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Reinigungsfachfrau Sarah Casanova: «Reinigen ist nicht einfach putzen»

Sarah Forrer

Verrauchte Clublokale, chaotische Wohnungen, gefährliche Baustellen: Sarah Casanova hat in 15 Jahren Reinigungsbranche vieles gesehen – und noch mehr gereinigt. Heute gibt sie ihr Wissen in den GAV-Lehrgängen der Basis weiter.

DURCHBLICK: Reinigungsprofi Sarah Casanova (34) weiss, wie man Blutflecken entfernt oder was gegen Baustaub hilft. (Fotos: Nicolas Zonvi)

Sarah Casanova bringt nichts so leicht aus der Fassung. Mit einem Lächeln auf den Lippen und fester Stimme erzählt sie von verwahrlosten Messi-Wohnungen. Und Spezialreinigungen in schwindelerregender Höhe. Auch verdreckte Toitoi-WC auf Baustellen steckt sie locker weg. Nur wenige Erlebnisse gehen dem Reinigungsprofi wirklich unter die Haut. Eines davon war eine Wohnungsendreinigung. Der Bewohner, ein Mann, war tagelang tot in seinem Bett gelegen. Der Körper: verwest. Die Matratze: voller Maden. Die Wohnung: ein Chaos. Zwar waren die Leiche und die Maden bereits weg. Dennoch hatte sich der süssliche Geruch der Verwesung wie ein zäher Nebel in der Wohnung festgesetzt. Und nicht nur dort – auch im Gedächtnis von Sarah Casanova. «Da tschuderets mich noch heute, wenn ich nur daran denke!» sagt sie und zeigt auf ihren Arm, auf welchem sich wie zum Beweis die Härchen aufstellen.

Das ist die eine Seite ihres Jobs. Die andere Seite glänzt für die Zürcherin dafür umso mehr. «Mir gefällt die Arbeit in der Reinigungsbranche sehr. Sie ist enorm vielfältig!» Überall, wo sich Menschen begegnen, wo Menschen leben, arbeiten und sterben, braucht es sie, die oft unsichtbaren Helferinnen und Helfer. Im Bundeshaus wirbeln sie genauso wie in Nachtclubs, in Zügen, Flugzeugen, Chemiekonzernen oder privaten Wohnungen. Sarah Casanovas ganz persönlicher Favorit sind Baustellen. «Dort arbeitet man Hand in Hand mit Stromern, Gipserinnen und der Bauleitung.» Dieser rege Austausch und die unvorhergesehenen Situationen entsprechen ihr. «Vieles entscheiden wir spontan vor Ort. Das entspricht meinem Charakter», sagt die Zürcherin.

RASCHER AUFSTIEG. Bereits mit 19 Jahren stieg Sarah Casanova in die Reinigungsbranche ein. Auf der untersten Stufe. Sie reinigte unterschiedlichste Büros und Wohnungen. Lernte, welches Mittel sich für welchen Boden eignet. Wie man Hochdruckreiniger bedient. Und worauf man beim Fensterreinigen in 30 Metern Höhe achten muss. Mit dem Abschluss als Ge­bäudereinigungsfachfrau mit eidgenössischem Fachausweis übernahm sie mehr Verantwortung und leitete ganze Teams. Auch nach der Geburt ihrer zwei Kinder arbeitete sie 80 bis 100 Prozent. Schaltete keinen Gang runter. Zuerst, weil sie es so wollte. Dann, weil sie musste. «Nach der Trennung von meinem Mann trieben mich finanzielle Ängste um.» Alleinerziehend. Mit zwei kleinen Buben. Und einem neuen Job in einer Kaderfunktion: Der Tag hatte für Sarah Casanova plötzlich viel zu wenige Stunden.

