FDP-Politiker Dick Marty greift FDP-Bundesrat Cassis an:

«Wirtschaftskreise steuerten Cassis’ Besuch in der Mine»

Federico Franchini

Der Besuch von Ignazio Cassis in der Glencore-Kupfermine in Sambia sorgt für heftige Kritik, selbst innerhalb seiner eigenen Partei.

GELBWESTEN. Bundesrat Cassis in der Glencore-Mine in Sambia. (Foto: Ignazio Cassis / Twitter)

Seit Jahren macht der Zuger Rohstoffmulti Glencore wegen schlimmer Arbeitsbedingungen und Umweltverschmutzung in seinen Kupferminen in Afrika Negativschlagzeilen. Doch Aussenminister Ignazio Cassis ist des Lobes voll für Glencore. Am 7. Januar besuchte er eine Glencore-Kupfermine im Norden Sambias. Auch sie wird seit Jahren von Menschenrechtsorganisationen scharf kritisiert, weil das Kupferschmelzwerk ­riesige Mengen von Schwefeldioxid ausstösst und Menschen erkranken. Doch der Aussenminister zeigte sich in einem Tweet schwer beeindruckt über die Modernisierungsanstrengungen der Minenbetreiberin. Und Glencore freute sich ihrerseits über das Lob und benützte Cassis’ Tweet sofort für Werbung in eigener Sache. «Das war ein bewusster Schachzug, gesteuert von gewissen wirtschaftlichen Kreisen», analysiert nun Parteikollege und Ex-Ständerat Dick Marty.

FDP-Politiker Dick Marty. (Foto: Keystone)

work: Herr Marty, was war Ihre erste Reaktion, als Sie von Bundesrat Cassis’ Besuch in der Glencore-Kupfermine erfuhren?
Dick Marty: Ich dachte, «bedauerlich, aber nicht überraschend», denn der Bundesrat hat schon immer einen unterwürfigen ­Respekt vor allen Wirtschaftsmächten gezeigt. Das ist bedauerlich, weil derselbe Bundesrat nie bereit war, sich mit Vertretern von NGOs zu treffen, um über die Problematik der Ausbeutung dieser Minen zu diskutieren.

Sie sind ja Co-Präsident des Komitees für die Konzernverantwortungsinitia­tive. Diese will, dass Multis mit Sitz in der Schweiz für Menschenrechtsverletzungen ihrer Tochterfirmen im Ausland haftbar gemacht werden. Der Bundesrat hat auch Sie nie empfangen?­
Wir baten den Bundesrat um einen Termin, um die Anliegen der Konzernverantwortungsinitiative darlegen zu können, aber er wurde uns nie gewährt. Und just im heikelsten Moment, wo Politiker und Politikerinnen einen Ge­genvorschlag zu unserer Konzernverantwortungsinitiative diskutieren, besucht der Aussenminister jenen Multi, der alle Missbräuche verkörpert, die unsere Initiative beseitigen will. Das sagt viel aus, nicht nur über die fehlende Sensibilität, sondern auch über die Parteilichkeit des Bundesrats.

Was spricht denn dagegen, dass ein Bundesrat einer Schweizer Firma im Ausland einen Besuch abstattet?
Der Besuch selbst wäre ja noch gegangen. Aber warum hat sich Cassis nicht mit den Leuten getroffen, die sich seit Jahren um die Probleme dieser Mine kümmern? Wir sprechen ja nicht von irgendeiner Firma. Während Cassis die Mine in Sambia besuchte, übrigens eines der ärmsten Länder der Welt, ist Glencore schon in einen neuen Skandal in Peru verwickelt. Der Rohstoffmulti Glencore schafft enormen Reichtum, aber in allen Ländern, wo er tätig ist, herrscht bittere Armut. Ein Aussenminister müsste sich mit diesem Widerspruch auseinandersetzen. Erlauben Sie mir eine Bemerkung …

… bitte!
Man spricht immer von Schweizer Firmen. Aber in Tat und Wahrheit haben diese Firmen nur ihren Sitz in der Schweiz. Auch bei der Bank Credit Suisse, die den Begriff «Schweiz» im Namen führt, sind höchstens 20 Prozent der Aktien in Schweizer Händen. Oft sind die Hauptaktionäre von grossen Multinationalen einfach spekulative Investmentfonds, deren einziges Interesse die Kapitalrendite ist. Das ist ein Problem, dessen sich die Politik annehmen sollte. Firmen nennen sich schweizerisch, obwohl sie es gar nicht sind. Sie schaffen Probleme für den Ruf der Schweiz und für die seriösen Firmen im Land.

«Die Richtung, die Cassis im
EDA einschlägt, ist besorgnis­erregend.»

Als eine seiner ersten Amtshandlungen hat Aussenminister Cassis das Uno-Hilfswerk für palästinensische Flüchtlinge UNRWA kritisiert und gesagt, es sei Teil des Nahostkonflikts. Was sagen Sie zum neuen, härteren Wind aus dem Aussendepartement?
Die Richtung, die Cassis im EDA einschlägt, ist für mich ziemlich besorgniserregend. Gewisse Äusserungen, zum Beispiel seine Kritik an der UNRWA, könnten vielleicht als Mangel an Erfahrung oder Selbstkon­trolle verstanden werden. Aber ich habe immer mehr das Gefühl, dass Cassis diese Richtung bewusst einschlägt. Cassis vertrat immer gewichtige wirtschaftliche Interessen. Es ist ja bekannt, dass er vor seiner Wahl zum Bundesrat von einer Krankenkassengruppe fürstlich entlöhnt wurde. Da sehen wir schon, was für einen Stil er hat und wie er an eine Sache herangeht. Und das sagt jemand, der keineswegs ein Wirtschaftsfeind ist und sich immer noch als Wirtschaftsliberaler betrachtet.

Und dieser Cassis-Stil hält jetzt auch im Aussendepartement Einzug?
Bestimmt. Um bei Glencore zu bleiben: Ich glaube, dass dieser Besuch in Sambia von einer beispiellosen Stillosigkeit war. Man kann sich fragen, ob das ein Zufall sei. Ich glaube nicht. Das war ein bewusster Schachzug, gesteuert von gewissen Wirtschaftskreisen. Und Cassis liess sich einspannen.

Dieses Interview erschien zuerst in der Tessiner Gewerkschaftszeitung «Area».
Übersetzung: Anna Luisa Ferro.

Problemfall Cassis

Ignazio Cassis sitzt zwar für die FDP im Bundesrat – aber von SVP-Gnaden. Das merkt man seiner Politik an. Die flankierenden Massnahmen will er im Sinne der Marktradikalen opfern. Rohstoffspekulanten hofiert er, NGOs ignoriert er. Menschenrechte sind unwichtig, was zählt, ist das ­Geschäft. Aussenpolitik ausschliesslich als Aussenhandelspolitik. Da taugt die humanitäre Tradition der Schweiz höchstens noch für Sonntagsreden. Carlo ­Sommaruga, Solidar-Suisse-Präsident und SP-Nationalrat, nennt Cassis’ Politik im work-Interview (work 21, 2018) «schrecklich». Und work-Kolumnist Jean Ziegler, ­Vizepräsident des beratenden Aus­schusses des Uno-Menschenrechtsrates, forderte schon im Oktober (rebrand.ly/zieglercassis): «Unser Parlament muss dringlichst dem inkompetenten Aussen­minister das Handwerk legen.» (cs)

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