Ausgerechnet die Internationale Arbeitsorganisation

Die ILO baut in Genf mit «Billig»-Temporären

Christian Egg

Ausgerechnet auf der Baustelle der Inter­nationalen Arbeitsorganisation (ILO) sind mehr als die Hälfte der Bauarbeiter nur temporär ­angestellt. Mit weniger Rechten und weniger Lohn.

KEIN VORBILD: Die Internationale Arbeitsorganisation beschäftigt auf ihrer Baustelle viel zu viele Temporäre. Das heisst, zu schlechteren Bedingungen als ihre festangestellten Kolleginnen und Kollegen. (Foto: Fotolia)

José Sebastiao von der Unia Genf staunte nicht schlecht. Als er und seine Equipe die Baustelle am Hauptsitz der internationalen Arbeitsorganisation (ILO) kontrollieren, treffen sie ganz viele Maurer an, die nicht regulär angestellt sind. Sondern von einem Temporärbüro. Und zu schlechteren Bedingungen als ihre Kollegen. Sie er­halten nur den Mindestlohn und ­werden von der Firma nur aufgeboten, wenn es genug Arbeit gibt.

REKLAMIEREN VERBOTEN

Das ist zwar legal. Aber die Büezer sind der Firma völlig ausgeliefert. «Bei den Temporären lautet das Motto: Wer reklamiert, kann am nächsten Tag nicht mehr kommen», sagt Unia-Mann Sebastiao. Es ist die Waadtländer Baufirma Orllati (800 Angestellte), die hier renoviert. Doch die Kontrolle der Unia im Juli hat gezeigt: Nur gerade 10 der anwesenden Maurer sind von Orllati regulär angestellt. Weitere 19 hat die Firma von zwei Temporärbüros angefordert.

Nur 10 Maurer sind regulär angestellt, 19 Maurer kommen von Temporärbüros.

Das hat System. Laut Einsatzplänen, die work vorliegen, waren seit Beginn der Arbeiten im April fast immer mehr Temporäre vor Ort als Festangestellte. Und das ausgerechnet bei der ILO. Sebastiao sagt: «Die ILO sollte weltweit für faire Arbeitsbedingungen sorgen. An ihrem eigenen Hauptsitz macht sie das Gegenteil.» Zwar sagt die ILO, sie habe «sofort» bei Orllati interveniert und verlangt, dass mindestens drei Viertel der Maurer Festangestellte seien. Aber ein paar Wochen später stellte die Unia fest: Bei der Asbestsanierung hat sich nichts gebessert. In der zweiten Augustwoche waren es 12 Festangestellte, aber 15 Temporäre. Dazu ein ILO-Sprecher gegenüber work: Das zeige, dass Orllati den Einsatz von Temporären reduziere.

DIE ILO WEICHT AUS

Die Reaktion der ILO sei ungenügend, kritisiert José Sebastiao: «Auch ein Viertel Temporäre wäre noch zu viel!» Mit den Genfer Gemeinden Carouge und Vernier hat die Unia vereinbart, dass bei öffentlichen Aufträgen nur noch maximal 10 Prozent Temporäre zum Einsatz kommen (work berichtete). Die Unia fordert jetzt dasselbe von der ILO. Doch ihr Sprecher weicht aus. Ziel sei es, den Anteil an Temporären «so weit wie möglich» zu reduzieren.

Verhandlungen Bau-Vertrag: «Inakzeptabel»

Zehn Monate lang haben sich die Baumeister geweigert, über den Landesmantelvertrag (LMV) und die Rente mit 60 zu verhandeln. Jetzt versuchen sie es mit einer neuen Taktik: Bei den Löhnen und der ­Frührente kommen sie den Forderungen der Bauarbeiter entgegen. Dafür wollen sie massive Verschlechterungen bei den Arbeitszeiten. Bis zu 100 Minusstunden und 200 Überstunden sollen normal werden. Und bei Stellenwechsel soll der Mindestlohn nicht mehr garantiert sein.

STREIK? Unia-Bauchef Nico Lutz rechnet vor: «Im Winter könnten die Firmen die Büezer für einen Monat heim­schicken. Danach müssten die Bauarbeiter ohne jeden ­Zuschlag 300 Überstunden ­leisten.» Konkret: Während 11 Monaten müssten sie dann 9,5 Stunden pro Tag chrampfen.

Die Gewerkschaften lehnen dies ab. Sie haben aber vor dem Treffen mit den Baumeistern vom 21. August einen anderen Vorschlag gemacht. Nico Lutz: «Darüber wollten wir mit den Baumeistern verhandeln. Doch sie verweigerten einmal mehr das Gespräch.» Lutz kritisiert: «Wenn man eine Lösung verhindern will, muss man es genau so machen. Zuerst ganz lange nicht verhandeln, dann ein inakzeptables Paket vorlegen und darüber wieder nicht verhandeln.»

Zur Erinnerung: 93 Prozent der Bauarbeiter wollen ­streiken, wenn die Baumeister nicht bald zur Vernunft ­kommen.

1 Kommentar

  1. Jaeggi

    Orlatti

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