worktag

Drucker Tyrone Stevenson: «Bei uns geht es noch um Handwerk»

Michael Stötzel

Das ist schon eine Überraschung: In der St. Galler Druckerei der NZZ druckt ein Australier unsere Zeitung. Tyrone Stevenson hofft, dass er es noch lange machen könne.

GROSSER WANDEL. work-Drucker Tyrone Stevenson (48) sorgt sich um die Zukunft seines Berufs. (Fotos: Stephan Bösch)

Tyrone Stevenson macht eine Bemerkung, die nicht zu dem passt, was über die Entwicklung des Druckgewerbes behauptet wird. Über die neuen Druckmaschinen, die zunehmende Automatisierung, die den Druckern die Arbeit erleichtern solle. Denn die Maschinen, heisst es, könnten immer mehr Aufgaben übernehmen, die bisher nur gut ausgebildete Berufsleute leisten konnten. Doch Drucker Stevenson sagt: «Bei uns geht es schon noch um Handwerk.»

VERSCHMIERTE FARBE. Donnerstagmorgen, Frühschicht in der NZZ-­Druckerei in St. Gallen, die neue Ausgabe unserer Zeitung work wird von Stevenson und zwei Kollegen gedruckt. Einer besorgt in der Etage ­unter dem Maschinenraum den ­Papiernachschub. Die beiden anderen machen die Maschine parat. Zweierlei hebt Stevenson dabei hervor: die Montage der Platten und die Farbeinstellung. Er sagt: «Unsere Maschine ist
15 Jahre alt, sie kann noch nicht die Farben automatisch einstellen.» Er sagt es nicht, aber man ahnt: Darüber ist er ganz froh. In Probeläufen – 300 bis 600 Exemplare Ausschuss – müssen er und sein Kollege die Anteile von Farbe und Wasser regulieren.

An diesem Morgen kommt eine Seite zunächst blau verschmiert aus dem Koloss, es fehlte Wasser. Nach etwa anderthalb Stunden sind alle Vorbereitungen abgeschlossen, die Auflage, 100’000 Exemplare, rattert in einer Stunde durch.

Danach hat Stevenson Zeit für den Besucher. Die Atmosphäre ist herzlich, als seien wir uns schon lange bekannt. Klar, das Druckgewerbe isst hartes Brot, da sollte man den Journalisten eines guten Kunden schon anständig behandeln. Aber Tyrone, scheint’s, verstellt sich nicht, er ist überaus zugänglich und geht auch ernsten Themen nicht aus dem Weg. Offensichtlich hat er Freude an seinem Beruf und meint, besser als hier in St. Gallen hätte er es nicht treffen können.

AUSTRALIEN – WINTERTHUR. Das will schon was heissen. Denn der Mann ist viel rumgekommen. Geboren ist er in Australien, hat dort die Lehre als Drucker gemacht und ein paar Jahre ge­arbeitet. Vor knapp 20 Jahren brach er dann auf, um sich in Europa umzusehen. Es gefiel ihm sehr. Zurück in Australien las er die Anzeige einer Winterthurer Druckerei. Sie suchte für ihre letzten zwei Jahre noch einen neuen Drucker, fand aber niemand in der Schweiz oder im benachbarten Ausland, der sich auf den befristeten Job einlassen wollte. So bewarb sich der Mann aus dem fernen Australien und bekam den Job. Damit begannen 17 Jahre, die der mittlerweile 48jährige hier lebt und dabei «gute und schlechte Firmen» kennenlernte.

HIER WIRD WORK GEDRUCKT: Tyrone Stevenson kontrolliert die Druckqualität und legt selbst Hand an, wenn die Mischung aus Farbe und Wasser nicht stimmt.

DREI SCHICHTEN. Ein wichtiges Kriterium ist dabei für ihn die Organisation der Arbeitszeiten. Hier in St. Gallen arbeiten sie in drei Schichten nach einem Jahresplan, der «normalerweise eingehalten» werde. «Das ist gut in dieser Firma, ich war auch mal mehr als zwei Jahre bei Ringier, und sie bekamen das nicht hin.» Alle drei Wochen habe er sechs Tage hintereinander Nachtschicht. Darauf könne er sich mit seiner Familie einstellen, er ist inzwischen verheiratet und hat eine fünfjährige Tochter. Und nicht zuletzt gibt ihm die Regelmässigkeit der Nachtschichten auch finanzielle Sicherheit. «Denn nachts verdienen wir unser Geld.» Australien jedenfalls, die Traumdestination für viele von uns, locke ihn nicht mehr zurück. Er will, «solange es überhaupt geht, in dieser megaschönen Schweiz bleiben».

Solange es geht – bei aller Gelassenheit macht er sich doch Sorgen um seine berufliche Zukunft. Drucker, sagt Stevenson, sei «ein sterbender Beruf». Sicher ist, dass die Zahl der Drucker abnimmt.

STERBENDER BERUF? Stevensons Gewerkschaft Syndicom hat errechnet, dass in den nächsten 12 Jahren doppelt so viele in Pension gehen, wie Junge neu in die Branche kommen. Dennoch ist Stevenson überzeugt, dass trotz aller technischen Entwicklung der Ausbildungsberuf Drucker nicht ganz verschwinden wird: «Wenn du es gelernt und eine Zeitlang im Beruf Erfahrungen gesammelt hast, weisst du genau, worum es geht. Dann wirst du auch mit der technischen Entwicklung Schritt halten und nötigenfalls einen anderen Job in der grafischen Industrie machen können.»

Neue Firma, neuer GAV

Die Aargauer AZ-Medien und die ­NZZ-Regionalzeitungen landen in ­einem Topf. Am 1. Oktober startet das gemeinsame Unternehmen ­«CH-Medien». Tyrone Stevenson fragt sich, was dann aus der St. Galler NZZ-Druckerei werde, in der er arbeitet. Sie bleibe bestehen, heisst es seitens der Zürcher. Doch Stevenson traut dem Frieden nicht. Die Aar­gauer ­hätten eine riesige moderne ­Maschine, die von nur noch einem Drucker bedient werde. Und sie ­planten bereits einen weiteren ­Ausbau ihrer Kapazitäten.

KÜRZUNGEN. Noch grössere Sorge ­bereitet ihm der zum Jahresende auslaufende GAV der grafischen ­Industrie. Ihr Unternehmer­verband Viscom fordert jetzt ­einschneidende Kürzungen der Nacht­zuschläge (50 statt 70 Prozent) und längere Arbeits­zeiten von generell 42 statt 40 Stunden. Schon die Kürzung der Nacht­zuschläge sei «eine Kata­strophe», sagt Tyrone. «Wenn das ­durchkommt, reicht es für mich nicht mehr. Ich müsste mir dann wohl ­einen ­anderen Job suchen.»

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