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Sozialarbeiterin Nicole Bielmann: «Diesen Job kann nicht jede machen»

Michael Stötzel

Die Arbeit der Sozialämter ist ­politisch umkämpft. Es heisst, zu v­iele, die Hilfe suchten, seien ­Betrüger. Nicole Bielmann weiss es besser.

HERAUSFORDERND. Sozialarbeiterin Nicole Bielmann (28) arbeitet täglich mit Menschen in schwierigen Lebenslagen. (Fotos: Nicolas Zonvi)

Fast täglich ist von rechten Politikerinnen und Politikern zu hören oder in Zeitungen zu lesen, dass die Sozialämter Betrügern das Leben finanzierten. Dass die vermeintlich Hilfsbedürftigen nicht arbeiten wollten oder sich nicht genug bemühten, auf eigenen Beinen zu stehen. Dass sie zu leicht zu viel Geld bekämen. Die 28jährige Nicole Bielmann arbeitet seit viereinhalb Jahren auf dem Sozialamt, zuerst drei Jahre in Wettingen AG, jetzt im Unterengstringen ZH. Dort ist sie Fachleiterin Sozialhilfe und zuständig für etwa 50 Klientinnen und Klienten. Sie hat also genug Erfahrung mit ihrer Kundschaft und reagiert schon erstaunlich gelassen auf die Belehrungen aus Politik und Medien: «In meinen fast fünf Jahren hatte ich genau einen Fall, bei dem einer in grösserem Stil betrügen wollte.» Ja, es gebe immer mal wieder Fälle, in denen jemand Kleinstbeträge nicht angebe, «vielleicht 100 oder 200 Franken». Im Normalfall kämen jedoch Leute zu ihr, die einfach zu wenig Geld hätten und nicht mehr wüssten, was sie machen sollten.

FEUER LÖSCHEN. Meist muss Bielmann zuerst einmal das «Feuer löschen», also eine akute Notlage beseitigen. Allerdings ist das Sozialamt immer die letzte Stelle, die zahlt. Die Sozialarbeiterin muss also ab­klären, ob es keine anderen Institutionen gebe, von denen die Hilfesuchenden Geld bekommen könnten: Haben sie Anspruch auf Arbeitslosengeld? Sind sie zu krank, um zu arbeiten, so dass die Invalidenversicherung einspringen könnte? Ist die familiäre Situation so belastend, dass sie keine Arbeit aufnehmen können? Gäbe es gerade bei Jüngeren die Möglichkeit, eine Ausbildung zu finanzieren, damit sie wieder einen anständigen Job annehmen könnten? So oder so probiere sie stets, «dass die Klientinnen und Klienten alles, was sie selbst machen können, auch machen».

SOZIALAMT: Als Sozialarbeiterin hilft Nicole Bielmann Menschen in schwierigen Situationen, ihre Rechte geltend zu machen.

Eins sei in ihrem Beruf jedoch immer gleich, sagt Bielmann: «Ich bin täglich mit Situationen konfrontiert, die einem aufzeigen, dass nicht alle im Leben mit Glück gesegnet sind.» Ihre Möglichkeiten, zu helfen, seien dabei gesetzlich begrenzt. Mancherorts sollen jetzt sogar noch die Finanzen gekürzt werden. Bielmann hat das schon einmal in Wettingen erlebt. «Da musste ich jedem meiner damals 80 bis 90 Klientinnen und Klienten sagen, dass es jetzt noch weniger Geld gebe. Das war schon nicht so ein schönes Jahr.»

Aber dies sei eben das Problem ihres «Doppelmandats». Sie müsse einerseits die Interessen der Gemeinde wahren, die nur begrenzte Mittel bereitstelle. Und sich andererseits für die einsetzen, die Hilfe suchen. Das sei «manchmal schwierig, aber auch sehr spannend».

Das ist schon eine etwas verstörende Aussage, schliesslich geht es immer dar­um, Menschen in einer schweren Notlage zu helfen. Aber eins ist klar: Nicole Bielmann mag ihren Beruf. Sie habe sich schon früh dafür entschieden, erzählt sie. «Als Teenager habe ich Bücher gelesen, in denen Sozialpädagogen vorkamen, und das hat mich sehr fasziniert.» Sie habe sich genauer informiert, was der Job so mit sich bringe, und erst eine Ausbildung zur So­zialpädagogin begonnen, dann zur Sozialarbeit gewechselt.

ABGRENZUNG. «Diesen Job kann sicher nicht jede machen. Es ist nicht der einfachste, da muss man schon der Typ dazu sein.» Bielmann sagt, sie habe gewusst, was auf sie zukomme. Vor dem Studium musste sie ein Vorpraktikum machen und dort ein Zeugnis zur Eignung für den Beruf erwerben. «Ohne diese Empfehlung konnte ich an der Hochschule, an der ich studieren wollte, gar nicht anfangen.» Im Studium habe sie zudem gelernt, sich abzugrenzen, um mit der Belastung fertig zu werden, welche die elenden Geschichten, in die sie tagtäglich verwickelt werde, mit sich brächten. «Man darf es nicht mit nach Hause nehmen. In der Regel kann ich das relativ gut.»

So könnte sie sich auch keinen Berufswechsel vorstellen. «Ich habe mit so vielen Personen zu tun, auch mit Leuten, mit denen ich normalerweise nicht unbedingt in Kontakt komme. Und man kommt in Situationen, die man sonst nicht so kennt.» Schliesslich dankten ihr die meisten ihrer Klientinnen und Klienten für die Hilfe. «Ich habe insofern einen dankbaren Job.»


Nicole Bielmann Die Kampfsportlerin

Nicole Bielmann arbeitet als «Fach­leiterin Sozialhilfe» auf dem Sozialamt der Gemeinde Unterengstringen. Dort betreut sie zurzeit 50 Hilfesuchende, führt vier Beistandschaften und koordiniert das Asylwesen. Sie wohnt in Gebenstorf AG. Von dort braucht sie mit dem Auto etwa 40 Minuten bis zu ihrer Arbeitsstelle. Bielmann ist Mitglied der Gewerkschaft VPOD.

KICKBOXEN. Nicole Bielmann betreibt «sehr viel Sport, oft direkt nach dem Schaffen». Das hilft ihr auch, mit den seelischen Belastungen fertig zu werden, die der Beruf mit sich bringt. Schon als Teenager begann sie mit Kickboxen, vor drei Jahren erhielt sie den Schwarzen Gurt, und mittlerweile trainiert sie auch Juniorinnen und Junioren. Sie geht einmal, manchmal auch zweimal wöchentlich in die Boxschule. Dort trainiert sie Light-Kontakt-Kickboxen, bei dem keine KO-Schläge erlaubt sind.

KRAV MAGA. Seit einem Jahr übt sie auch Krav Maga, ein Zusammenspiel verschiedener Kampfsportarten. Es wurde vom israelischen Militär in der Nahkampfausbildung entwickelt und dann für Zivilisten zur Selbstverteidigung angepasst. Das mache sie «einfach aus Spass».

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