Wissenschafter Jacques Dubochet: Nobelpreisträger, Linker, Feminist

«Alles ist politisch»

Michael Stötzel

Der Nobelpreis für Chemie geht in diesem Jahr an den Lausanner Jacques Dubochet. Eine gute Nachricht!

Nobelpreisträger Jacques Dubochet. (Foto: Fabrice Coffrini / GETTY)

Das glaubt Jacques Dubochet ja selber nicht: «Eigentlich ist nichts passiert », sagt er zu work. Und begründet damit, dass er vorerst nicht mehr mit den Medien reden will. Der Rummel um seinen Nobelpreis ist ihm offenbar zu viel geworden. Über 600 Mailanfragen habe er an nur einem Tag bekommen. Der Rhythmus der Presse sei «unmenschlich ». Und er gedenke, seinen humanen Rhythmus im Leben weiterzuführen.

Verständlich ist das schon, aber es gehört bei solcher Ehrung nun einmal dazu. Der berühmteste Preis, den ein Wissenschafter gewinnen kann. Und erstmals seit 15 Jahren hat dieses Glück wieder ein Schweizer.

Unter den ersten Gratulantinnen war Stefanie Brander, die Chefin des Gleichstellungsbüros der Uni Lausanne. Sie ist begeistert von Dubochet und sagt: «Er ist nicht nur ein ausserordentlicher Forscher, er ist auch einer unserer grössten Verbündeten in Sachen Gleichstellung auf Professorinnenebene. » Tatsächlich bezeichnet Dubochet die Gleichstellung von Mann und Frau als «grösste Revolution der Menschheit». Die Geschichte der Evolution basiere zwar auf der Unterscheidung von Männlein und Weiblein. Doch seien wir Menschen und keine Tiere. Die Gleichstellung sei deshalb elementar. Sie falle allerdings «nicht vom Himmel». Man müsse dafür kämpfen.

DER ALTE LINKE

Dubochet bestätigt das Bild, das wir uns gerne von Universalgelehrten machen: weisshaarig und -bärtig, freundlich und bescheiden, etwas nachlässig in seiner Kleidung. Er hat die Grösse, ganz freimütig auch über seine persönlichen Schwächen zu reden – ein Wissenschafter, der, ärztlich attestiert, nicht gut lesen und schreiben kann. Und er legt Wert darauf, ein «alter Linker» zu sein, der noch heute die 68er Zeiten als «magnetisierend » bezeichnet. Nobelpreisträger Dubochet ist aktives Mitglied der Gewerkschaft VPOD und der SP, er politisiert im Gemeindeparlament seines Wohnortes Morges VD. Er sagt: «Links ist Intelligenz, rechts ist Egoismus.» Was er sage, werde sicher Wellen werfen, aber tant pis! Und tatsächlich erntete Jacques Dubochet heftige Kritik vom Freisinn.

«Links ist Intelligenz, rechts ist Egoismus.»

Eric Voruz kennt Dubochet aus der Gemeindepolitik. Gemeinsam haben sie sich auch für Flüchtlinge eingesetzt. Der Ex-Unia-Sekretär, Ex-Stadtpräsident von Morges und Ex-Nationalrat beschreibt Dubochet gegenüber work so: «Er ist ein äusserst sympathischer Genosse; wenn man ihn sieht, würde man nicht denken, dass er Professor sei, schon gar nicht Nobelpreisträger. Er hört zu und redet direkt, so, dass man ihn versteht. Und er ist sehr hilfsbereit.» Wenn er sage, er komme Unterschriften sammeln an einen Stand, dann komme er auch. Voruz: «Wir mögen ihn sehr und sind immer froh, wenn er sich engagiert, denn die Leute hören auf ihn.»

