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Jeyakumar Thurairajah: «Putzmann, Kellner und halb Arzt»

Corinne Riedener

Jeyakumar Thurairajah pflegt in St. Gallen Betagte und sieht im Pflegeberuf gute  Möglichkeiten, Migrantinnen und Migranten in die Arbeitswelt zu integrieren.

Herzensangelegenheit: Jeyakumar Thurairajah (37) liebt seinen Beruf und wünscht ihm mehr Anerkennung. (Foto: Daniel Ammann)

In St. Gallen fällt der erste Schnee. Draussen geht die Bise, doch in der verglasten Cafeteria des Betagtenheims Halden im Osten der Stadt sind die meisten Leute kurzärmlig. Es ist wohlig warm. Manche spielen Karten, andere lesen ein Buch oder Zeitung. Vor dem Fenster spaziert Hauskatze Milo vorbei und schreckt ein paar Vögel auf.

Im ersten Stock ist Jeyakumar Thurairajah gerade dabei, eine Patientin «aufzunehmen», wie man im Fachjargon sagt. «Hüt wird äntlich wider emol gjasset!» ruft diese vergnügt, während sie von Jeyakumar und einer Kollegin mit Hilfe eines Rutschbretts vom Bett in den Rollstuhl gehievt wird. Jetzt noch die Armlehnen montiert, die Perlenkette um den Hals gelegt und kurz mit dem Kamm durch die weissen Haare gefahren, dann steht der Jasspartie in der Cafeteria nichts mehr im Weg.

FEHLALARM. Jeyakumars Telefon klingelt. Eine Frau aus dem zweiten Stock verlangt nach Hilfe. Fehlalarm, stellt sich heraus. Die zierliche Patientin kann sich nicht mehr erinnern, dass sie jemandem gerufen hat. Sie ist dement. «Sie können uns jederzeit rufen», versichert Jeyakumar, tippt ihr sanft auf die Schulter und macht sich auf den Weg in den vierten und obersten Stock des runden, hellen Holzbaus, wo bereits die nächste Patientin auf den Pflegefachmann wartet. Er hat an diesem Montag die Tagesverantwortung.

Jeyakumar und seine Kolleginnen sind zuständig für die tägliche Körperpflege, Bewegung und Betreuung der Pa­tienten, für medizinische Fragen und natürlich für den sozialen Kontakt. Oberstes Ziel ist es, die Selbständigkeit so gut wie möglich zu erhalten – bis zum Tod. «Ich bin ein bisschen Putzmann, ein bisschen Kellner und manchmal ein halber Arzt», sagt der 47jährige lachend. «Mein Alltag ist jedenfalls erfüllend und abwechslungsreich.»

HAUSBESUCH. Für gewöhnlich hat Jeyakumar Morgen- oder Abenddienst. Seine Arbeit ist nicht auf das Heim begrenzt. Sie beginnt beim ersten Kontakt mit den Pflegebedürftigen, den er in der Regel bei einem Hausbesuch knüpft. «Den wenigsten fällt es leicht, ihre Wohnung oder ihr Haus aufzugeben», erklärt er, «deshalb ist es wichtig, dass man sich für den Wechsel ins Heim Zeit nimmt, auch das Umfeld auf den neuen Lebensabschnitt vorbereitet und es einbezieht.»

Nach seinem Abschluss als Pflegefachmann an der höheren Fachschule hat Jeyakumar Vollzeit gearbeitet. Seit kurzem hat er ein 80-Prozent-Pensum, da er den Bachelor of science macht. Im Moment beschäftigt ihn seine Semesterarbeit über Migration und Gesundheit. «Ein wichtiger, aber leider vernachlässigter Aspekt unserer Branche», sagt er. «In der Schweiz hinken wir ziemlich hinterher in Sachen Pflege- und Heimkonzepte für Betagte mit Migrationshintergrund.»

Handgriffe: Die meisten Be­wohnerinnen und Bewohner des Betagtenheims brauchen täglich Medikamente. Der Pflegefachmann misst auch regelmässig ihren Blutdruck. (Fotos: Daniel Ammann)

POTENTIAL. Allgemein, betont Jeyakumar, müsse man Migrantinnen und Migranten viel früher und stärker in die schweizerische Arbeitswelt einbeziehen. «Das ist der beste Weg, um Vorurteile und Ängste abzubauen, auf beiden Seiten. Und gerade im Pflegesektor bergen Geflüchtete und Asylsuchende grosses Potential. Nur schon, weil viele aus Kulturen kommen, die ein anderes Verhältnis zu älteren Menschen haben – ein respektvolleres.» Er selber hatte nach seiner Ankunft in der Schweiz 1988 sieben Jahre lang nur den Ausweis N für Asylbewerber. «Diese andauernde Unsicherheit machte mich krank», sagt Jeyakumar. «Erst als ich eine Ausbildung machen konnte, wurde es besser. Je mehr Kontakt ich zu den Einheimischen hatte, desto mehr habe ich auch über Land und Leute gelernt.»

Ginge es nach ihm, hätten die Pflege­berufe wesentlich mehr politische, gesellschaftliche und akademische Anerkennung verdient. Nicht zuletzt deshalb ist er dem VPOD beigetreten, dem Verband des Personals öffentlicher Dienste. «Gewerkschaftlich aktiv zu sein heisst für mich, für faire Arbeitsbedingungen einzustehen, die Berufs­identität zu stärken und die Branche insgesamt attraktiver zu machen, besonders für Junge», sagt Jeyakumar, während er den täglichen Rapport um 16 Uhr vorbereitet. Wie viel genau er verdient, will der Familien­vater nicht verraten, nur so viel: «Wir haben hohe Belastungen und Anforderungen, werden aber auch entsprechend entlohnt. Das ist nicht überall in der Branche so. Leider.»

Beim Hinausgehen wirft er noch einmal einen Blick in die hauseigene Kapelle, wo ein kleiner runder Tisch mit einer Kerze und einem Büchlein steht. «Gestern ist eine unserer Bewohnerinnen verstorben», erklärt er. «Die anderen im Haus können ihr dort einen letzten Wunsch oder einige Gedanken zurücklassen. Das machen wir immer so, und ich finde das schön.»


Jeyakumar Thurairajah: Pfleger, Politiker

Jeyakumar Thurai­rajah ist vor 30 Jahren aus Sri Lanka in die Schweiz gekommen und hat sich vor sieben Jahren einbürgern lassen. Er hat zwei Kinder, sitzt seit Frühling 2016 für die Grünen im St. Galler Stadtparlament und wohnt im Quartier St. Fiden in einem Haus, dessen Bewohnerinnen und Bewohner sich als grosse Wohngemeinschaft verstehen.

ABSCHALTEN. Wenn es das Wetter erlaubt, fährt Jeyakumar mit dem Velo zur Arbeit. «Mein Beruf kann manchmal auch an die Nieren gehen», sagt er. «Für meine persönliche Psycho­hygiene betreibe ich deshalb Sport: Velofahren, Joggen und Jugileiten.»

1 Kommentar

  1. S. Jegatheesan

    Your job is to continue the congratulations to the dear brother of the Save act Founder Charity organization

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