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Stefan Bruderer: «Die plötzliche Stille»

Markus Kestenholz

Zum ersten Mal allein einen Zug fahren, das sei eine grosse Sache gewesen, erzählt Lokomotivführer Stefan Bruderer.

Auf Schienen: Stefan Bruderer (28) kommt aus dem Thurgau und fährt als Lokomotivführer Zürcher S-Bahnen (Fotos: Jasmin Frei)

Pünktlichkeit ist für Stefan Bruderer (28) das halbe Leben. Der Zug fährt exakt zwei Minuten vor der vollen Stunde am Hauptbahnhof Zürich ein. Bruderer wartet bereits vorne am Prellbock, ein breites Lachen im Gesicht. Auch an seinem freien Tag sitzt die Arbeitskleidung. Der junge Lokführer steuert das Restaurant Oase an, wo er Kollegen ebenfalls in Berufsuniformen trifft. Bruderer ist nun seit einem Jahr alleine im Führerstand unterwegs. Vom typischen Bubentraum will er aber nichts wissen, wobei: «Es gibt einen alten Aufsatz von mir, wo der Lokführer schon drinstand», sagt er.

Bruderer fährt derzeit meist S-Bahnen in der Grossregion Zürich. Von der Arbeit spricht er mit Begeisterung. Die Verantwortung sei natürlich gross, ja, aber wichtiger ist ihm, den Job auch zu geniessen: «In unserer Kultur scheint das ja ein wenig verdächtig, wenn sich jemand neben der Freizeit auch auf seine Arbeit freut. Aber ich freue mich jeweils wirklich, arbeiten zu ­gehen!»

KUNDENKONTAKT. Den SBB ist Lokführer Bruderer schon lange treu. Ein Test in der Berufsberatung in der Oberstufe hatte ihm die Richtung vorgegeben. Schon im dritten Jahr der kaufmännischen Lehre interessierte er sich für den Zugverkehrsleiter, der damals noch Fahrdienstleiter hiess: «Im Zentralstellwerk Zürich, dem auffälligen Turm, wenn man in Zürich einfährt, fühlte ich mich wohl.» Doch mit der Zentralisierung und dem Umzug an den Flughafen in die alten Skyguide-Räumlichkeiten habe ihm irgendwann der Kontakt zu den Leuten gefehlt. Darum fährt Bruderer nun Züge, wo er näher bei den Leuten ist. Er sagt: «Klar kann man sich sehr gut in die Lok zurückziehen, doch ausserhalb der Fahrzeit ist es immer möglich, den Kontakt zur Kundschaft zu suchen.» Er weiss schliesslich auf die meisten Fragen eine Antwort: «also spricht nichts dagegen, mit der Warnweste Auskünfte zu geben oder am Endbahnhof mal herumliegende Zeitungen einzusammeln.»

Während der Ausbildungszeit und auf seinen ersten Fahrten begleitete den jungen Lokführer ein erfahrener Kollege. Dieser zeigte ihm jeden Arbeitsschritt, wies ihn auf jedes Signal hin, damit nichts vergessen ging. Direkt nach der Ausbildung dann, «in der plötzlichen Stille», fuhr er zum ersten Mal alleine einen Zug: «Das war eine grosse Sache!» Doch dieses Gefühl überkomme ihn auch heute noch: «Manchmal wird mir bewusst, dass hinter mir im Zug Hunderte von Leuten sitzen, die sich darauf verlassen, dass ich keinen Bock schiesse.» Doch seine Aufmerksamkeit richtet er vor allem nach vorne, auf die Strecke. Beinahe etwas fatalistisch meint er: «Wegen der langen Bremswege sind wir Lokführer Unerwartetem meist eh ausgeliefert.»

«Keinen Bock schiessen»: Trotz allen technischen Unterstützungsmassnahmen lastet auf den Lokführern immer noch eine grosse Verantwortung.

PRIVILEGIERT. Die Last seiner Verantwortung spürt Bruderer auch ausserhalb des Führerstands : «Es ist sonnenklar, dass ich stets gut ausgeruht zur Arbeit komme.» Mal müde oder gar angetrunken zu erscheinen sei vollkommen undenkbar. Es gibt strikte Vorschriften in Bezug auf Ruhezeiten im Arbeitsgesetz, aber auch in SBB-internen Regelungen. Bruderer: «Maximal viereinhalb Stunden Fahren ohne Pause wären erlaubt, doch im Normalfall kommt die Pause viel früher.»

Eine Lebensplanung macht der junge Lokführer nicht – auf dem Beruf will er bleiben, solange es ihm Spass macht. Daran, dass das Berufsbild des Lokführers sich ändern wird, zweifelt er allerdings nicht: «Auch wenn die Fahrzeuge jeweils für die nächsten 40 Jahre eingekauft werden, wird es gewiss schon vorher einen Wandel geben.» So leicht würden ihn die SBB aber nicht los, sagt er. Schliesslich sei er privilegiert, nicht zuletzt aufgrund des  Gesamtarbeitsvertrags. Einer der besten in der Schweiz: «Bei uns sind die Sozialleistungen auf einem guten Niveau.»

Seinen Einsatzplan kennt Bruderer jeweils für ein ganzes Jahr. Er umfasst bis zu 26 verschiedene Dienste, dazu noch Früh- und Spätdienste. Bruderer sagt: «Ich kann Arbeitszeit ansammeln und mir Nacht- und Sonntagszulagen in Freizeit auszahlen lassen. Dieses Arbeitszeitmodell gibt mir ein hohes Mass an Freiheit.» Er könne die Arbeit normalerweise gut auf sein Privatleben abstimmen. Und: «Sobald ich den Zug nach der Übergabe verlasse, bin ich sofort fertig, ich nehme nichts mit. Das ist viel wert.»


Stefan Bruderer: Der ewige Reisende

Stefan Bruderer kommt aus Mauren, einem 500-Seelendorf im Thurgau. Als er ein Kind war, fuhren von dort «nur fünf Busse am Tag» weg. Seit zehn Jahren wohnt er in Zürich in einer dreiköpfigen Wohngemeinschaft. Bei der Gewerkschaft SEV ist Bruderer seit seinem zweiten Lehrjahr aktives Mitglied. In seiner Freizeit ist er oft unterwegs. Er reist gerne durch Europa, natürlich mit dem Zug, und in der Schweiz ist er oft auch mit dem Velo unterwegs.

ROTES AUTO. Falls er mal Auto fährt, dann «nur mit dem besten Auto, dem roten Mobility-Wagen». Bruderer ist auch «immer mal wieder in den Bergen anzutreffen» und kandidiert für die SP für den Zürcher Gemeinderat. Er verdient ein Jahr nach Ausbildungsabschluss rund 90 000 Franken im Jahr.

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