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Patrick Angele: «Ich will, dass es den Leuten gutgeht»

Nina Seiler

So einen wie ihn gibt es in der Schweiz nur einmal: Patrick Angele ­vereint die Lust am Streik mit der Lust am Körper.

Von der Baustelle ins Massage-Studio: Patrick Angele (30) war Unia-Gewerkschafter. Jetzt ist er Tantra-Masseur. (Foto: Nicolas Zonvi)

Der Raum mit den rohen Betonwänden wirkt intim, strahlt Ruhe und Wärme aus. Patrick Angele, Ex-Teamleiter Bau bei der Unia Zürich-Schaffhausen, hat seine Praxis in der Zürcher Agglomeration, zwischen Autobahnbrücken und Industriebauten, spürbar liebevoll gestaltet. Hier macht er Tantra-Massagen – Ganzkörpermassagen, die auch die intimen Körperstellen einbeziehen.

SEXUALITÄT UND POLITIK. Auf dem gelben Sofa schildert Angele bei einer Tasse Tee seinen Weg von der politischen Kampfbahn ins Reich der Sinne. Der 30jährige sagt: «Ich will, dass es den Leuten gutgeht, dass sie Lust und Freude haben am Leben. Es braucht einen guten Job, eine gute ­Bezahlung und eine anständige Rente, ­damit man lustvoll leben kann. Das war immer mein Ziel, darum habe ich in der Gewerkschaft gearbeitet.» Und: «Ich hatte immer Lust und Freude am Kampf, am Streit, am Streik. Auf dem Bau haben ­wir versucht, Solidarität und die Freude am Zusammensein zu verbinden: zusammen essen, zusammen trinken, zusammen lachen.»

Kann bewusste Sexualität dabei helfen, ­lebendiger und mit mehr Lust zu politisieren? Angele bejaht. Der Wechsel von Beton, Kränen und roten Jacken zu Kerzenlicht und Sinnlichkeit ist für ihn, der nach wie vor Unia- und SP-Mitglied ist, kein Bruch: «Es ist schon etwas ganz anderes, aber nicht so weit weg von dem, was ich früher gemacht habe. Ich schliesse auch nicht aus, dass ich irgendwann wieder auf einer Baustelle stehe.»

MEHR MÄNNER ALS FRAUEN. Seine Kundschaft bucht fast nur Tantra-Massagen: «Klassische Masseure gibt es wie Sand am Meer», erklärt der frühere Bauleiter. «In der Schweiz bin ich aber der Einzige mit einem vergleichbaren Profil: ein Mann, der Männer und Frauen massiert, mit einem nüchternen und klaren Auftritt.» Zu Angele kommen einfache Leute, aber auch Studierte – von der 24jährigen Studentin, die ihre Sexualität entdeckt, bis zum 79jährigen, der sein Leben lang davon geträumt hat, dass ein Mann ihn berührt. Vom schwulen 35jährigen, der sich nach Langsamkeit statt schnellem Sex sehnt, bis zur 50jährigen Frau, die als Kind sexuellen Missbrauch erlebte. Viele bringen ein Thema mit: Männer, die zu früh kommen, oder Frauen, die nicht kommen können. Manche wollen aber auch einfach nur ­geniessen. Es geht im Tantra nicht um ­sexuelle Befriedigung – obwohl es hier auch Raum für Erregung gibt –, sondern um die Wahrnehmung des ganzen Körpers.

Zurzeit hat der Tantra-Masseur deutlich mehr männliche Kunden. Er erzählt: «Männliche Sexualität scheint einfach: Der Penis richtet sich auf und der Mann kommt – wenn nicht, dann gibt es Viagra. Wenn der Mann keine Frau hat, geht er ins Bordell oder konsumiert Pornos. Dass es da noch viel mehr zu entdecken und zu leben gibt, dass auch Verletzlichkeit dazu gehört und das Eingeständnis, dass man als Mann vielleicht mal eine Erfahrung mit einem Mann haben möchte – das wird kaum diskutiert, darüber sprechen Männer auch untereinander nicht.»

SANFTE HÄNDE: In seiner Dübendorfer Praxis bietet Patrick Angele Tantra-Massagen an – Ganzkörpermassagen, die auch intime Körperstellen einbeziehen.

EINEN TRAUM ERFÜLLT. Schade findet Angele, dass sich so wenig Frauen eine Tantra-Massage gönnen: «Als Sexobjekte sind Frauen überall präsent, aber eine Frau, die Lust hat, ihre Lust zeigt und die Befriedigung ihrer Lust einfordert, wird schnell als Schlampe betitelt.» Bei Frauen sei das Verhältnis zum eigenen Körper «anders als bei Buben, die schon als Baby mit ihrem ­Penis spielen. Bei Mädchen gibt es nicht einmal Namen für ‹das da unten› oder nur Schimpfwörter. Ich kenne so viele erwachsene Frauen, die keinen liebevollen Bezug zu ihrem Körper haben.»

Mit dem eigenen Studio hat Angele sich einen Traum erfüllt. «Das hat eine Portion Mut gebraucht.» Doch das Geschäft läuft gut, auch dank Auftritten in den Medien. Angele: «Natürlich profitiere ich geschäftlich von dieser Werbung. Aber: Die meisten, die zu mir kommen, tun das zum ersten Mal, und ich glaube, dass es viel ausmacht, wenn sie meine Geschichte kennen.» Inzwischen ist er zwei Wochen im ­voraus ausgebucht – und geniesst die ­Entschleunigung an seinem neuen Arbeitsort: «Jetzt ­spaziere ich nur durch ­den
Innenhof und kann zu Hause in Ruhe mit der Familie zu Mittag essen. Das ist Lebensqualität, das ­geniesse ich.»


Patrick Angele: Der lustvolle Politiker

Der gelernte medizi­nische Masseur wuchs «in einer apolitischen Familie» auf. Seine Eltern arbeiteten beide in einem 5-Sterne-Hotel. In der Zeit von 9/11 in den USA und Irakkrieg entdeckte er seine Leidenschaft für Politik und landete bald darauf bei den Zürcher Jungsozia­listen. Später war Angele zusammen mit Cédric Wermuth in der Juso-Geschäftsleitung, wo sie die Juso «entbürokratisierten und zur Bewegung machten». Danach arbeitete der Jungpolitiker bei der GSoA und bis im Herbst 2016 bei der Unia Zürich-Schaffhausen.

NEUORIENTIERUNG. Nach einer Neuorientierungsphase beim RAV wagte Angele schliesslich den Sprung in die Selbständigkeit. Momentan zahlt er sich einen Monatslohn von 4000 Franken netto aus. Sobald alle Investitionen amortisiert sind, prophezeit er, «wird es deutlich mehr werden». Angele lebt zusammen mit seiner Frau und seinem zwei Monate alten Sohn in der Genossenschaft Kraftwerk 1 im Zwicky-Süd-Areal in Dübendorf.

1 Kommentar

  1. Alois Kees

    Lieber Patrick,
    Auf einer Massageseite bin ich auf deinen Artikel aufmerksam geworden. Ich erinnere mich, dass ich damals für dich gewählt habe, als du ein Amt in der Politik annehmen wolltest. Ich weiss aber nicht mehr, ob du dann gewählt worden bist. Da du jetzt Massagen machst, möchte ich dich anfragen, ob ich mit meinem verspannten Nacken, Hals und Rücken zu dir kommen kann, und eine Massage mir Linderung verschaffen würde.
    Ich freue mich auf deine Antwort, und grüsse dich unterdessen freundlich
    Alois.

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