweiz gehe vor lauter Einwanderern unter, hatte sich Schwarzenbach in vielen Köpfen eingenistet. Die Italiener waren seine Obsession. Rund 300 000 Menschen wären aus der Schweiz geworfen worden, wäre im Juni 1970 die Überfremdungsinitiative angenommen worden. Besonders fixiert war er auf Kommunisten und Linke, schreibt Concetto Vecchio in seinem höchst aktuellen Buch «Jagt sie weg!». Schwarzenbach habe die fixe Idee gehabt, dass die italienischen Einwanderer Umstürzler seien, in den Fabriken Streiks anzettelten und die disziplinierten Schweizer Arbeiterinnen und Arbeiter verderbten. Dabei hatten laut Vecchio nur wenige die Revolution im Sinn: «Die meisten wollten Geld für die Familie verdienen und in der Heimat ein Häuschen bauen.»

Schwarzenbach hatte die fixe Idee, dass die Italiener Umstürzler seien.

TÖDLICHER HASS

Zeitweise beschworen Schwarzenbach und seine Anhänger eine pogrom­artige Atmosphäre herauf. Das beschreibt Vecchio eindringlich. So wurde der Maurer Attilio Tonola aus Chiavenna, Vater von vier Kindern, 1968 im Engadin nachts von drei betrunkenen Schlägern derart schwer traktiert, dass er noch an Ort und Stelle verstarb. Vor Gericht kamen die Täter mit leichten Haftstrafen davon. Oder der Schreiner Alfredo Zardini aus Cortina: Er wurde in einem Lokal im Zürcher Kreis 4 zusammengeschlagen und starb. Niemand half ihm. Sein Mörder Gerry Schwitzgebel fasste lediglich 18 Monate Gefängnis wegen «Notwehrexzesses». Unbekannte gratulierten Schwitzgebel zu seiner «Lektion für die Tschinggen».

Concetto Vecchio: Jagt sie weg! Die Schwarzenbach-Initiative und die ­italienischen Migranten. Verlag Orell Füssli, Zürich 2020, ca. CHF 24.–.


Concetto ­Vecchio: Journalist & Autor

Concetto Vecchio.

Concetto Vecchio wurde 1970 in Aarau geboren. Seine Eltern waren in den 1960er Jahren aus Sizilien in die Schweiz eingewandert. Vecchio wuchs in Lenzburg AG auf und kehrte als Jugendlicher mit den Eltern wieder nach Sizilien zurück. Heute lebt er in Rom und ist politischer Reporter bei der linksliberalen Tageszeitung «La Repubblica». Sein Buch «Jagt sie weg» war in Italien ein Renner, als es letztes Jahr unter dem Titel «Cacciateli! Quando i migranti eravamo noi» erstmals erschien.

1 Kommentar

  1. Michel

    Rassismus ist nicht gut und man muss sich immer stark konzentrieren, um nicht in die Falle der Diskriminierung zu gelangen. Sich gut zu informieren hilft das eigene Kulturgut zu stärken, um toleranter zu werden.

    Recherchen ergeben, dass James Schwarzenbach selbst eine italienische Herkunft hatte. Seine Mutter hiess von Muralt – dieser Name entspricht einem Adelsgeschlecht von Italien. Dieser Leader der SVP hatte in seinen jungen Jahren sogar einen italienischen Kollegen… Daher finde ich, dass die Grundprinzipien dieser Politik in einem sehr paradoxalem Verhältnis zueinander stehen.

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