Sie arbeitete fünf Tage, war an sieben Tagen fast 24 Stunden erreichbar. Sie betreute Objekte und Teams in der halben Schweiz. Verbrachte viel Zeit auf der Autobahn. Und sprang an der Front ein, wenn eine Reinigungskraft ausfiel. Kaum zu Hause, löste sie die Tagesmutter ab. Sie kochte und brachte ihre zwei kleinen Kinder ins Bett. «Ich hetzte zwischen Job und Muttersein hin und her. Ich aber blieb auf der Strecke. Das war eine harte Zeit.»

Erst als ihr Grossvater mit 91 Jahren einen Herzinfarkt erlitt und pflegebedürftig wurde, hielt Casanova inne. Überlegte, was ihr wirklich wichtig war. Und machte, was sie nie für möglich hielt: Sie kündigte. Von einem Tag auf den anderen. Ins Blaue hinaus. Nur mit dem Gefühl im Bauch: Ich muss das jetzt tun. «Ich wollte für meine Grosseltern da sein. Solange sie noch da waren.» Sie half bei der Pflege ihres Grossvaters mit und griff ihrer Grossmutter unter die Arme. Sie nahm sich Zeit für sie. Und für sich. «Es war eine intensive, aber wertvolle Zeit», erinnert sie sich.

WICHTIGE WEITERBILDUNG. Nach dem Tod des Grossvaters Ende 2018 stand sie vor der Frage: Was nun? Wie es der Zufall wollte, fingen zu dieser Zeit auch die neu eingeführten GAV-Lehrgänge an (work berichtete). Sarah Casanova sah ihre Chance. Als Kursleiterin bei der Paritätischen Kommission Reinigung ZPK. «Ich finde die Basis­ausbildung mit dem vorgeschriebenen Deutschlevel eine hervorragende Idee. Das motiviert Reinigungskräfte mit Migrations­hintergrund, die Sprache zu lernen.» Das A und O für Casanova. «Nur so verstehen sie die Anleitungen und können sich auch selbst mitteilen.»

Der Lehrgang garantiert nicht nur mehr Lohn – sondern für Casanova noch fast wichtiger: Er gibt Wissen auf den Weg. «Reinigen ist nicht einfach putzen. Es ist eine Wissenschaft, die sich rasch entwickelt. Dafür müssen die Mitarbeitenden ­gewappnet sein.» Und wie wappnet sich ­Sarah Casanova selbst für die Zukunft? «Das Unterrichten macht mir Spass», betont sie. Daneben hat sie sich aber noch weitere Standbeine aufgebaut. Sie berät Unternehmen in Reinigungsfragen. Und greift ab und zu selbst noch zum Lappen – wenn im elterlichen Betrieb Leute ausfallen. «Ich bin vielschichtig unterwegs.» Ein Weg, der ihr gefällt: «Von mir aus könnte es so weitergehen!»


Sarah Casanova Mit Putzen gross geworden

Das Interesse für Wischtücher, Reinigungsmittel und Besen kommt bei Sarah Casanova nicht von ungefähr. Sie ist mit dem Geräusch des Staubsaugers aufgewachsen. Ihr Grossvater, ein gelernter Bäcker, gründete 1971 in Zürich eine Reinigungsfirma. Ihr Vater übernahm das Geschäft. «Am Mittagstisch erzählte er uns oft Anekdoten aus seinem Alltag.» Und nicht selten begleitete sie ihn – sei es in sein Büro, ins Lager oder zu den Kunden. «Das fand ich als Kind total spannend.»

ORDENTLICH. Schon damals schärfte sich ihr Blick für Sauberkeit. Eine Berufskrankheit, die sie nie ganz ablegen kann. «In den Ferien kontrolliere ich immer zuerst die Toiletten und schaue unters Bett», erzählt sie lachend. Auch daheim mag sie es gerne sauber und ordentlich. Vor allem im Badezimmer. Aber sie muss nicht mehr jeden Tag den Boden feucht auf­nehmen. «Ich kann heute auch mal es Füüfi grad la sii.»

Sarah Casanova ist keiner Gewerkschaft angeschlossen. Sie arbeitet heute in drei verschiedenen Jobs im Schnitt rund 80 Prozent pro Monat und verdient ins­gesamt rund 5200 Franken brutto.

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