(Foto: Fabrice Coffrini / GETTY)

ALLES IST POLITISCH

Sehr «sympa» findet den Nobelpreisträger auch Jean Ziegler. Der Soziologe und work-Kolumnist sagt: «Dubochet ist genau so, wie ein Wissenschafter sein sollte, bescheiden und immer von Zweifeln geplagt. Er ist kein arroganter Kerl, der sich im Laboratorium

«Wir müssen die Mayonnaise nur noch anrühren.»

einschliesst, nein, er gibt jenen, die seinen Lohn zahlen, etwas zurück. Er engagiert sich politisch, und er macht Wissenschaft im Dienste der Gesellschaft.»

Wir lernen von Brander, Voruz und Ziegler: Dubochet ist weit mehr als ein netter alter Professor, der nebenbei politisiert. Er selbst sagt: «Alles ist politisch, auch die Wissenschaft, das dürfen wir nie vergessen.» Normalsterbliche dürften dem ohne weiteres zustimmen, im Gegensatz zu den Angehörigen der Wissenschaftsgemeinde. Denn für sie ist es ein Dogma, dass ihre Arbeit unpolitisch sei. Dubochet verwirft dieses Dogma, und das ist die kaum beachtete, aber eigentliche Bedeutung der Nobelpreisverleihung an ihn.

Dabei liegen die schwerwiegenden politischen Folgen gerade in seinem Fachgebiet auf der Hand: Dank der Fortschritte in der Mikrobiologie, die auch durch Dubochet erreicht wurden, können mittlerweile Medikamente und Therapien gegen bisher unheilbare Krankheiten entwickelt werden. Aber möglich wird eben auch die Erschaffung von Designermenschen. Das Paradies und die Hölle haben das gleiche Eingangstor. Bereits 2003 schrieb Dubochet: «Heutzutage sollte es jedem Biologen bewusst sein, dass er nicht mehr forschen kann, ohne die Konsequenzen zu beachten. Wissenschafter können nicht mehr ihrer Rolle als Bürger ausweichen.» Aus dem Grund war er an seiner Universität auch treibende Kraft bei der Einrichtung des Studiengangs «Biologie und Gesellschaft ». Er ist heute Pflichtfach für alle angehenden Biologinnen und Biologen.

Gefrorenes Wasser

Der 75jährige Lausanner Professor Jacques Dubochet erhielt den Chemie-Nobelpreis, weil er mit seinem Team einen Durchbruch bei der Bearbeitung von Präparaten für die Elektronenmikroskopie erzielt hatte. Das war schon vor 35 Jahren. Doch wie entscheidend seine damalige Arbeit war, zeigte sich erst dank der Entwicklung immer besserer Geräte im letzten Jahrzehnt.

BLITZARTIG EINFRIEREN. Wissenschaftsjournalist Beat Gerber sagt, die von Dubochet entwickelte Methode zum blitzartigen Einfrieren der Gewebeproben sei die Voraussetzung dafür, dass heute die Strukturen komplexer Biomoleküle sichtbar gemacht werden könnten. Der Preisträger selbst meinte scherzhaft, er sei dafür ­geehrt worden, weil er gefrorenes Wasser erfunden habe.

Wohlgemerkt, Dubochet fordert keine öffentliche Beschränkung der Forschung. Er sagt: «Mehr Wissen ist immer gut.» Aber: «Die Frage, was wir damit machen, muss die Gesellschaft beantworten. » Deshalb machte er in einem Interview einen nur auf den ersten Blick naiv anmutenden Vorschlag: «Vielleicht braucht es ein Organ, etwa unter der Uno, das die Fortschritte der Wissenschaft weltweit verantwortungsvoll abschätzt und ihre Anwendung sozusagen zum Guten der Gesellschaft führt.»

HARMONISCHE WELT

Dieses Ziel, er nennt es eine «harmonische Welt» ist für Dubochet keine Utopie. Denn erstmals in der Geschichte sei die Gesellschaft in der Lage, alle Menschen mit gesunder Nahrung, guter Bildung und qualitativ hochwertiger Medizin zu versorgen. Diese Welt wollten alle «normalen Leute». Sie zu erreichen wäre nicht schwierig, sagt Genosse Nobel: «Die Zutaten sind schon vorhanden. Wir müssen sie nur noch anrühren. Wie bei einer Mayonnaise.»

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