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Ratko Mladic: Das Ungeheuer vom Balkan

Jean Ziegler
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Es geschah am 8. Juli 1995, an einem sonnigen Samstagmorgen. Im vom Krieg zerrissenen ehemaligen jugoslawischen Teilstaat Bosnien hatte der Uno-Sicherheitsrat Schutzzonen für die von serbischen Truppen gejagten muslimischen Flüchtlingsfamilien eingerichtet. Eine davon war die Enklave von Srebrenica. Hungernd und krank vor Angst, hatten dort über 40 000 Frauen, Kinder und Männer Zuflucht gefunden. Im Vertrauen auf die Sicherheitsgarantie der Weltgemeinschaft.

MASSENMORD IN SREBRENICA. In Potocari, einem Dorf an der Ostgrenze der Enklave, sind 450 niederländische Uno-Blauhelme stationiert. Ein Schweizer Delegierter des IKRK sieht als erster die im Morgengrauen heranrückende serbische Panzerkolonne. Thomas Karremans, der Kommandant der niederländischen Soldaten, fordert – gemäss den geltenden Uno-Richtlinien – Luftschläge gegen die vorrückenden Panzer. Das wird von General Bernard Janvier, dem französischen Chef aller Uno-Blauhelme in Bosnien und Kroatien, abgelehnt.

Ratko Mladić und seine Panzer überrollen die Enklave. In Potocari sondern seine Schergen die Männer ab und verjagen die Frauen und Kleinkinder. Die Überlebenden gelangen nach einem langen Fussmarsch in die muslimische Stadt Tuzla. Die zurückgebliebenen Männer zwischen 12 und 80 Jahren werden auf Lastwagen verfrachtet und weggebracht. Bei einem Feld im Süden ­Srebrenicas stehen die Maschinengewehre bereit. Über 8000 Bosnier werden auf Befehl Mladićs ermordet.

Das Urteil gegen Ratko Mladic bringt die Menschheit der Zivilisation einen Schritt näher.

Mittwoch, 22. November 2017: Ratko Mladić, der am 26. Mai 2011 von Interpol verhaftet worden war, steht vor den fünf Richtern des Internationalen Strafgerichtes für Ex-Jugo­slawien in Den Haag. Er schreit in den Saal: «Lügner! Ihr seid alle Lügner!» Gerichtspräsident Alphons Orie lässt den schreienden General in seine Zelle zurückbringen. Das Ungeheuer verpasst die Urteilsverkündung: lebenslange Haft.

DAS URTEIL. In fast zwanzigjähriger akribischer Kleinarbeit haben Untersuchungsbehörden der Uno Massengräber durchforscht, über 10 000 Dokumente sichergestellt und Hunderte von Zeugen einvernommen. Zwischen 1992 und 1995 hat Mladić in fast allen bosnischen Städten und in serbischen Konzentrationslagern gewütet. Verurteilt wurde er wegen Völkermordes, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen.

Jean Jaurès, der französische Sozialist und Philosoph, schreibt: «Die Strasse ist gesäumt mit Leichen, aber sie führt zur Gerechtigkeit.» Keines der Opfer Mladićs wird zum Leben zurückkehren. Aber das Urteil von Den Haag bringt die Menschheit der Zivilisation einen Schritt näher.

Jean Ziegler ist Soziologe, Vizepräsident des beratenden ­Ausschusses des Uno-Menschenrechtsrates und Autor. Sein neuestes Buch, «Der schmale Grat der Hoffnung», ist im März 2017 auf deutsch erschienen.

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